- Den Grünen wird mit Vorliebe vorgeworfen, sie wollten immer nur verbieten – das Schnellfahren, den Dieselmotor, den SUV in der City, die Massentierhaltung, traditionelle Düngeverfahren, sogar Luftballons.
- Wer das kritisiert, verkennt den Charakter der Rechtsordnung komplett, findet unser Autor. Er findet: Wir brauchen nicht weniger, sondern viel mehr Verbote.
Merkwürdig ist das schon: Michael Kretschmer, der gerupfte Wahlsieger der Sachsen-CDU, muss, wie es aussieht, demnächst mit den Grünen in seinem Bundesland koalieren, aber bei „Maybrit Illner“ haut er auf sie – hier in Gestalt von Co-Fraktionschef Anton Hofreiter – drauf, als gelte es, alle Verhandlungstüren ein für allemal zuzuschlagen.
Was dahinter steckt, ist zweifellos interessant, soll aber nicht Thema dieses Beitrags sein. Das ist vielmehr der sattbekannte alte Hut, den Kretschmer da auf den Tisch warf – er ist so alt, dass sich der Ministerpräsident ob seiner Fantasielosigkeit eigentlich schämen müsste: Die Grünen seien die klassische „Verbotspartei“. Ähnlich tönte übrigens am Sonntag sein Gesinnungskollege, Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, in der SUV-Debatte bei „Anne Will“.
Alles will – so hört man es seit Jahren vorzugsweise aus CDU/CSU und FDP – die Ökopartei verbieten: das Schnellfahren, den Dieselmotor, den SUV in der City, die Massentierhaltung, traditionelle Düngeverfahren, sogar Luftballons. Wann der Vorwurf aufgekommen ist, lässt sich schwer rekonstruieren, zu vermuten ist allemal ein Schwenk in der Feindbildorientierung der Konservativen: Seit die SPD als „Planwirtschafts“- und „Sozialismus“-Partei zusehends ausfällt, bekommen eben die erstarkten Grünen einschlägig ihr Fett weg.
Der nicht zu verachtende Gewinn im politischen Grabenkampf, den diese Attacken zeitigen, besteht in ihrem Subtext: Verbote sind das Merkmal autoritärer politischer Systeme, nicht aber einer freiheitlichen Demokratie. Der – freilich so nicht ausgesprochene – Schluss im logischen Dreisatz: Also ist der Freund von Verboten ein Feind der liberalen Demokratie. Dieser Stoß geht aber allein deshalb ins Leere, weil Konservative, wenn es ihnen in den Kram passt, sehr wohl Verbotsfans sein können – gehe es nun um innere Sicherheit oder um die Homo-Ehe.
Unabhängig davon verlohnt es aber durchaus, auf die sachliche Substanz des Vorwurfs einer Verbotskultur einzugehen. Beginnen wir mit dem Vorgang, der den Grünen mutmaßlich das Ergebnis der Bundestagswahl 2013 verhagelte. Es ging im Wahlkampf unter anderem um ihre Idee, einen „Veggie-Day“, einen Vegetarier-Tag pro Woche einzulegen. Der politische Gegner spitzte dies sogleich in dem Sinne zu, die Grünen wollten den Leuten das Fleischessen verbieten.
Davon konnte allerdings keine Rede sein, hier wurde der Begriff „Verbot“ vielmehr demagogisch auf einen Bereich ausgeweitet, wo es gar nicht um ihn ging. Die Grünen hatten vorgeschlagen, jeder möge angesichts der verheerenden Umweltfolgen der Tierproduktion überlegen, ob er nicht einmal in der Woche auf Fleisch auf dem Teller verzichten könne. Das war das Ansinnen, eine ökologisch problematische Lebensweise umzustellen – kein Verbot, das ja auch überhaupt nicht funktionieren würde.Bei anderen Themen – Tempolimit, Düngeverordnungen, Artenschutz etc. – ist es zumindest um die Tatsachenanbindung des Vorwurfs besser bestellt.
Hier wollen die Grünen tatsächlich tendenziell verbieten, wenngleich sie oft genug angesichts des zu erwartenden Gegenwinds nicht die Traute haben, das offensiv zu bekennen. Wie auch immer: Auch die reflexhafte Verbotsächtung als solche verdient Kritik.
Nicht mit der Folge, dass man unter der Parole „Es lebe das Verbot!“ durchs Land zieht. Eines aber ist offensichtlich und eigentlich auch einsichtig: Unser Rechtssystem ist von Verboten durchsetzt, ja, man wird sagen müssen: Die Institution des Verbots ist zentrales Element einer jeden Rechtsordnung.
Es ist genauso verboten, jemanden umzubringen, wie bei Rot über die Ampel zu fahren. Gegen solche Verbote hat im übrigen auch niemand etwas, selbst das Rauchverbot in Gaststätten ist nach anfänglichen Durchsetzungsschwierigkeiten weithin akzeptiert. Verstöße gegen diese Verbote werden als Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verfolgt und geahndet. Also: Schon jetzt kann niemand machen, was er will – und das ist auch gut so.Wer betont locker drauf ist, könnte angesichts der Anti-Verbots-Empörung abwiegelnd konstatieren: Es gibt schon so viele Verbote, da kommt es auf eines mehr oder weniger auch nicht an. Dies signalisierte indes eine falsche Gleichgültigkeit, denn jedes vom Gesetzgeber verhängte Verbot, das in das Leben von Menschen eingreift, ist begründungspflichtig – es muss sich ja auch vor einer Inkraftsetzung in Parlament und diskutierender Öffentlichkeit im Feuer des Für und Wider bewähren.
Selbstverständlich ist die Verhängung von Verboten abhängig von der politischen Konstellation: Was eine Regierung verbieten lässt, das kann ihre gegnerische Nachfolgerin nach Maßgabe eigener Schwerpunktsetzung aufheben. Insofern sind – in der Demokratie – Verbote wie alle Gesetze nicht in Stein gemeißelt, sondern revisionsanfällig. Daraus lässt aber kein Argument für eine grundsätzliche Verbotskritik gewinnen.
Für das Funktionieren unabdingbar
Ein anderes mögliches Gegenargument wäre, dass traditionelle Verbote – vom Tötungsverbot bis zu den Verkehrsregeln – für das Funktionieren eines Gemeinwesens unabdingbar sind, während die „grünen“ Verbotstypen unstatthafte Eingriffe in individuelle Lebensstile darstellen, die korrekterweise niemanden außer die Betroffenen selbst zu interessieren hätten. Dieser Einwand aber wäre falsch: Der PKW-Fahrer, der mit 180 über die Autobahn brettert, fröhnt nicht nur seinem persönlichen Vergnügen, vielmehr schädigt der erhöhte Schadstoffausstoß seines Wagens Umwelt und Mitbürger. Der Landwirt, der mit seinen bequem-eingefahrenen Düngemethoden, von denen er nicht lassen will, zum Insektensterben beiträgt, tut ebenso etwas, das alle betrifft.
Unter dieser Perspektive wächst – prozedural einwandfrei zustande gekommenen – Verboten eine starke normative Kraft zu. Sowieso werden wir, wenn wir die Lebensgrundlagen auf diesem Planeten erhalten wollen, um eine entwickelte „Verbotskultur“ nicht herumkommen. Und überhaupt auf vieles Gewohnte verzichten müssen. Spricht das jemand so deutlich aus, wie die Krise es verlangt?