WDR-Intendant Tom Buhrow„Die Menschen lieben, was wir tun und was wir bieten“
- Der WDR-Intendant und ARD-Vorsitzende Tom Buhrow spricht über den Vorwurf, der öffentlich-rechtliche Rundfunk berichte zu unkritisch über den Umgang der Bundesregierung mit der Corona-Krise.
- Lesen Sie hier das ganze Interview.
Herr Buhrow, welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie auf die Arbeit des WDR?
Corona war und ist schon eine enorme Belastung für alle. Im WDR haben wir seit Beginn der Pandemie einen Krisenstab. Er führt uns gut durch diese Krise. Wir hatten bisher keine Infektionsketten im WDR. Wir haben seit knapp einem Jahr einen Anteil an Homeoffice von etwa 50 Prozent. Alles in allem haben wir die Situation gut im Griff. Natürlich hat Corona auch unser Programm stark geprägt – etwa durch unsere Bildungsangebote für Schülerinnen und Schüler. Die Online-Seiten der Sendung mit der Maus und von Planet Wissen hatten in den vergangenen Wochen rund doppelt so viele Abrufe wie sonst.
Nicht so gut lief es mit der geplanten Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent, weil es in Sachsen-Anhalt keine Zustimmung gab. Wie geht es nun weiter?
Wir haben ja sofort Verfassungsbeschwerde und Eilanträge beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Das Gericht hat keine einstweiligen Anordnungen erlassen und auf sein ausstehendes Urteil in der Hauptsache verwiesen. Auf das warten wir jetzt. In der Zeit bis zum Urteil fällt natürlich die Beitragsanpassung aus.
Mit welchem zeitlichen Rahmen rechnen Sie?
Wie lange das dauert, kann ich nicht sagen. Wir warten respektvoll ab, bis das Verfassungsgericht ein Urteil gefällt hat. Unsere Rechtsposition ist klar: Durch die Nichtabstimmung in Sachsen-Anhalt ist der Staatsvertrag zunächst nicht zustande gekommen. Wir sehen darin einen klaren Bruch des Verfassungsrechts.
Sie rechnen mit einem für die Öffentlich-Rechtlichen positiven Ausgang?
Das tun wir. Aus unserer Sicht ist es ganz eindeutig und für die ganze Bundesrepublik ersichtlich, dass es in Sachsen-Anhalt bei AfD und CDU nicht primär um die Höhe des Rundfunkbeitrags in den nächsten vier Jahren ging.
Besonders die AfD hat dort im Landtag Stimmung gemacht gegen die Öffentlich-Rechtlichen. Beunruhigt es Sie nicht, dass sie damit viele Menschen erreicht?
Beispiele aus Ländern wie der Schweiz oder Ungarn zeigen, dass rechte Populisten immer zuerst gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu Felde ziehen. Danach nehmen sie die Parlamente und die Justiz ins Visier. Es geht ihnen in der Konsequenz um alle Institutionen unseres demokratischen Gemeinwesens.
Sie hätten nichts tun können, um diesen Ausgang abzuwenden?
Im Landtag Sachsen-Anhalt hätten wir nicht mehr tun können. Die CDU-Fraktion war festgelegt. Wenn Sie auf unsere Legitimation bundesweit anspielen: Die Vorbehalte vieler Menschen im Land, auch in Sachsen-Anhalt, beziehen sich auf die Finanzierung und das Beitragsmodell, nicht in erster Linie auf das Programm. Die Zustimmung für unser Programm ist in allen Bundesländern hoch, auch in Ostdeutschland. Gerade auch jetzt in Zeiten der Pandemie. Und wir haben nachgebessert: Die ostdeutschen Regionen finden zum Beispiel seit dem Sommer deutlich mehr Beachtung in den Tagesthemen.
Gibt es denn Lehren, die Sie aus den Vorgängen ziehen?
