Wie Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland eingeleitet werden können – darauf hat Margot Käßmann keine Antwort.
Leserbriefe zum Käßmann-Interview:Friedensinitiative ehrenwert, doch naiv

Die evangelische Theologin Margot Käßmann ist Unterzeichnerin des „Manifests für Frieden“
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Friedensmanifest: „Belehrende Initiativen fehl am Platz“
Es geht nicht um den Sieg? Worum geht es dann? Hat die russische Armee die Ukraine ohne Vorankündigung überfallen, weil sie nur mal gucken wollte, wie die Ukrainer so leben? Warum sind Städte und ganze Landstriche in Schutt und Asche gelegt worden? Warum wurden Frauen systematisch vergewaltigt? Wie viele ukrainische Panzer stehen auf russischem Boden? Wie viele russische Städte sind in Schutt und Asche gelegt worden? Wie viele russische Frauen sind von ukrainischen Soldaten vergewaltigt worden?
Wie ein Land reagiert und sich verteidigt, müssen die Menschen, die in diesem Land leben, selbst entscheiden dürfen. Belehrende Papiere und Initiativen sind dann fehl am Platz. Angesichts dieser Schmerzen, dieser Demütigungen, dieser Brutalität bleibt die Frage dennoch richtig: Wie können wir uns ein Ende des Krieges vorstellen, der täglich Menschenleben kostet? Wie kommen wir zu einem Frieden? Das Szenario der Damen Wagenknecht, Schwarzer und Käßmann ist ein mögliches, wenn auch ein sehr naives.
Nach einem Jahr Krieg sollten wir in der Tat mehr Gedanken darin investieren, wie ein Frieden wieder möglich werden kann
Doch welche Szenarien sind noch denkbar? Wer keine Vorstellung von einem Kriegsende und damit einem Frieden hat, der wird ihn auch nicht bewerkstelligen können. Putin hatte die Vorstellung einer kurzen militärischen Spezialoperation. Diese Vorstellung ist krachend gescheitert. Nach einem Jahr Krieg sollten wir in der Tat mehr Gedanken darin investieren, wie ein Frieden wieder möglich werden kann. Das fehlt völlig. Da haben die drei Damen recht. Das Szenario „Sieg“ ist auch eine Möglichkeit, wenn auch keine kurzfristig zu erreichende. Also: Was nun? Dr. Winfried Kösters Bergheim
Käßmanns Äußerungen lösen Unverständnis aus
Das um Verständnis werbende Verhalten der Bischöfin Käßmann gegenüber einem menschenverachtenden Diktator, der das Reich der Zaren und seines Vorgängers Stalin zurückerobern will, löst nur Unverständnis aus. Es erinnert an die Konferenz von München 1938, wo die Appeasementpolitik der Westmächte erst die Tschechoslowakei und Polen vernichtete und dann in den Zweiten Weltkrieg führte. Dies ist nicht die Kirche eines Bonhoeffer, nicht die Kirche eines Niemöller, auch nicht meine Welt der „festen Burg“. Dr. Wolfgang Miege Bergisch Gladbach
Manifest: Kluge und besonnene Köpfe gefragt, keine Appelle von Moralisten
Wieder geht das Gesagte nicht über allgemeine Appelle hinaus, werden Selbstverständlichkeiten wie tiefe Einsichten verkauft, kommt kein, aber wirklich gar kein substanzieller Vorschlag für einen alternativen Lösungsansatz des unsäglichen kriegerischen Konfliktes. Die Nachfragen von Joachim Frank an seine Interviewpartnerin werden jedenfalls entweder mit einer Gegenfrage beantwortet oder mit moralischer Empörung über das brutale Geschehen mit Allgemeinplätzen zum Lösungsansatz beantwortet.
Tatsächlich wird, anders als von Frau Käßmann behauptet, auf niedriger diplomatischer Ebene ja verhandelt, sicherlich finden auch Aktivitäten statt, die der Öffentlichkeit aus gutem Grund verborgen bleiben. Es gibt nur leider keinen erkennbaren Ansatz für substanzielle Verhandlungen, weil die Ukraine das erlittene Unrecht nicht einfach akzeptieren kann und die russische Regierung ganz offenbar keinerlei Probleme hat, für ihre Machtgelüste in großer Zahl Menschen zu opfern und das russische Volk in jeder nur denkbaren Münze den Zoll zahlen zu lassen.
