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Vor 50 JahrenWie Heinrich Böll auf den Literaturnobelpreis reagierte

Lesezeit 4 Minuten
Schriftsteller Heinrich Böll rauchend mit einer Zigarette in der Hand während einer Tagung des Schriftstellerverbandes P.E.N.

Schriftsteller Heinrich Böll wurde vor 50 Jahren mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet

Dem Kölner Heinrich Böll wurde vor 50 Jahren der Literaturnobelpreis verliehen. Sein Sohn erinnert sich daran, wie der Vater auf die Ehrung reagierte.

Das Telegramm erreichte Heinrich Böll am 19. Oktober 1972 im Hotel „Grande Bretagne“ in Athen. Dort machte er mit Ehefrau Annemarie und Sohn René eine Zwischenstation auf dem Weg nach Israel. Es sei sein angenehmer Auftrag, schrieb der Ständige Sekretär der Svenska Academien, „Ihnen mitzuteilen, dass die Schwedische Akademie heute Ihnen den Nobelpreis für Literatur dieses Jahres zugeteilt hat“.

René Böll erinnert sich an die Reaktion des Vaters im Hotel am Syntagma-Platz: „Er nahm das Telegramm an, ohne draufzugucken und steckte es erst einmal in die Tasche. Als er dann im Zimmer las, was da für eine Nachricht stand, war er schon sehr glücklich.“ Gefeiert habe man allerdings „kaum“ in der griechischen Hauptstadt, da es doch „sehr hektisch“ zugegangen sei.

Das Telegramm aus Stockholm wird Heinrich Böll (1917–1985) nicht vollkommen überrascht haben. Der Kölner Werkausgabe ist zu entnehmen, dass sich der aus Köln stammende Literaturwissenschaftler Hans Mayer im April 1972 bei Böll gemeldet hatte. „Vielleicht wird es Sie freuen, dass ich zu Beginn des Jahres vom Nobelkomitee in Stockholm um den Vorschlag eines Kandidaten gebeten wurde“, schrieb er. „Ich habe Ihren Namen genannt. Später erfuhr ich, dass sich zwei andere deutsche Empfänger solcher Briefe genauso entschieden.“

Tatsächlich stimmte das Nobelpreiskomitee für den Kölner Autor, der im Jahr zuvor den Roman „Gruppenbild mit Dame“ veröffentlicht hatte und zum Präsidenten des Internationalen PEN gewählt worden war. Die Begründung zielte auf eine literarische Arbeit, „die durch ihren zeitgeschichtlichen Weitblick in Verbindung mit ihrer von sensiblem Einfühlungsvermögen geprägten Darstellungskunst erneuernd im Bereich der deutschen Literatur gewirkt hat“.

Den Frack für den Festakt am 10. Dezember, heute vor 50 Jahren, hatte sich Böll ausgeliehen. König Gustav VI. Adolf, der noch im Mai Berlin und Köln besucht hatte, fehlte wegen einer Erkrankung. So war es Kronprinz Carl Gustaf, der den Nobelpreisträgern ihre Auszeichnungen überreichte. Die Urkunde von Heinrich Böll, das bestätigt René Böll, ist nach dem Einsturz des Historischen Archivs wiedergefunden worden.


Eine Bronzebüste Heinrich Bölls soll 2023 in Köln aufgestellt werden. Dies erklärte Oberbürgermeisterin Henriette Reker am 24. November im Rathaus. Für die Büste, die der Künstler Olivier Graïne geschaffen hat, setzt sich zumal der Publizist Michael Bengel ein. Geplant ist eine Aufstellung am Geburtshaus von Heinrich Böll in der Teutoburger Straße 26 – oder in dessen Nähe. Am Kölner Rathausturm ist seit 30 Jahren eine Steinfigur Heinrich Bölls zu sehen, die der Bildhauer Olaf Höhnen gestaltet hat. (M.Oe.)


Am Abend des 10. Dezembers folgte das Staatsbankett, auf dem Böll eine kurze Rede hielt. Deutschland habe es stets an Gelassenheit gemangelt, sagte er, und sollte dieses Land jemals ein Herz gehabt haben, „lag’s da, wo der Rhein fließt“.

Er erinnerte an Krieg und Vertreibung und an den jungen Mann, der nach der Befreiung „nicht viel mehr besaß als die Hände in der Tasche“. Das Schreiben habe ihn dorthin gebracht, wo er nun stehe: „Mein einzig gültiger Ausweis, den mir niemand auszustellen oder zu verlängern braucht, ist die Sprache, in der ich schreibe.“ Den Preis verstehe er als „Ehre, die wohl nicht nur mir gilt, auch der Sprache, in der ich mich ausdrücke, und dem Land, dessen Bürger ich bin.“

Das Ende eines schwierigen Jahres

Die Nobelpreisverleihung war für den Schriftsteller das gute Ende eines sehr schwierigen Jahres. Dazu gehörten Verleumdung, Gerichtsprozess und Hausdurchsuchung. Böll selbst sprach von einem „Schmäh-Jahr“. Nachdem er im „Spiegel“ einen Artikel über die „Rote Armee Fraktion“ und die „Bild“-Zeitung veröffentlicht hatte, wurde er als Sympathisant der Terroristen diffamiert. Der Aufschrei wurde dadurch befördert, dass die Redaktion die Überschrift geändert hatte. Bölls Titel lautete: „So viel Liebe auf einmal“. Nun stand da: „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“ Diese saloppe Frage legte eine Bekanntschaft oder gar Vertrautheit zwischen Böll und Ulrike Meinhof nahe – wovon keine Rede sein konnte.

Dass die Deutschen ein merkwürdiges Volk seien, betonte Heinrich Böll drei Tage nach der Preisverleihung. Da sprach er in Stockholm zur Eröffnung einer Heinrich-Heine-Ausstellung. „Was singen die Deutschen, wenn sie fröhlich sind?“, fragte er. Und er gab selbst die Antwort: „Sie singen, wenn sie fröhlich sind: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin.““ Dies klinge wie ein Scherz, sagte er auch noch, aber es sei keiner.

Und Köln? Kurz vor Jahresende richtete die Stadt einen Empfang für den frisch gekürten Nobelpreisträger aus. Oberbürgermeister Theo Burauen bat dabei um einen Eintrag ins Goldene Buch, um „die Namen Köln und Böll in einem Buch zu vereinen“. Zehn Jahre später beschloss der Stadtrat, ihm die Ehrenbürgerwürde anzutragen. Oberstadtdirektor Kurt Rossa hatte diesen Schritt in einer Notiz an OB Norbert Burger angeregt. Mit einem starken Argument: „Ich kenne hier sonst keinen Kölner Nobelpreisträger.“