Verfassungsrichter halten die Mehrfachverfolgung von Straftätern für grundgesetzwidrig. Das widerspricht dem Rechtsempfinden von Lesern.
LeserbriefeEnttäuschung über Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Urteil des BVerfGE: Täterschutz vor Opferschutz
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes finde ich unerträglich und ich schäme mich dafür. Es steht in der unseligen Tendenz deutscher Rechtsprechung, auch und besonders in NRW, Täter-Interessen über den Opferschutz zu stellen. Ich halte es auch für sachlich falsch, denn Artikel 103 Absatz 3 Grundgesetz sagt klar und eindeutig: „Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden“, was ich auch richtig finde.
Kein Wort im Grundgesetz darüber, dass ein Verfahren nach neuen Erkenntnissen oder Beweismitteln nicht wiederaufgenommen werden darf und mir erschließt sich nicht, wie man das da hineininterpretieren könnte. Ich sehe hier nur ein gewisses Unbehagen der Richterschaft, sich erneut mit möglicherweise falschen Urteilen beschäftigen zu müssen.
„Jeder Angeklagte muss darauf vertrauen können, dass er nach Abschluss eines Strafverfahrens nicht in derselben Sache erneut vor Gericht gestellt wird“. Lieber Herr Koch, diese Meinung finde ich grotesk! Sie hätten dagegen schreiben sollen: Jeder Angehörige eines Mordopfers muss darauf vertrauen können, dass der Täter seiner gerechten Strafe zugeführt wird.
Warum machen Sie sich mit den Tätern gemein? Wieso glauben Sie, dass dieses Urteil „im Interesse aller an der generellen Verlässlichkeit und Effizienz des Rechtsstaates“ sei? Ich sehe da – bedauerlicherweise – überhaupt keine Verlässlichkeit. Und wieso sollten die ohnehin schon belasteten Opfer einer Straftat die Folgen einer schlampigen Gesetzgebung ausbaden müssen? Adrian Bankewitz Pulheim
Mehrfachverfolgungsverbot: Merkwürdige Juristen-Denke
Als normaler Bürger kann man sich immer wieder nur wundern, wie merkwürdig Juristen denken. Da gibt es im Grundgesetz Artikel 103.3 eine völlig klare Aussage: „Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.“ Daraus lesen Verfassungsrichter nun, dass niemand mehrfach angeklagt werden darf. Im vorliegenden Fall ist der Angeklagte noch nie bestraft, sondern – eventuell irrtümlich – freigesprochen worden.
Wie kann da die klare Aussage des Grundgesetzes dazu herhalten, dass er nicht erneut angeklagt werden darf? Was hat das mit Gerechtigkeit – oder auch nur mit der Fähigkeit, einen Text zu lesen – zu tun? Wenn man die Grundgesetz-Aussage so liest, wie das BVG es getan hat, dann dürfte ein zu Unrecht Verurteilter auch nach einem später erkannten Irrtum nicht freigesprochen werden, weil ein Fall ja nicht zweimal behandelt werden darf. Was für ein Unsinn!Christian Fischer Köln
BVerfGE: Unverständliches Urteil
Das Bundesverfassungsgericht kommt zu der Entscheidung, dass kein Mensch wegen einer Straftat zweimal angeklagt werden darf und bezieht sich auf das Grundgesetz, Artikel 103, Absatz 3. Dort steht allerdings, dass niemand wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden darf. Anscheinend wird ein vormaliger Freispruch – wie im Fall Frederike von Möhlmann – von Juristen als Bestrafung interpretiert. Ich verstehe dieses Urteil nicht. Stefan Nussbaum Köln
Rechtssicherheit hat Vorrang vor individuellem Rechtsempfinden
„Ne bis in idem“, nicht zweimal in derselben Sache – der alte römische Rechtsgrundsatz! Danach darf niemand wegen ein- und derselben Sache zweimal angeklagt werden. Im Grundgesetz ist dieses Prinzip konkretisiert festgeschrieben worden. Dem entgegen stehende Regelungen sind verfassungswidrig und damit nichtig. So das Bundesverfassungsgericht.
Obwohl diese Verfassungsnorm im konkret verhandelten Einzelfall unbefriedigend sein dürfte, hat das allgemein-abstrakte Prinzip des kollektiven Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit Vorrang. Die individuelle Betroffenheit, das individuelle Verlangen nach Recht und Gerechtigkeit muss letztlich zurückstehen.