Notwendig wäre, Ziele und denkbare Lösungen ernsthaft und kompetent zu diskutieren und in Abstimmung mit der ukrainischen Regierung und unter strikter Beachtung des Sicherheitsbedürfnisses des ukrainischen Volkes und seiner ebenfalls bedrohten Nachbarn dem Aggressor immer wieder ernsthafte Angebote zu präsentieren. Eine reine Konzentration auf den „Sieg“ der ukrainischen Streitkräfte und die Hoffnung, dass sich dann schon alles von selbst finden werde, ist jedenfalls illusorisch. Es sind kluge und besonnene Köpfe gefragt, keine Appelle von Moralisten. Joachim Berg Zülpich
Friedensbemühungen im Verein mit EU, Nato und Uno
Russland ließ und lässt bisher alle diplomatischen Bemühungen, die Angriffe auf die ukrainische Bevölkerung und die Infrastruktur zu beenden, an sich abprallen. Für alle ist ersichtlich, dass der Angriffskrieg seit 2014 mit noch brutalerer Fortsetzung seit 2022 nicht nur vom russischen Staat, mit all seinen Institutionen wie Parlament und Justiz getragen, sondern auch von der russisch-orthodoxen Kirchenführung und weiten Teilen der Bevölkerung unterstützt wird. Darauf geht das Manifest nicht ein und auch die Medien blenden diese Gemeinsamkeit des verbrecherischen Handelns weitgehend aus.
Sind mir die „vielfachen, intensiven“ Initiativen der christlichen Kirchen, auf den Patriarchen Kyrill mäßigend einzuwirken, verborgen geblieben oder waren sie sehr zögerlich und still? Frau Käßmann, Sie können mit Ihrer Position nicht eventuell schuldig werden, seit 2014 ist Deutschland schon „schuldig“ geworden, indem wir in unserer Gier nach billigem Gas die russische Kriegskasse gefüllt haben!
Das „Manifest für Frieden“ fordert verstärkte Anstrengungen für diplomatische Initiativen durch die Politik. Unbedingt ja, aber doch bitte als EU gesamt, Nato und vor allem mit der Uno. Die Glaubwürdigkeit Deutschlands ist doch nicht mit laschen Aussagen wie „wir waren naiv“ wiederhergestellt. Herr Scholz, Herr Steinmeier und bis zum letzten Moment Frau Schwesig waren doch Mitglieder im Club der „Naiven“. Die Rolle der deutschen chemischen Industrie (BASF, Wintershall) mit ihrem Engagement in Gasfeldern in Sibirien war auch nicht unbedeutend.
Angesichts der schon in den ersten Kriegsmonaten von den russischen Soldaten verübten Gräueltaten fällt es mir schwer, Bitten der Ukraine nach Waffen abzulehnen, auch wenn mir das damit verbundene Risiko sehr bewusst ist. Helmut Schulz Kürten
„Frau Käßmann, fahren Sie nach Moskau“
Der Beantwortung aller wichtigen Fragen, wie immer von Joachim Frank im Interview gekonnt gestellt, weicht Frau Käßmann nicht nur aus, sie ignoriert sie. Nur die eigene Meinung zählt. Vollkommen am Thema vorbei ihr Hinweis auf ihre Korea-Reise. Soll es den Ukrainern später so gut gehen wie den Nordkoreanern jetzt? Auch diese Frage wird Frau Käßmann nicht beantworten. Nur ein Beispiel: Über 40 Prozent der 26 Millionen Einwohner Nordkoreas sind unterernährt.
