Interview mit Aminata Belli„Da kannst du so viel arbeiten, wie du willst, es bringt dir nichts.“

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Andreas lebte fünf Jahre lang auf den Straßen von Wiesbaden. Vor über einem Jahr hat er einen Schlafplatz in der "Teestube" bekommen.

Andreas lebte fünf Jahre lang auf den Straßen von Wiesbaden. Vor über einem Jahr hat er einen Schlafplatz in der 'Teestube' bekommen.

Aminata Belli traf für die ZDF-Doku-Reihe „Kiez & Knete“ arme und reiche Menschen in Deutschland. Ein Interview über die Frage, mit wem sie leichter ins Gespräch kam und ob über Armut angemessen im deutschen Fernsehen berichtet wird.

Frau Belli, Sie haben für die Reihe „Kiez & Knete“ arme und reiche Menschen in Deutschland in Städten wie Wiesbaden und Hamburg begleitet. Mit wem kamen Sie leichter ins Gespräch?

Es war schwerer mit reichen Menschen zu sprechen, weil die Hürde für sie höher ist. Ich glaube, die Ausgangsfrage ist: Was habe ich davon? Wenn die armutsbetroffene Person darüber spricht, hat sie nichts zu verlieren, sondern kann eher etwas gewinnen, zum Beispiel Verständnis. Es könnte vielleicht dafür sorgen, dass es Veränderungen gibt.

Und bei den Reichen?

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Bei ihnen sind ja eher die Probleme, über die man reden sollte, nicht die, die sie hören wollen. Etwa wenn es um die Erbschaftssteuer geht. Es gibt zwar Leute, die reich erben und dennoch dafür sind, dass es mehr besteuert wird, aber die Mehrheit ist zurückhaltender. Viele sind es auch deshalb, weil sie schon negative Erfahrungen gemacht haben. Die Allgemeinheit schaut auf eine reiche Person anders als auf eine armutsbetroffene.

Interview mit der Reporterin Aminata Belli

Die reichen und armen Menschen leben zwar in derselben Stadt, aber ihre Welten berühren sich nie. Die eine weiß nicht, wie sie über die Runden kommen soll, der andere findet ein Bild für 61.000 Euro nicht besonders teuer.

Genau. Das mit dem Bild sagt viel mehr aus, als wenn man nur fragt, was man im Monat verdient. Es sind die Kleinigkeiten, an denen man merkt, das ist so sehr deine Realität, dein „normal“, dass du es eigentlich gar nicht reflektierst. Deshalb ist es auch interessant zu sehen, dass viele der Leute nicht unbedingt gesagt haben: Ich bin reich oder ich bin arm. Zum Beispiel hat der wohnungslose Mensch in Wiesbaden gesagt, er sei nicht arm, weil er ja Bürgergeld erhält. Leute, die hierher aus dem Ausland kommen, hätten ja nicht mal das. Und reiche Leute sagen, sie seien doch nicht reich, sie hätten ja keine Yacht. Am Ende des Tages hat alles nur mit Kontext zu tun. Man vergleich sich immer mit dem, was nebenan ist.

Und sieht dann auch nur seine Situation?

Ja, Christian, einer von den Reichen, ist überzeugt davon, dass es auch schwierig ist, wenn du mit dem goldenen Löffel geboren wirst. Das sei so ein Druck für die Kinder. Aber diese Kinder haben so viel Macht von der ersten Sekunde an, in der sie diese Welt betreten. Meistens vermischen sich die Realitäten ja auch nicht. Viele armutsbetroffene Menschen haben keine reichen Freunde und umgekehrt, die hören sich gegenseitig nicht unbedingt zu und denken deshalb auch nicht über die Probleme der anderen nach.

Sie kommen aus einer Arbeiterfamilie, Ihr Vater kam als Flüchtling nach Deutschland. Viele werden sagen, Sie sind der Beweis, dass dennoch alles möglich ist in Deutschland.

