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Zum Kinostart von „Wicked“Diese Filmmusicals sollten sie gesehen haben

Lesezeit 5 Minuten
This image released by Universal Pictures shows Cynthia Erivo, left, and Ariana Grande in a scene from the film "Wicked." (Universal Pictures via AP)

Cynthia Erivo (l.) und Ariana Grande

„Wicked“ verspricht einer der erfolgreichsten Musicalfilme aller Zeiten zu werden – wir empfehlen zum Kinostart weitere Höhepunkte eines unterschätzten Genres.

Auch wenn der Trailer verschämt unterschlägt, dass in „Wicked“ die meiste Zeit gesungen wird – das Filmmusical bleibt ein quicklebendiges Genre, freilich ein unberechenbares, wenn es um den Erfolg an den Kinokassen geht. Da kann auf einen Megaerfolg wie „Les Misérables“ schnell ein Box-Office-Desaster wie „Cats“ folgen, übrigens vom selben Regisseur. Was die Strategie der Studios erklärt, das Publikum so lange wie möglich darüber im Dunkeln zu lassen, dass es sich beim angekündigten Film um ein Musical handelt. Oder, in den von Cinderella gesungenen Worten aus Stephen Sondheims „Into the Woods“: „Aber was wäre, wenn er wüsste, wer ich bin, wenn ich weiß, dass ich nicht bin, was er denkt, das er will?“

Die Panik vorm Publikum ist unbegründet. Bei „Wicked“ handelt es sich ebenfalls um die Adaption einer seit vielen Jahren am Broadway erfolgreichen Bühnenshow, genauer gesagt sogar nur um den ersten Akt der Vorlage. Doch „Wicked“, der diesen Donnerstag in den deutschen Kinos anläuft, ist auf dem besten Wege einer der erfolgreichsten Filme des Jahres zu werden. Wollen Sie mehr sehen? Kaum ein Genre ist so reichhaltig und abwechslungsreich wie das Filmmusical – hier ein paar herausragende Beispiele mit den besten Empfehlungen.

„In the Heigths“ (2021)

Bevor sich Regisseur Jon M. Chu an „Wicked“ wagte, adaptierte er Lin-Manuel Mirandas („Hamilton“) Frühwerk „In the Heights“ für die Leinwand. Auf der Bühne ist das Musical eine kleine, wenn auch überaus charmante Produktion. Chu verwandelt sie in eine überbordende – Esther Williams Badenixen-Filme ebenso zitierend wie Spike Lees „Do the Right Thing“ – Feier der dominikanisch-amerikanischen Kultur im New Yorker Washington-Heights-Bezirk. Schon hier trotzen die Protagonisten der Schwerkraft, ohne Hexenbesen, einfach nur aus Lebenslust.

„tick, tick … BOOM!“ (2021)

Nachdem der eben erwähnte Lin-Manuel Miranda mit „Hamilton“ das Broadway-Musical gerettet hatte, konfrontierte er in seinem Debütfilm „tick, tick … BOOM!“ die scheinbare Unmöglichkeit, die Magie des Theaters im Bewegtbild einzufangen, noch dazu mit einem Stoff seines Idols Jonathan Larson. Klugerweise wählte Miranda aber nicht dessen Hauptwerk „Rent“ (dessen Premiere Larson nicht erlebte, er starb mit nur 35 Jahren an einem Riss der Hauptschlagader), sondern diesen autobiografischen Monolog in Liedern, ein Dokument des Scheiterns, dass Miranda in eine Hommage an alle entbehrungsreichen Träumer abseits des Broadways verwandelt.

„Theater Camp“ (2023)

Weniger ein Filmmusical als ein Film über die Liebe zum Musical. Im Pseudodokumentarstil verfolgen wir den Alltag eines vom Bankrott bedrohten Feriencamps für bühnenbegeisterte Kids. Den Broadway-erfahrenen Autoren Noah Galvin, Molly Gordon, Nick Lieberman, Ben Platt bietet die Story Gelegenheit zu jeder Menge gutmütig bis bissiger In-Jokes. Die Trefferquote ist beachtlich, und das selbstgebastelte Camp-Musical erzählt zum Höhepunkt mehr über die Kunstform als jeder theaterwissenschaftliche Aufsatz.