Mein Rat an Frau Käßmann: Fahren Sie nach Moskau. Reden Sie mit Putin. Fragen Sie ihn, „ob er auch nur die geringste Ahnung vom Neuen Testament und seiner Botschaft vom Frieden für die Menschen hat“. Auf das Interview nach dieser Reise bin ich gespannt. Michael Arntz Köln
Manifest: Rationale Antworten auf realpolitische Fragen fehlen
Alle diese pazifistischen Wortmeldungen entspringen sicherlich ehrenwerten Gefühlen, doch geben sie keine rationalen Antworten auf realpolitische Fragen. Es wird zwar von der „hohen Kunst der Diplomatie“ gesprochen, auf die statt auf Militär gesetzt werden sollte, doch an diplomatischen Bemühungen hat es vor dem Krieg nicht gefehlt. Ich habe die Bilder noch vor Augen: Macron und Scholz mussten an einem gefühlt kilometerlangen Tisch Putin auf Rufweite gegenübersitzen.
Das erinnert an die diplomatischen Aktivitäten 1938, als Politiker sich bemühten, Hitler vom Einfall in die Tschechoslowakei abzuhalten. Bekanntlich konnte damals der Friede nicht bewahrt werden, weil ein Hauptakteur nicht wollte. Und jetzt? Wer von der Geschichte lernen möchte, mag sich das Schicksal der Tschechoslowakei 1938/39 anschauen. Wer bitte möchte der Ukraine Ähnliches zumuten, nur „um des lieben Friedens“ willen, der auch für die Ukraine Unterwerfung und Gewaltherrschaft bedeuten würde? Wolfgang Reinert Köln

Das von Sahra Wagenknecht (l.) und Alice Schwarzer initiierte „Manifest für Frieden“ haben über 500.000 Menschen unterzeichnet.
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„Nichts unversucht lassen, um den Krieg schnellstmöglich zu beenden“
Frau Käßmann plädiert für den Weg der Diplomatie. Es kommt irgendwann sowieso der Zeitpunkt, an dem Verhandlungen geführt werden müssen. Sich zu verteidigen ist das Recht der Ukraine, parallel muss jedoch stets der Weg der diplomatischen Verhandlungen gegangen werden. Denn jeder Mensch, der gerettet werden kann, jedes Zuhause, das erhalten bleibt, ist es wert, dass man sich auf Verhandlungen einlässt.
Ist es wirklich so schwer sich vorzustellen, wie es sich anfühlte, wenn unsere Kinder, Männer und Frauen betroffen wären und sinnlos verletzt oder getötet würden? Ein Krieg kennt nur Verlierer. Die Zerstörungen, das Rufen nach immer mehr und wirkungsvolleren Waffen, vielleicht bis hin zum Einsatz von Atomwaffen, kann nicht wirklich gewollt sein. Wer wird die Kosten tragen, die nötig sind, um die immensen Zerstörungen zu beseitigen und Neues aufzubauen? Was ist, wenn letzten Endes ein völlig zerstörtes Land übrig bleibt und es zum Dritten Weltkrieg kommt?
Jeder Mensch, der gerettet werden kann, ist es wert, dass man sich auf Verhandlungen einlässt
Und was passiert, wenn Trump noch einmal Präsident wird? Wie wird sich Amerika dann verhalten? Trump hatte ja schon mit einem Austritt aus der Nato gedroht. Sich wehren und gleichzeitig auch den diplomatischen Weg gehen und nichts unversucht lassen, um den Krieg schnellstmöglich zu beenden. Jeder einzelne Mensch, der nicht sterben muss, ist es wert. Karin Dieck Engelskirchen
Friedensmanifest: Erschreckend naiv
Die Äußerungen von Frau Käßmann zeigen in aller Deutlichkeit die erschreckende Naivität der Verfasser des „Manifests für den Frieden“, das Frau Käßmann auch unterschrieben hat. Im Interview mit Joachim Frank stellt dieser mehrfach die Frage nach einem Vorschlag, wie man denn Putin an den Verhandlungstisch bringen könne, und kein einziges Mal liefert Frau Käßmann eine Antwort. Tut mir leid, Frau Käßmann, aber Ihre naive Weltsicht hat nichts mit der Realität zu tun. Sie ähnelt der von Pippi Langstrumpf: „Ich mach’ mir die Welt, widdewidde, wie sie mir gefällt“. Martin Kaldik Leverkusen
Manifest-Initiatorinnen sollten Heft des Handelns in die Hand nehmen
Frau Wagenknecht, Frau Schwarzer, Frau Käßmann, ich empfehle, nicht zu publizieren, sondern persönlich zu handeln. Sie alle haben Zeit, um nach Moskau zu reisen, wenn Sie glauben, es besser zu wissen. Viel Erfolg, vielleicht schaffen Sie ja, was anderen bisher verwehrt blieb.