Eine Lehre ist: Wir müssen scharf trennen zwischen einer Reformdebatte über unseren Auftrag und einer Finanzierung für vier Jahre aufgrund des zurzeit noch bestehenden Auftrags. Ich stehe für Reformen. Ich habe beim WDR vom ersten Tag an auch schmerzhafte Reformen durchgezogen. Ich habe dafür auch interne Konflikte in Kauf genommen. Wir in der gesamten ARD stehen für Reformen. Aber jetzt muss die Gesellschaft klar sagen: Was will sie von uns in Zukunft? Was will sie mehr, was will sie vielleicht auch weniger?
Und es ist nicht an Ihnen, diese Fragen zu beantworten?
Das sind vor allen Dingen politische Fragen und die kann und darf auch nur die Politik beantworten. Der Vorsitzende der KEF, Heinz Fischer-Heidlberger, hat sinngemäß gesagt: „Alles, was die Öffentlich-Rechtlichen machen, haben Sie, liebe Politiker, ihnen doch ins Pflichtenheft geschrieben. Das ist ein gesetzlicher Auftrag. Wenn Sie da etwas ändern wollen, müssen Sie den Auftrag ändern.“ Anders ausgedrückt: Wenn ich einen Handwerker bestelle, muss ich vorher ganz genau beschreiben was sein Auftrag ist – und nicht erst wenn die Rechnung auf dem Tisch liegt. In unserem Fall wird die Rechnung sogar von einem unabhängigen Gutachter ausgestellt, der KEF.
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Sie haben eben die Schweiz erwähnt. Dort wurde der öffentlich-rechtliche Rundfunk deutlich reformiert nach der Volksabstimmung. Braucht es eine solche Debatte nicht auch in Deutschland?
Ein klares Ja. Wie viel Kultur, wie viel Sport, wie viele Hörfunkwellen will man von uns in Zukunft? Das sind legitime Fragen, die die Gesellschaft stellen darf. Aber das hat nichts mit den 86 Cent für die nächsten vier Jahre zu tun. In Deutschland folgt die Höhe des Rundfunkbeitrags dem Auftrag. Dann muss man sich die Mühe machen und sagen: Wir als Gesellschaft wollen einen neuen Auftrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für die nächsten Jahrzehnte.
Bis dahin können Sie nichts tun?
Entschuldigung, wir reformieren ja bereits kräftig. Eine meine ersten strukturellen Maßnahmen war es, 500 Planstellen beim WDR abzubauen. Das ruft auch interne Konflikte hervor, etwa wegen Arbeitsverdichtung. Über die Sie dann ja auch ausführlich berichten – dann allerdings vorwurfsvoll. Wissen Sie noch, als wir das Hänneschen-Theater aus dem Programm genommen habe? Darauf werde ich heute noch angesprochen. Die Menschen lieben, was wir tun und was wir bieten. Und gleichzeitig wird gesagt: Ihr müsst euch verschlanken. Wenn es etwa in Sachsen-Anhalt hieß, wir hätten zu viele Orchester oder zu viele Hörfunkwellen, und ich gefragt habe, welche ihrer eigenen Landeswellen sie denn abschalten würden, hieß es: bei uns keine. Da geht es auch um Standortinteressen.
Haben Sie denn vielleicht ein Vermittlungsproblem, wenn vielen Beitragszahlern offensichtlich nicht klar ist, wie die Prozesse ablaufen?
Es gibt in ganz Deutschland kaum eine Einrichtung, die so kontrolliert und durchleuchtet wird wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Wir haben unsere Aufsichtsgremien. Wir haben Landesrechnungshöfe, die auf uns gucken. Wir haben die KEF als externen, unabhängigen Gutachter.
Wo sehen Sie denn im Rahmen des aktuellen Auftrags noch Einsparpotenziale?
