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LeserbriefeVollbart als Zeichen für rückwärtsgewandtes Männerbild?

Lesezeit 4 Minuten
Zwei junge Männer mit dunklen Bärten stehen vor einer roten Backsteinwand und halten Biergläser in der Hand. Einer der Männer trinkt, der andere lächelt.

Deuten Vollbart und Neigung zu Craft-Bieren auf eine Rückkehr zu alten Männerbildern?

Eine Umfrage zu Geschlechterrollen in sozialen Medien legt nahe, dass archaische Männerbilder im Aufwärtstrend sind. Leser bezweifeln das.  

Ge­schlech­ter­rolle rück­wärts – Kolumne von Stephan Grünewald (20.6.)

Männlichkeitsattribute falsch interpretiert

Selten habe ich im „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine dümmere und einseitigere Publikation gelesen. Als 67-jähriger, weißer Cis-Mann [Mann, der bei der Geburt als dem männlichen Geschlecht zugehörig eingeordnet wurde und der sich auch als Mann identifiziert; die Red.] trage ich seit Jahrzehnten einen Bart, mal kurz, mal lang, in den verschiedensten Formen. Dass ich damit meine Männlichkeit unterstreiche, ist mir ehrlich noch nie in den Sinn gekommen, denn es ist einfach bequemer, als sich jeden Tag zu rasieren!

Es ist mir ebenfalls noch nie in den Sinn gekommen, Gewalt gegenüber Schwächeren auszuüben. Dass das Trinken von Craft-Bier und sich mit „dumpfen Wikinger-Lauten“ über Fußballtore zu freuen Zeichen für toxische Männlichkeit sind, ist völlig absurd. Ist die Alternative Bionade trinken und aus Freude über ein Tor einen Haarkranz aus Gänseblümchen winden und dem Torschützen aufs Haupt legen? Wenn dann noch „Auto, Chefsessel und Fleischkonsum“ als Zeichen für ein archaisches Auftreten von Männern benannt wird, reicht es wirklich.

Die einem idealen Männerbild entsprechenden Studenten der Uni Leipzig – sie sind woke, kämpfen gegen jede Form der Diskriminierung, machen sich für Frauenrechte und die LGBTQ+Bewegung stark, essen vegan und gendern fehlerfrei – sehe ich vor meinem geistigen Auge als die lila Latzhosen tragenden, Wollpullover strickenden ersten Grünen im Bundestag. Wolfgang Pelzer Köln

Umfrage Rollenbilder: Vollbart kein Zeichen für Sexismus

Woran erkennt man einen sexistischen Mann? An seinem „wuchernden Vollbart“ und dem Craft-Bier in seiner Hand. Ist doch klar, oder? Ganz ehrlich: Ich habe selten so einen Unsinn gelesen. Dass Stephan Grünewald selber an den Methoden der Studie zweifelt und sie sich dann doch zu eigen macht, wäre meines Erachtens Grund genug gewesen, seinen Text einmal einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Jürgen Nielsen Köln

Rollenbilder in sozialen Medien: Geschlechterrolle vorwärts statt rückwärts!

Bei den befragten Männern in der Altersgruppe von 18 bis 35 Jahren zeichnet sich ein Rückwärtstrend zu einem längst überholten männlichen Rollenbild ab. Unter anderem geben 34 Prozent der befragten Männer an, dass sie gegenüber Frauen schon mal handgreiflich werden, um ihnen Respekt einzuflößen. Für jeden dritten Mann ist es akzeptabel, wenn ihm bei einem Streit mit der Partnerin gelegentlich die Hand ausrutscht.

Laut der Studie unterstützt jedoch nur ein geringer Teil der Frauen dieses traditionelle Rollenbild. Also Ihr 18- bis 35-jährigen Frauen, zeigt den Männern, was geht – und was nicht! Ihr seid in der Überzahl. Geschlechterrolle vorwärts! Noch einen weiteren erschreckenden Aspekt bringt die Studie ans Licht, dass nämlich 48 Prozent der befragten Männer im Alter von 18 bis 35 Jahren sich gestört fühlen, wenn Männer ihr Schwulsein in der Öffentlichkeit zeigen. Auch dies passt zur Denkweise der Ewiggestrigen. Iris Nöthen Köln

Rollenbilder-Umfrage als Diskussionsgrundlage ungeeignet

Die Analyse von Stephan Grünewald ist mindestens merkwürdig, wenn nicht gar abenteuerlich. Es gibt folgende Kritikpunkte: Die von ihm angesprochene Befragung von „Plan International“ hat nicht etwa „methodische Schwächen“, sondern schwere strukturelle Defizite. Das bescheinigen Experten. So wurde etwa keine Validierung vorgenommen. Der Vollbart bei Männern ist der Trend zurück zur „Heim und Herd“-Ideologie? Und die vielen jungen, Bart tragenden Männer, die sich um die Kinder oder den Haushalt kümmern, während die Frauen ihrem Job nachgehen?

Der Trend zum Craft-Bier als die Rückkehr zu mehr Markanz? Wie wäre es damit: Es soll nicht der Geschmack von Industriebier sein, sondern eine individuelle Note? Die Fußball-verrückten Isländer als Reinkarnation der Wikinger? Da waren jede Menge Wikingerinnen im Spiel, möchte man dem guten Mann zurufen. Und die hatten vorwiegend eines: Spaß.

Und dann die Rapper! Auf einer Stufe mit dem Horror-Präsidenten aus dem Roman „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq. Dass das dann mit Donald Trump, der in Deutschland Millionen von Anhängern haben muss, in Zusammenhang gebracht wird, ist klar. Und natürlich ist die AfD nicht weit. Selenskyj, Putin und natürlich nochmal Trump und seine Kapitolstürmer – Herr Grünewald lässt wirklich kein Klischee aus.

Das Ende der Entwicklung zeigt sich in Leipzig: Entweder woke oder rechtsradikal. Die Ansichten des Autors, der offenbar eine Mission hat, mögen psychologisch anmuten, evidenzbasiert sind sie sicher nicht. Als Diskussionsgrundlage taugt so etwas ganz bestimmt nicht. Peter Korall Köln