Haben Sie noch nicht begriffen, dass Machtpolitiker wie Erdogan, Assad, die Mullahs und letztlich Putin unbelehrbare Despoten sind? Ein Versuch Ihrerseits, Frieden zu stiften, ist nicht verwerflich. Nehmen Sie das Heft des Handelns persönlich in die Hand, statt der politischen Führung Vorwürfe zu machen. Wolfgang Lüttgen Zülpich
Bedingungen für Waffenstillstand
Um die abschließende Frage von Joachim Frank an Margot Käßmann nach den Bedingungen für einen Waffenstillstand aus meiner Sicht zu beantworten: Erstens territoriale Integrität der Ukraine in den Grenzen der Staatsgründung im Jahr 1991. Zweitens Autonomiestatut für mehrheitlich von ethnischen Russen bewohnte Gebiete nach dem Vorbild Südtirols, für zehn Jahre international überwacht.
Drittens Abbau des Flottenstützpunktes auf der Krim binnen fünf Jahren und kein Nato-Stützpunkt für die kommenden 50 Jahre. Einen solchen Ansatz zu versuchen – das wäre in jedem Fall humaner, als während des nächsten Jahres die Million slawischer Opfer vollzumachen, und dabei mit erhobenem Zeigefinger wegzusehen. Da gebe ich Frau Käßmann völlig recht. Dr. Karl Ulrich Voss Burscheid
Friedensinitiative in die Praxis umsetzen
Ich habe einen Vorschlag für Margot Käßmann: Sie soll nach Moskau zum Treffen mit dem Patriarchen Kyrill fahren, der bekannterweise großen Einfluss auf die politische Führung im Kreml hat. Frau Käßmann soll dann versuchen, ihn von Friedensverhandlungen zu überzeugen. Als Friedensbotschafterin soll sie ein paar Exemplare des Neuen Testaments mitbringen, als Geschenke für Herrn Dugin, Herrn Lawrow und Herrn Putin. Zusätzlich könnte sie Alice Schwarzers und Sahra Wagenknechts „Manifest für Frieden“ sowie die Liste der Unterzeichnenden mitnehmen. Habe ich noch etwas vergessen? Und so könnte sie die Theorie in die Praxis umsetzen. Andrzej Wasilewski Waldbröl
Unterwerfungsfriede unakzeptabel
Angesichts des Leids, das dieser Krieg verursacht, könnte man versucht sein zu denken: Hätte sich die Ukraine unterworfen, wäre sie ein Satellitenstaat wie Weißrussland geworden – und gut wäre es. Eben nicht! Hätte man es Putin so leicht gemacht, hätte er versucht, den nächsten Staat anzugreifen. So denke ich. Aber denkt Putin so wie ich? Ein Verbrecher an der Spitze eines Staates ist schlimm. Ein kranker Verbrecher als Führer eines Staates ist eine unberechenbare Gefahr für die ganze Welt. Veit Hennemann Köln
Skepsis gegenüber Verhandlungen
„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Wer von den Mächtigen dieser Erde ist denn wirklich fromm? Mit Leuten wie Putin, der sein Brudervolk, die Ukrainer, mit Krieg überzieht, und den Machthabern in Nordkorea ist es zwecklos, diplomatische Verträge auszuhandeln. Die halten sich nicht an Abmachungen. Das wird auch Frau Dr. Wagenknecht einsehen müssen. Grundsätzlich sollte man mit allen Menschen und Gemeinschaften im Gespräch bleiben, um deren Weltsicht und Gedanken begreifen und einschätzen zu können. Absolute Gegensätze, wie Feuer und Wasser, kann man aber nicht vereinen. Heinrich Hinzen Elsdorf