Allein: „Gerechtigkeit“ ist ohnehin nicht Gegenstand der Rechtswissenschaft, ist keine Kategorie des angewandten Rechts. Nein, „Gerechtigkeit“ – als vermeintlich absolutes, universelles Postulat – ist eine moralische, philosophische und theologische Kategorie. Die in kritisch-historischer Betrachtung jedoch abhängig ist von Zeit, Ort und Kultur, somit dem sozialen Wandel unterliegt. Roland Schweizer Leverkusen
BVerfGE: Warum keine Berücksichtigung neuer Beweislagen?
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, ein rechtskräftiges Urteil trotz neuer, zum Zeitpunkt der Urteilsfindung nicht vorliegender Beweise, nicht noch einmal überprüfen zu lassen, sondern unter Verfassungsschutz zu stellen, relativiert die juristische Selbstverständlichkeit, wonach Mord niemals verjähren darf. Wäre die Anwesenheit von Täter-DNA nicht eine Art biologisches Geständnis und somit geeignet, ein rechtskräftiges Urteil über den Haufen zu werfen?
Autor Matthias Koch macht es sich zu einfach, wenn er formaljuristische Gründe höher bewertet als die Vermeidung einer „schreienden Ungerechtigkeit“. Es geht hier nicht um das Nachschieben oder die Neubewertung von Fakten, die schlichtweg übersehen oder vor dem Hintergrund einer veränderten gesellschaftlichen Situation eine neue Gewichtung erfahren, sondern eine Beweisführung, hier DNA, die zum Zeitpunkt des Verbrechens nicht zur Verfügung stand und, richtig angewandt, von unschlagbarer Beweiskraft ist. Dem Rechtsfrieden dient das Urteil jedenfalls nicht.
Woher nimmt Herr Koch eigentlich die Gewissheit, dass eine Zweidrittel-Mehrheit für eine diesbezügliche Verfassungsänderung nicht zu erreichen wäre? Es spricht für sich, dass ausgerechnet derjenige das Bundesverfassungsgericht angerufen hat, der seinerzeit nur aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde. Schließlich hat er damit die einzige Chance vertan, aus einem Freispruch zweiter Klasse einen erstklassigen zu machen. Der ermordete Teenager wird sich im Grabe umdrehen. Dr. Hans Jürgen Statz Köln
Fehlurteil des Bundesverfassungsgerichts?
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Oktober zur Verfassungswidrigkeit von Paragraf 362 Nr. 5 der Strafprozessordnung zur Wiederaufnahme eines Strafverfahrens zuungunsten eines zunächst mangels Beweises freigesprochenen Mörders, wenn sich später ein Beweis für seine Täterschaft ergibt, ist eines der wenigen Fehlurteile des Gerichts während seines Bestehens seit 72 Jahren, aber eins der krassesten. Mit dem Gerechtigkeitssinn eines Normalbürgers ist es unvereinbar.
Entgegen der Annahme von Matthias Koch in seinem das Urteil rechtfertigenden Kommentar verbietet das Grundgesetz keineswegs die Mehrfachverfolgung von Straftaten. Artikel 103 Absatz 3 Grundgesetz bestimmt vielmehr: „Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden“. Im Ausgangsfall von 1983 war der Täter aber nicht bestraft, sondern mangels Beweises freigesprochen worden, weil damals eine DNA-Analyse des Sekrets, das er auf der Unterwäsche der vergewaltigten und ermordeten Schülerin hinterlassen hatte, noch nicht möglich war.
Aufgrund einer im Jahr 2022 durchgeführten neuen Analyse erscheint das aber nunmehr möglich, weshalb gegen den Täter erneut ein Strafverfahren geführt werden sollte. Geradezu unerträglich erscheint die Begründung des Verfassungsgerichts, jedermann müsse darauf vertrauen können, wegen derselben Tat nicht nochmals „belangt“ zu werden, also erneut vor Gericht zu landen. Ein Mörder soll darauf vertrauen dürfen, dass seine Tat für immer ungesühnt bleiben wird, wenn er wegen zunächst ungenügender Beweise einen falschen Freispruch bekommen hat?
