AboAbonnieren

Yilmaz DziewiorWarum das Kölner Museum Ludwig diverser werden muss

Lesezeit 5 Minuten

Yilmaz Dziewior, Direktor des Museum Ludwig

Köln – Lange glichen westliche Kunstmuseen geschlossenen Gesellschaften, in denen weiße Männerclubs zu Hause waren. Diese Zeiten sind vorbei, und auch wenn kaum jemand auf den Gedanken kommt, Pablo Picasso oder Andy Warhol wegen Geschlecht und Hautfarbe aus dem Haus zu werfen, sieht eine jüngere Generation von Museumsdirektoren mit Verdruss, welche Lücken etwa Frauenfeindlichkeit, Rassismus und kultureller Dünkel in ihren Sammlungen gelassen haben. Zum schlechten Gewissen über die Fehleinschätzungen vergangener Jahre gesellt sich dabei die professionelle Sorge, etwas Wichtiges zu versäumen.

Seit Yilmaz Dziewior das Kölner Museum Ludwig führt, spielt das Thema Diversität am vornehmlich für seine Picasso- und Pop-Art-Bestände weltberühmten Haus sowohl in den Wechselausstellungen wie bei den Ankäufen eine herausragende Rolle. Für Dziewior ist das Bemühen um Werke von weiblichen, afroamerikanischen oder außereuropäischen Künstlern freilich kein kulturpolitischer Selbstzweck, sondern der Versuch, die vergangene und aktuelle Wirklichkeit im Museum abzubilden – und die sei auch und gerade in Köln deutlich vielfältiger als der lange gültige Kunstkanon vermuten lasse.

40 Prozent der Kölner haben einen sogenannten Migrationshintergrund

„Ich war erstaunt zu lesen“, so Dziewior, „dass 40 Prozent der in Köln lebenden Menschen einen sogenannten Migrationshintergrund haben. Es ist unsere Aufgabe als Museum Ludwig, das auch zu spiegeln, weil wir nur relevant sind, wenn das Publikum mit uns etwas anfangen kann.“ Gerade die große türkische und türkischstämmige Gemeinschaft der Stadt wurde im Ludwig zuletzt umworben: mit Erwerbungen von Ayse Erkmen und Gülsün Karamustafa, einer Nil-Yalter-Werkschau und der aktuellen Ausstellung „Vor Ort“ mit Fotografien von Arbeitsmigranten. „Warum soll jemand ins Museum kommen“, fragt Dziewior, „wenn er oder sie sich hier nicht wiederfindet oder keine Anhaltspunkte für die eigenen Interessen erkennen kann?“

Im Bereich der zeitgenössischen Kunst sieht Dziewior sein Haus bereits auf einem guten Weg zu größerer Diversität. „Das Thema ist uns sehr wichtig, aber es ist auch eine große Herausforderung. Denken Sie daran, was alles dazugehört: die Geschlechter, sexuelle Orientierung, kulturelle und soziale Herkunft, das ist extrem vielfältig.“ Die eigene Sammlung entsprechend zu ergänzen sei ein offener Prozess. „Wir lernen ja ständig Neues dazu.“ Es gebe ein allgemeines Ziel, aber vieles lasse sich nicht planen. „Es geht um Fragen wie: Was ist verfügbar, was können wir uns leisten, was wird uns als Schenkung angeboten?“

Das könnte Sie auch interessieren:

In der Kunst des 20. Jahrhunderts vermutet Dziewior noch etliche weiße Flecke. „Wir brauchen ganz allgemein viel mehr Recherche, und da, wo sie betrieben wurde, laufen uns die Preise davon. Wir konnten gerade drei Arbeiten von Maria Marc erwerben, die glücklicherweise auch am Markt noch total unterbewertet ist. Hilma af-Klint können wir uns dagegen nicht mehr leisten. Wir sind oft zu spät dran für Ankäufe, aber hoffentlich nicht zu spät für Erwerbungen durch Schenkungen.“

