Städtische MuseenWas der Kölner Kulturgeschichte die nächsten Jahre fehlen wird
Köln – Aus so viel Vergangenheit müsste sich doch eine große Zukunft machen lassen. So lautet, stark verkürzt, die Idee hinter der Via Culturalis, einem Kulturpfad, der Köln in absehbarer Zeit zu einem touristischen Alleinstellungsmerkmal verhelfen soll. Mit den Neubauten in der „Historischen Mitte“ und des Jüdischen Museums soll im Herzen der Stadt eine Straße der Kultur entstehen, die das Weltkulturerbe der Hohen Domkirche auf engstem Raum mit alter und moderner Kunst verknüpft - vor allem aber mit mehr als 2000 Jahren Stadt- und Weltgeschichte. Um diese Via Culturalis herum könnte eine Museumsinsel entstehen, die es selbst in Berlin nicht gibt und mit der sich die Anziehungskraft der Stadt maßgeblich vergrößern ließe.
Für die Via Culturalis braucht es gerade besonders viel Fantasie
Die gedachte Zeitleiste der Via Culturalis beginnt im Römisch-Germanischen Museum (RGM), das den archäologischen Schatz der römischen und germanischen Siedlungsgeschichte im Rheinland hütet, und wendet sich anschließend dem Kölnischen Stadtmuseum zu.
Erst danach folgen, historisch gesehen, die kirchliche Domschatzkammer sowie die städtischen Kunstmuseen. Allerdings braucht es derzeit eine besonders üppig blühende Fantasie, um den Kulturpfad in Gedanken abzuschreiten: Das RGM ist seit 2019 in einer architektonischen Notlösung untergebracht, das Stadtmuseum soll die seine in diesem Herbst beziehen.
Wie lange diese Zwischennutzungen dauern, ist angesichts der sich hinziehenden Sanierungs- und Neubaupläne beider Häuser ungewiss. Das RGM residiert im Belgischen Haus, der Mietvertrag läuft vorerst bis 2026.
Für die Zwischenstation des Stadtmuseums im ehemaligen Modehaus Sauer gibt es noch keinen offiziellen Eröffnungstermin; der endgültige Umzug in die „Historische Mitte“ soll im Jahr 2029 erfolgen. Selbst im Idealfall beginnt die Via Culturalis also auf Jahre hinaus in Behelfsquartieren. Diese haben zwar durchaus Charme. Aber dem Reichtum der Stadtgeschichte werden sie nicht annähernd gerecht.
Schon im sanierungsfälligen Zeughaus platzte die Sammlung des Stadtmuseums aus allen Nähten – und das aus guten Gründen. Im Mittelalter war Köln eine der wichtigsten Pilgerstätten des Christentums und aufgrund seiner zentralen geografischen Lage eine der bedeutendsten Handelsstädte in ganz Europa. Köln war reich und frei und selbstbewusst, was neben der bis Ende des 18. Jahrhunderts gültigen Stadtverfassung von 1396 auch das gotische Stadtsiegel bezeugen kann. Allerdings war Köln auch damals schon besonders: Mit dem ersten, um das Jahr 1115 entstandenen Siegel brannte 1267 ein abgesetzter Bürgermeister durch.
Insgesamt besitzt das Stadtmuseum über 300.000 historische Objekte, im Modehaus Sauer werden rund 530 davon zu sehen sein. Bis zum Umzug in die neue „Historische Mitte“ müssen sich die Kuratoren mit beengten Verhältnissen arrangieren. Standen ihnen im Zeughaus immerhin (auch nicht gerade üppig bemessene) 2500 Quadratmeter an Ausstellungsfläche zur Verfügung, so werden es im Interim lediglich 750 sein. Bei der Präsentation des Museumskonzepts wurde die Schrumpfkur ins Positive gewendet und das Modehaus wahlweise zum Schaufenster, Labor oder zur Experimentierbühne erklärt.
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Tatsächlich wird im Interim die etwas altbackene chronologische Präsentation der Stadtgeschichte aufgegeben und durch acht „Frageräume“ ersetzt. In ihnen werden altbekannte und noch nie gezeigte Objekte um Fragen wie „Was verbindet uns?“, „Was bewegt uns?“, Worauf hoffen wir?“ oder „Was macht uns Angst?“ arrangiert - und dadurch, so jedenfalls die Hoffnung der Stadtmuseums-Kuratoren, näher an die Lebenswirklichkeit der Besucher gerückt. Es gehe um die „Emotionalisierung der Stadtgeschichte“; die nüchterne Basis dafür wird mit einem historischen Schnelldurchlauf am großen Stadtmodell gelegt.
Auch das RGM erzählt die kölnische Frühgeschichte derzeit auf kurze Distanz. Im Belgischen Haus stehen Direktor Markus Trier rund 1000 Quadratmeter zur Verfügung, nach Zahlen wird etwa ein Viertel der am Roncalliplatz präsentierten Ausstellungsstücke gezeigt. Zwei ebenso unverrückbare wie wesentliche Exponate blieben im alten Schaufenster zurück: das rauschhafte Dionysos-Mosaik im Keller, darüber droht mit dem Poblicius-Grabmal weiterhin der nahe Untergang.
Historische Tiefe scheint nach räumlicher Weite zu verlangen
Im RGM-Stammhaus wurden Glanzstücke wie das weltberühmte Diatret-Glas mitunter geradezu versteckt – wer nicht mit der Nase darauf gestoßen wurde, ging am kunstvoll verzierten Prunkglas ahnungslos vorüber. Erklären ließ sich das am ehesten mit dem Überfluss großartiger archäologischer Funde aus römischer und germanischer Zeit. Ein Überfluss, dessen Ende nicht abzusehen ist: Bei größeren Kölner Bauvorhaben graben sich die Museumsleute erst einmal durch die Frühgeschichte der Stadt.
Im Belgischen Haus steht das Braunsfelder Juwel nun endlich in einer eigenen Vitrine, und auch sonst hat Trier erstaunlich viel aus der alten Sammlungspräsentation „gerettet“, wenn auch um den Preis, dass vor allem das Erdgeschoss übervoll erscheint – historische Tiefe scheint nach räumlicher Weite zu verlangen, so dicht ist die Auslage sonst nur im Museumsshop bestückt.
Inhaltlich gibt es selbstredend wenig auszusetzen. Gleich im Foyer begegnen wir den erstaunlichen „Menschen im römischen Köln“, später einer steinernen Medusa, Gottheiten, Werkzeugen und immer wieder Zeugnissen aus dem Alltagsleben einer römischen Stadt am Rhein. Köln war eine Kolonie, die in ihrer ersten Blüte mit Pompeji und Karthago verglichen wurde – und sich neben diesen Metropolen der Antike geradezu gut gehalten hat. Trotzdem verfolgte einem beim Gang durchs „neue“ RGM ein Gefühl verlorener Herrlichkeit: War Köln um das Jahr 500 nach Christus womöglich zuletzt eine funktionierende Stadt?