Die beiden Verfassungsrichter Christine Langenfeld und Peter Müller weisen in ihrem Minderheitsvotum zurecht darauf hin, dass es kaum zu erklären ist, eine Wiederaufnahme des Strafprozesses zuzulassen, wenn der frühere Freispruch aufgrund einer verfälschten Urkunde erfolgte (Paragraf 362 Nr. 1 der Strafprozessordnung), aber nicht, wenn der Angeklagte durch ein neues molekulargenetisches Gutachten überführt wird.
Matthias Koch meint, „wer ernsthaft im Fall schwerer Verbrechen Mehrfachprozesse auf juristisch saubere Art zulassen will, müsste die Verfassung ändern“. Aber was sollte ein geänderter Artikel 103 Absatz 3 denn anderes bestimmen als das, was jetzt schon drinsteht, nämlich dass keine doppelte Bestrafung wegen derselben Tat erfolgen darf? Wir brauchen keine Änderung der Verfassung, wohl aber ein Verfassungsgericht, das sich an ihren Wortlaut hält. Dr. Hans-Christian Kersten Odenthal
Argumentation des BVerfGE als unschlüssig empfunden
Der Kommentar von Matthias Koch lässt völlig offen, weshalb sich bisher niemand mit der Frage, inwieweit der seit vielen Jahren geltende Paragraf 362 Nr. 1-4 StPO in Übereinstimmung mit dem „ne bis in idem“-Grundsatz des Artikel 103 GG steht, befasst. Auch er unterlässt die Frage, weshalb seit vielen Jahren der Täter eines schweren Diebstahls oder Raubes, der freigesprochen worden ist, aufgrund falscher Zeugenaussagen in der Hauptverhandlung oder aufgrund gefälschter Urkunden, nach langjährigen Recht stets die Wiederaufnahme des Verfahrens befürchten musste, nicht aber der Mörder, der aufgrund neuer Beweismittel wie der DNA-Analyse überführt werden kann.
Mit gutem Grund ist in der in 2021 hinzugefügten Fassung der Nummer 5 des Paragrafen allerdings die Wiederaufnahme nur auf ganz schwerwiegende Verfahren beschränkt worden. Der Dieb, Räuber, muss die Wiederaufnahme fürchten, aber nach Ablauf der Verjährungsfrist kann er im Sinne des Rechtsfriedens beruhigt sein. Bei Mord aber gibt es keine Verjährung, also auch kein Vertrauen.
Im Übrigen: auch nach dem seit vielen Jahren geltenden Paragraf 362 StPO in der alten Fassung muss der Mörder, der durch eine falsche Zeugenaussage oder Urkunde freigesprochen wurde, mit einer Wiederaufnahme rechnen. Nicht aber beim Auftauchen neuer Beweismittel? Leider vermisse ich bei Herrn Koch, aber auch bei anderen Kommentaren in der deutschen Presse, diese Aspekte völlig.Rudolf E. Gaul Köln
BVerfGE-Urteil: Schlag ins Gesicht von Opferangehörigen
Der Staat hat die Aufgabe, für seine Bürger Schutz und Sicherheit zu gewährleisten. Dazu werden Gesetze erlassen. Bei Gesetzesverstößen ist es die Aufgabe des Justizwesens, diese durch Strafmaßnahmen zu ahnden und Gerechtigkeit wiederherzustellen. Mord ist ein so schweres Kapitalverbrechen, dass der Gesetzgeber dafür aus gutem Grund keine Verjährung vorgesehen hat. Kein Mörder soll jemals vor Strafverfolgung sicher sein können. Auch, damit Gerechtigkeit im Sinne der Gesetzgebung wiederhergestellt werden kann.
Rechtssicherheit kann und darf es für Mörder, hier sogar bei bewiesener Schuld, nicht geben. Gerechtigkeit für die unschuldigen Opfer ist eindeutig höher zu bewerten als Rechtssicherheit für Mörder. Das gebietet schon der Respekt für die Opfer und deren Angehörige. Kein Mörder darf mit seiner Tat trotz bewiesener Schuld davonkommen können. Daher ist dieses Urteil ein Schlag ins Gesicht für alle Betroffenen! Dies ist wieder einmal ein Beispiel, dass in unserem Land Täterschutz höher bewertet wird als Opferschutz. Frank Klemmstein Köln