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WDR Konzert mit Manfred HoneckEin provokantes, vielleicht sogar anstößiges Programm

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Der österreichische Dirigent Manfred Honeck leitet am 20.05.2016 während eines Auftritts das Pittsburgh Symphony Orchestra in Hannover (Niedersachsen).

Der österreichische Dirigent Manfred Honeck vor einigen Jahren bei einem Auftritt in Hannover.

In der Kölner Philharmonie kombinierte Dirigent Manfred Honeck Stücke eines Nazi-Mitläufers und eines Verfolgten.

Wer bitte? Franz Schmidt? Es kommt selten vor, dass der traditionelle sinfonische Kanon so dezidiert aufgebrochen wird wie im jüngsten WDR-Konzert in der Kölner Philharmonie. Manfred Honeck, einer der beliebtesten Gastdirigenten des Sinfonieorchesters, hatte auf die Agenda die vierte Sinfonie des österreichischen Spätromantikers (1874-1939) genommen, den ausgefuchste Experten als Verfasser des seinerzeit sehr erfolgreichen Oratoriums „Das Buch mit den sieben Siegeln“ kennen mögen. Und nicht nur das: Von der Sinfonie durch Beethovens viertes Klavierkonzert getrennt, erklangen zu Beginn Erwin Schulhoffs fünf Stücke für Streichquartett, hier bearbeitet für großes Orchester von Tomás Ille und Honeck himself. Das darf eine spektakuläre, provokante, ja vielleicht sogar anstößige Zusammenstellung genannt werden. Den Grund dafür liefern die Biografien der Komponisten: Schulhoff, jüdischer Herkunft, wurde von den Nazis verfolgt und in den Tod getrieben, während Schmidt an seinem Lebensende den „Anschluss“ Österreichs feierte und den Machthabern huldigte.

Bei Beethoven glänzte Yulianna Avdeeva mit einer inspirierten Darstellung

Beide Komponisten in einem einzigen Konzert traut vereint? Das mag in der Tat grenzwertig sein. Retten können diese Zusammenstellung keineswegs peinliche, weil anmaßende Konzepte wie das einer Versöhnung über den Gräbern oder ähnliches. Zu erwägen wäre allenfalls Folgendes: Kunst kann sich auch von ihren Entstehungsumständen lösen, und mit seiner 1934 uraufgeführten Sinfonie, de facto einem instrumentalen Requiem auf seine verstorbene Tochter, setzte der spätere Nazifreund Schmidt definitiv keine „faschistische“ Musik ins Werk. Spätromantik umfasst ja ein breites Spektrum mit sehr unterschiedlichen ideologischen Hintergrunddispositionen, das von Strauss bis zu Zemlinsky und Schreker reicht (an welche die üppige, schwelgende, stark chromatisierte Tonsprache Schmidts zuweilen erinnern mag) und sich negativ dadurch definieren lässt, dass die ihr zugehörigen Komponisten den Weg der Schönberg-Schule in die Atonalität nicht mitmachten (Schmidt teilt mit Schönberg immerhin das Geburtsjahr).

Keine Frage: In ihren Phrasenspannungen und Steigerungsbögen so intensiv interpretiert wie von Honeck und dem fabelhaft aufgelegten WDR-Orchester, entfaltet diese Sinfonie einen eigentümlichen Reiz. Der reicht von der originellen Großform (Einsätzigkeit in der Mehrsätzigkeit) über die dichte Konstruktion (alles entfaltet sich aus dem anfangs von der Trompete intonierten Kernmotiv mit seinen chromatisch ineinander geschachtelten fallenden Quarten) über die strömenden, schier nicht enden wollenden Melodien bis zum suggestiven instrumentalen Kolorit der Bläserfarben. Einziger Nachteil: Das Werk ist etwas zu lang, Substanz und Ausdehnung sind nicht vollends befriedigend austariert.

Die übrigen Programmteile verblassten demgegenüber keineswegs: Schulhoffs Quartettsätze über Tanzcharaktere gewannen durch die Bearbeitungen und Honecks energische Rhythmisierung einen durchaus ungewohnten Appeal – da erinnerte etwa der einleitende Wiener Walzer auf einmal auffällig an Ravels „La Valse“. Und im Beethoven-Konzert glänzte die Solistin Yulianna Avdeeva mit einer inspirierten, hochmusikalischen Darstellung: schlank, silbrig, aber immer substanzreich im Anschlag, auch sie rhythmisch fokussiert und zugleich mit schönem Sinn für die erfüllte lyrische Phrase. Eine exzellente Balance von Ruhe und Bewegung, die wahrhaft „klassisch“ genannt zu werden verdient.