Ja, ich habe es geschafft. Und ich hoffe, dass das vielleicht manche jungen Mädchen motiviert. Aber man muss dennoch immer auf das System schauen, und da ist es so, dass Menschen, die einen Migrationshintergrund haben, nicht so schnell aufs Gymnasium kommen und es schwerer haben.

Die „deep und deutlich“-Moderatorin kritisiert die Berichterstattung über Armut

Leiden Sie am Hochstapler-Syndrom, also an dem Gefühl, nicht so recht dazuzugehören?

Ich würde nicht von Hochstapler-Syndrom sprechen, aber in der Klasse, in der man sozialisiert worden ist, bleibt man mit dem Herzen. Das habe ich auch erlebt, als ich abseits vom Dreh mit Leuten darüber gesprochen habe, ob sie reich sind. Viele sagen, sie seien es nicht, obwohl ich weiß, dass sie es sind. Aber wenn man die Klasse wechselt, fühlt man sich einfach nicht zugehörig. Das ist wie bei einem Jetlag. Wenn man von einem Land zum anderen fliegt, muss man sich erst einmal eingewöhnen. Selbst Olaf Scholz meinte ja mal, er sei Mittelstand. Er fühlt sich vielleicht so, aber das ist nicht die Realität.

Wenn arme Menschen im Fernsehen gezeigt werden, ist immer die Gefahr groß, sie einem gewissen Voyeurismus auszusetzen, Was haben Sie getan, um das zu verhindern?

Ja, bei anderen Formaten sieht man Leute ohne Zähne, die den ganzen Tag nur Zigaretten stopfen. Das ist sicher kein Zufall, die werden gecastet. Patricia, die armutsbetroffene junge Mutter in Wiesbaden, studiert und kauft nur bio ein. Aber Armut findet überall statt, nicht nur da, wo es sichtbar ist. Man braucht Feingefühl am Set und darf nicht nur reißerische Bilder zeigen.

Berichten die Medien zu selten auf eine angemessene Weise über diese Themen?

Ja, wenn wir über Armut sprechen, denken die Leute an Kinder in Asien und Afrika und vergessen, dass bei uns jedes fünfte Kind in Armut lebt. Das darf überhaupt nicht sein in einem reichen Land wie Deutschland. Viel zu wenige Menschen reden zum Beispiel über Kindergrundsicherung, weil sie von diesen Problemen nicht davon betroffen sind. Diesen Kindern fehlt etwas, und man könnte das ändern, aber wir müssen darüber sprechen.

Halten Sie es für gefährlich, dass gerade im Internet viele selbsternannten Coaches behaupten, Millionär zu werden sei eine Entscheidung? Das setzt Menschen doch zusätzlich unter Druck.

Ja, ich finde das sehr problematisch. Das hat überhaupt nichts mit der Realität zu tun. Aber viele Leute glauben es und geben dafür Geld aus. Wenn es nicht klappt, denken sie, sie seien gescheitert. Aber es lenkt ja einfach davon ab, dass das meiste Geld in Deutschland vererbt wird, es wird von Generation zu Generation weitergegeben. Da kannst du so viel arbeiten, wie du willst, es bringt dir nichts. Dass jeder Millionär werden könne, ist natürlich totaler Schwachsinn. Es lenkt davon ab, dass es ein systematisches Problem ist und dass sich in der Politik etwas ändern muss. Es gibt generell eine ungerechte Verteilung von Geld und Macht, die nicht von einer Einzelperson geändert werden kann.

Zur ZDF-Doku

Die ZDF-Doku „Kiez & Knete“ ist ab 14.11 um 20:15 Uhr in der ZDF-Mediathek verfügbar.

Zur Person

Aminata Belli, geboren 1992, arbeitet seit 2018 vornehmlich als TV-Moderatorin und Journalistin. Sie begann als Moderatorin für Warner Music und dem NDR und trat als Reporterin in der Funk-Onlineserie „follow me reports“ auf. Belli moderiert die NDR-Talkshow „deep und deutlich“ und war zuletzt in der NDR-Dokumentation „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord“ zu sehen.

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