Wir befinden uns aktuell im größten Reformprozess in der Geschichte der ARD. Das macht allein in der jetzt begonnenen Beitragsperiode bis 2024 über 300 Millionen Euro aus. Und dann noch einen weiteren dreistelligen Millionenbetrag bis Ende des Jahrzehnts. Bei diesen Reformen geht es um alles, was das Programm nicht beschädigt. Da geht es um Datenverarbeitung, die Archive, Kooperationen, um alles, was hinter den Kulissen stattfindet. Jetzt sind wir an dem Punkt, an dem man ehrlich sein muss. Man kann nicht sagen: Reform, Reform, Reform, aber wir wollen keine Abstriche an dem, was zu sehen und hören ist.
Deutschlandradio hat gerade den Tarifvertrag gekündigt wegen der ausstehenden Erhöhung des Beitrags. Droht das auch beim WDR?
Nein. Wir haben unseren Tarifvertrag nach langen Verhandlungen und Warnstreiks sehr vernünftig abgeschlossen und zwar so, dass der Verzicht auf die Sonderkündigungsklausel Teil des Pakets war.
Sie haben „Horizont“ gesagt, dem WDR würden durch die Nichterhöhung der Beiträge 180 Millionen Euro entgehen. Sie gehen nicht davon aus, dass dieser Fall eintritt, aber können Sie dennoch skizzieren, welche Folgen es hätte, wenn es langfristig keine Beitragserhöhung gäbe
Ich lege Ihnen jetzt keine Liste von Kürzungen vor, die dann unser geschätztes Publikum treffen. Ich bleibe optimistisch, nicht nur was unser Budget angeht, sondern auch was das ganze Verfahren angeht.
Aber Sie wünschen sich ein anderes Verfahren, bei dem nicht jedes Landesparlament zustimmen muss, oder?
Ich habe keine Forderungen zu stellen, was das angeht. Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich aus der Politik gehört habe, dass die Energie und Zeit, die bis hin zu Staatskanzleien in diesen Konflikt hineingeflossen sind, Spuren hinterlassen haben. Ich nehme an, dass man in manchen Staatskanzleien überlegt, wie man es so organisieren kann, dass es nicht immer so viele Kräfte bindet.
Lassen Sie uns noch mal auf die Corona-Pandemie zu sprechen kommen. Haben die Öffentlich-Rechtlichen bisher gut und umfassend darüber berichtet?
Bei aller Kritik, die man im Detail rückwirkend in manchen Phasen äußern kann, haben die deutschen Qualitätsmedien insgesamt vorbildlich berichtet. Wir sehen es ja auch daran, dass der Zuspruch enorm gewachsen ist. Ich glaube, dass wir in Deutschland deshalb besser und ohne allzu große Polarisierung durch diese Krise gekommen sind, als das in anderen Demokratien zu beobachten war.
Hätten die Medien nicht der faktenbasierten Kritik an der Corona-Politik mehr Raum geben müssen?
Diese selbstkritischen Diskussionen finden bei uns natürlich statt: Haben wir immer alles richtig gemacht? Aber wir müssen uns insgesamt nicht zu sehr in Zerknirschung üben, was die erste Phase vor einem Jahr anging. Weil wir da nur den Kenntnisstand hatten, den wir eben hatten. Wir waren ja nicht unkritisch. Ich bin ohnehin überzeugt, der Hauptvorwurf an uns – die gesamte Medienlandschaft – ist nicht, dass wir unkritisch seien, sondern im Gegenteil: dass man es uns nicht recht machen könne, dass wir alles schlecht machten. Alles in allem haben wir uns während der Pandemie in den Dienst der Bürgerinnen und Bürger gestellt.
Die Leute wollen weniger kritische Berichterstattung?
Sie drehen mir das Wort im Munde um. Die Menschen vermissen, dass wir auch Zuversicht vermitteln, dass wir nicht nur Probleme benennen. Ich habe meinen Beruf immer so betrieben, dass wir am Ende einen Dienst tun, um das Gemeinwesen besser zu machen. Zuversicht ist doch nichts Schlechtes.