ZDF-Film „Die Wannseekonferenz“Lachsschnittchen und Völkermord
Berlin – Die Schreibblöcke liegen exakt zur Kante ausgerichtet auf dem Besprechungstisch, die Stifte alle im selben Winkel darauf. Hier, in einer gediegenen Villa am Berliner Wannsee, scheint im Januar 1942 der Zweite Weltkrieg mit all seinen Grauen weit weg. Doch genau in dieser friedlichen Idylle wird an jenem Dienstag das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte besprochen.
Auf Einladung von Reinhard Heydrich, SS-Obergruppenführer und Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, sind 15 hochrangige Vertreter des NS-Regimes zusammengekommen, um „die Endlösung der Judenfrage“, den bereits begonnenen Holocaust an der jüdischen Bevölkerung Europas im Detail zu planen und die beteiligten Instanzen zu koordinieren.
Der Film konzentriert sich ganz auf die Besprechung
Regisseur Matti Geschonneck und die Autoren Magnus Vattrodt und Paul Mommertz haben über diese als Wannseekonferenz in die Geschichte eingegangene Zusammenkunft einen Spielfilm für das ZDF gemacht, der lange nachwirkt. Dem Drehbuch liegt das von Adolf Eichmann verfasste Besprechungsprotokoll zugrunde, von dem nur ein Exemplar erhalten ist.
Der Film konzentriert sich ganz auf die „Besprechung mit anschließendem Frühstück“. Zu sehen sind nur vorher, nachher und bei kurzen Pausen einige Dialogszenen außerhalb des Besprechungszimmers. Es gibt keine rasanten Kamerafahrten oder Schnitte (Kamera: Theo Bierkens, Schnitt: Dirk Grau), keine Musik, nichts, was ablenkt von dieser Besprechung.
Es ist ein Kammerspiel ohne Gebrüll, alles geht sachlich, nüchtern über die Bühne. Wir sehen hier keine Monster, das sind gebildete Männer, viele promoviert, Familienväter, die zwischendurch über ihre Kinder plaudern. Das macht ihr Handeln nur noch monströser.
Es ist dabei wie bei fast jeder Konferenz: Es gibt die, die vor allem ihre eigenen Interessen durchdrücken wollen, es gibt Opportunisten und Meinungsführer, Bedenkenträger und Pragmatiker. Und zwischendurch, in den Pausen, treffen sich alle am Büffet oder im Garten zum Rauchen, essen ein paar Lachsschnittchen und trinken Kaffee und Cognac.
Es gibt nur logistische Bedenken
Bloß dass hier nicht über eine Unternehmensstrategie oder die neuste Produktentwicklung verhandelt wird, sondern über den systematischen Mord an elf Millionen Menschen. Den Holocaust begreifen diese Männer als berufliche Chance, als Aufstiegsmöglichkeit. Wer Bedenken äußert, tut dies nur aus logistischen Bedenken, moralische Skrupel äußert niemand.
Sendetermine
„Die Wannseekonferenz“ läuft am Montag, 24. Januar, 20.15 Uhr, im ZDF. Im Anschluss ist eine Dokumentation über die Konferenz zu sehen.
„Ganz normale Männer“ über Deutsche, die an Massenerschießungen beteiligt waren, zeigt das ZDF am 25. Januar um 20.15 Uhr. Diese und weitere Filme zum Thema sind auch in der Mediathek zu sehen.
Sie tun, was getan werden muss, davon sind sie überzeugt. Einige müssen halt die Drecksarbeit verrichten, um die Zukunft des deutschen Volkes zu sichern. Sie sprechen davon, Juden „wegzuarbeiten“. Sie sollen „sonderbehandelt“ und „einwaggoniert“ werden. Es ist von „natürlicher Verminderung“ und „rassischer Flurbereinigung“ die Rede. Diese Euphemismen machen die Verbrechen zu reinen Verwaltungsakten.
Großartige Schauspieler
Geschonneck kann sich dabei auf seine durchweg großartigen Schauspieler verlassen. Der Österreicher Philipp Hochmair spielt Heydrich als pragmatischen, redegewandten Karrieristen, der mit einem leisen Lächeln auf den Lippen, durch das seine Abgründe doch durchscheinen, die Fäden zieht. Johannes Allmayer legt Adolf Eichmann als beflissenen Bürokraten an, der dafür sorgt, dass seine Sekretärin Ingeburg Werlemann (Lilli Fichtner) mit Schnittchen versorgt wird.
Godehard Giese ist famos als Wilhelm Stuckart. Der Jurist war maßgeblich an den Nürnberger Gesetzen beteiligt und pocht nun darauf, dass die irrsinnigen Regelungen zu „Halb- und Vierteljuden“ Beachtung finden. Geltendes Recht müsse eingehalten werden. Es ist eine Perversion unseres Verständnisses von Rechtsstaatlichkeit.
Für das Publikum sind diese gut 100 Minuten schwer zu ertragen. Am schlimmsten ist die Hoffnung. Die Hoffnung darauf, dass einer dieser Männer, nur einer, irgendwann auch nur den leisesten Zweifel an den monströsen Plänen äußern wird. Dass da irgendwo noch ein Funken Menschlichkeit in ihnen stecken möge.
Es gibt keine Entlastung
Irgendwann wirft Friedrich Wilhelm Kritzinger (Thomas Loibl), Ministerialdirektor in der Reichskanzlei, erst einen nachdenklichen Blick auf die Anzahl der Menschen, deren Auslöschung beschlossene Sache ist, und spricht dann „eine Frage moralischer Natur“ an. Er, als Sohn eines Pfarrers, habe Bedenken. Doch nein, auch ihm geht es nicht um die Opfer („Bitte, meine Herren, meine Sorge gilt doch nicht den Juden“).
Er äußert seine Befürchtung, die Massenerschießungen könnten eine zu große Belastung für die Täter darstellen. Adolf Eichmann beruhigt ihn in freundlich-sachlichem Ton. Man arbeite in Auschwitz schon an einer anderen Lösung, an etwas mit Gas, das viel effektiver sei.
Es gibt hier keine Entlastung, keine Erlösung, keine guten Deutschen. Dass der Firnis der Zivilisation dünn ist, ist bekannt. Wie dünn, zeigt dieser Film auf erschreckende Weise.