Ist Diversität in den Kunstmuseen also letztlich eine Frage des Geldes? Nicht nur, aber eben auch: „Die Künstler geben uns Preisnachlässe“, sagt Dziewior, „aber wenn Arbeiten zwei Millionen Euro kosten, helfen 20 Prozent Rabatt wenig, da helfen leider nicht mal 50 Prozent.“

Diversity Logo Neu

Als städtisches Museum ist das Ludwig vergleichsweise kärglich ausgestattet; das jährliche Budget für Neuerwerbungen beträgt 500000 Euro und wird von der privaten Peter und Irene Ludwig Stiftung regelmäßig um denselben Betrag aufgestockt. „Unser Ankaufsetat ist der Bedeutung unseres Hauses nicht angemessen“, sagt Dziewior dazu. „Die Sammlung ist vergleichbar mit denen der Tate Gallery und des Centre Pompidou, aber wir sind weit von deren finanziellen Ressourcen entfernt.“

Einiges lasse sich mit Hilfe der mäzenatischen Freundeskreise erreichen, zudem spreche man gezielt Sammler auf Schenkungen an. Aber dies lasse sich nicht forcieren, man müsse die Sammler vielmehr behutsam davon überzeugen, dass das Ludwig die richtige Heimat für ihre Werke ist. Auch das in den USA übliche Kultursponsoring sei in Deutschland kein Königsweg. „Ich wüsste nicht, wer uns so viel Geld geben könnte, dass wir einen Museumsflügel nach ihm benennen. Das würde schon ordentlich was kosten.“

Auch das Personal des Museum Ludwig soll diverser werden

Aber selbstredend hängt auf dem Weg zu größerer Diversität nicht alles am Geld – sondern vieles von den Menschen ab. „Ich merke“, so Dziewior, „dass Menschen aus anderen Kulturkreisen ein größeres Interesse daran haben, sich mit der Vielfalt der Kulturen zu beschäftigen, selbst wenn sie in Deutschland geboren sind. Als Institution müssen wir uns daher fragen: Wie kann unserer Team diverser werden?“ Das gelte jedenfalls auf der Leitungsebene, den wissenschaftlichen Kuratoren, dort sei das Haus „relativ homogen, gerade was die kulturelle Herkunft angeht“. Dziewior, der aus einem polnisch-türkischen, aber vor allem Bonner Haushalt stammt, nimmt sich dabei keinesfalls aus.

Mit dem Streben nach größerer Vielfalt beim Personal scheint es Dziewior ähnlich ernst zu sein wie bei den Ankäufen. „Diversität ist kein Altruismus“, betont er, „keine großzügige Geste, andere teilhaben zu lassen, sondern auch purer Eigennutz. Viele große Wirtschaftsunternehmen haben festgestellt, dass diverse Belegschaften produktiver sind als homogene, weil nicht alle in die gleiche Richtung denken.“

Außen hui, innen auch: Eingang zum Museum Ludwig

Trotzdem müssen sich verdiente Ludwig-Kuratoren wie Julia Friedrich oder Stephan Diederich wohl keine Sorgen um ihre Arbeitsplätze machen: „Das sind Dinge, die sich über einen längeren Zeitraum entwickeln müssen und sich nicht so rasch ändern lassen wie ein Ausstellungsprogramm“.

Die Frauenquote wird in Direktion und wissenschaftlicher Abteilung des Museum Ludwig schon jetzt mehr als übererfüllt – aktuell liegt das Verhältnis bei zwei Männern zu neun Frauen. Eine Quote für gesellschaftliche Minderheiten würde Dziewior nicht grundsätzlich verneinen. „Aber das ist ein sensibles Gebiet“, sagt er, „weil niemand gerne Stellvertreter für eine Gruppe sein will. Wichtiger fände ich, dass wir Mitglieder von Minderheiten etwa in Stellenausschreibungen direkt ansprechen und explizit auffordern, sich zu bewerben. Es geht um eine Änderung des Bewusstseins. Mit einer Quote allein ist dies ohnehin nicht getan.“