„All that Jazz“ (1979)

Jetzt wird es ernst: Choreograf und Regisseur Joe Gideon liegt nach einem Herzinfarkt und anschließender Bypass-OP auf der Intensivstation und inszeniert das eigene Sterben als extravagante Nummernrevue. Der legendäre Bob Fosse („Cabaret“) hat mit „All That Jazz“ (1979) die eigene Biografie als Broadway-Show verfilmt, Roy Scheider raucht als sein Alter Ego Kette, schluckt Aufputschpillen, geht fremd, und arbeitet sich dabei zu Tode, weil die Arbeit alles ist. Die aber besteht aus Gesang und Tanz. Der Film ist enervierend, unterhaltsam und makaber wie Fosses Hochspannungs-Leben. Der finale Herzanfall ereilte ihn acht Jahre später, am Abend seiner letzten Premiere.

„Phantom of the Paradise“ (1974)

Fast jeder hartgesottene New-Hollywood-Regisseur hat sich an einem Musical versucht. Francis Ford Coppola („Finian's Rainbow“, „One from the Heart“), Martin Scorsese („New York, New York“) und am erfolgreichsten Brian De Palma mit seiner parodistischen Rock'n'Roll-Variante von Gaston Leroux' „Das Phantom der Oper“, Jahre bevor Andrew Lloyd Webber den Stoff für sich entdeckte der künstlerisch erfolgreichsten sollte man einschränken, denn anfangs fand De Palmas musikalische Horror-Fantasie nur an genau zwei Orten auf der Welt ihr Publikum: Im kanadischen Winnipeg, wo der Film mehr als ein Jahr lang im Kino lief, und in Paris. Dort besuchten Mitglieder von Daft Punk und Phoenix eifrig die Mitternachtsvorstellungen. Erstere borgten sich ihre Ästhetik bei De Palma, letztere benannten sich nach der Heldin des Films und coverten das Titelthema.

„Les Desmoiselles de Rochefort“ (1967)

Bleiben wir in Frankreich. Allgemein gilt „Les Parapluies de Cherbourg“ („Die Regenschirme von Cherbourg“, 1964) als Musical-Meisterstück von Regisseur Jacques Demy. Dem wollen wir nicht widersprechen, zumal das durchgesungene Trauerspiel mit den schönsten Eastman-Color-Farben der Filmgeschichte aufwarten kann. Doch „Die Mädchen von Rochefort“ – Catherine Deneuve und ihre kurz nach den Dreharbeiten tödlich verunglückte Schwester Françoise Dorléac – verkörpern das Ideal eines Lebens im ballettösen Überschwang. Hier dreht die Sehnsucht Pirouetten und das Hafenstädtchen erstrahlt in der Farbpalette einer Pralinenschachtel. Zudem konnte Demy für seine Hommage an die Metro-Goldwyn-Mayer-Musicals der 40er und 50er den großen Gene Kelly verpflichten, der hier noch einmal seinen beträchtlichen Charme spielen lässt.

„The Wizard of Oz“ (1939)

Das Filmmusical, dessen Vorgeschichte in „Wicked“ erzählt wird, kennen Sie wahrscheinlich. Aber wussten Sie auch, dass Arthur Freed wegen seiner erfolgreichen Arbeit hinter den Kulissen des „Zauberer von Oz“ zum Leiter seiner eigenen Abteilung bei MGM befördert wurde? Freed lockte die größten Broadway-Talente wie den Regisseur Vincente Minnelli nach Hollywood, holte Fred Astaire aus dem Vorruhestand zurück, machte Gene Kelly zum Star und produzierte mit „Ein Amerikaner in Paris“, „Gigi“ und natürlich „Singin' in the Rain“ einige der größten Klassiker des Genres.

„Meet Me in St. Louis“ (1944)

Mit diesen Vignetten aus dem Leben der Familie Smith, die kurz nach der Jahrhundertwende in St. Louis leben, setzte Freed den Standard, den alle folgenden Filmmusicals zu erreichen versuchen. Regisseur Vincente Minnelli kontrastierte die heitere Technicolor-Welt mit düsteren, beinahe surrealen Anklängen, Judy Garland übertrifft sich selbst mit „The Trolley Song“ und „Have Yourself a Merry Little Christmas“ – es ist auch ein sehr schöner Weihnachtsfilm. Anschließend heirateten Minnelli und sein Star. Ihre Tochter Liza setzte die Musical-Tradition fort.