Die Mitte demonstriert gegen ausufernden Rechtsextremismus. Diese Botschaft droht zu verpuffen, wenn sie nicht aufgegriffen wird.
Kommentar zur DemoDie Mitte setzt ein Zeichen – doch das allein reicht nicht
In vielen Städten Deutschlands und Nordrhein-Westfalens ist die selten mobilisierte politische Mitte auf die Straße gegangen. Hunderttausende Menschen haben am ganzen Wochenende ein Zeichen gesetzt, dass ihnen der Rechtsruck im Land nicht egal ist. Sie wollen, dass völkische Gedankenspiele von Rechtsextremisten ein gesellschaftliches Tabu bleiben müssen. Und sie machen klar, dass Menschen mit Migrationshintergrund ein unverrückbarer Teil dieses Landes sind. Sie dürfen nicht in Angst versetzt werden.
In Köln waren mehr als 70.000 Demonstrierende zur Deutzer Werft gekommen, um sich für Demokratie und Vielfalt einzusetzen. Es lag der Geist der Ukraine-Demo von Rosenmontag im Jahr 2022 in der Luft. Am Sonntag war also das zu spüren, was Köln für so viele Menschen ausmacht. Sie lieben und schätzen die Stadt trotz aller Probleme, weil es ein gemeinsames Grundverständnis für die Regeln des Zusammenlebens gibt. Und weil sich das Gefühl in bestimmten Momenten eben auch erleben lässt.
Köln kann stolz auf sich sein!
Köln steht für Toleranz und Weltoffenheit. Von Köln gehe immer ein Signal aus, wenn Menschenrechte, Frieden oder die Demokratie in Gefahr seien, sagte Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Und das ist toll, Köln kann stolz auf sich sein!
Doch es bleibt die Frage: Was folgt nach den Signalen? Extreme Parteien haben seit Beginn der Demonstrationen vor einer Woche nicht an Stärke verloren. Die Positionen bei Wählerinnen und Wählern von AfD oder anderen Gruppen sind teils schon lange gefestigt. Sie werden durch einige Protestkundgebungen sicherlich nicht überzeugt werden.
Es ist an der Zeit, dass sich Parteien der Mitte nicht gegenseitig als größtes Übel beschimpfen. Das gilt etwa für Äußerungen des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, die Grünen seien der Hauptgegner. Sind die Differenzen zwischen den Parteien wirklich so unverrückbar groß? In NRW regieren beide Parteien relativ geräuschlos gemeinsam. Sind also nicht viel mehr die Unterschiede zu den extremen Parteien herauszuarbeiten?
Für die Ampel-Regierung gilt: Ja, Kompromisse müssen innerhalb einer Koalition gefunden werden. Sie sollten dann aber nicht im selben Atemzug wechselseitig schlechtgeredet werden. Die Kraft ist vor allem sinnvoller darauf verwendet, grobe handwerkliche Schnitzer in Gesetzen zu vermeiden. Die Verwirrung, die viele Gesetzesvorstöße auslösen, muss reduziert werden. Ein ständiges Nachkorrigieren verfestigt den Eindruck, dass schlecht regiert wird.
Nicht wieder auf die Sofas setzen – stattdessen ein Ziel stecken
Gleichzeitig dürfen Sorgen und Nöte von Protestwählern nicht völlig übergangen werden. Es ist erschreckend, dass sich viele Wählerinnen und Wählern von der Nähe zu Rechtsextremisten nicht abschrecken lassen, für eine Partei zu stimmen. Viele Ängste und Sorgen werden aus dem Lager teilweise heftig übertrieben dargestellt. Dennoch ist manche kritisierte gesellschaftliche Entwicklung im politischen Diskurs aufzugreifen.
Demonstrationen für Demokratie und Vielfalt sind etwa nicht als Signal zu verstehen, dass sich in Migrationsfragen nichts ändern muss. Die jetzt leicht verschärften Abschieberegeln vor allem für kriminelle Geflüchtete sind ein Anfang.
Das Sicherheitsempfinden vieler Menschen bleibt aber weiterhin gestört – sei es wegen einer immer sichtbareren Drogenszene in vielen Großstädten, sei es wegen des Gefühls, dass sich bestimmte Straftaten häufen und zu selten Konsequenzen drohen. Ein innenpolitisches Konzept sollte her, um die empfundene Sicherheit zu erhöhen. Das kann man auch ohne plakative Übertreibungen erreichen.
Die politische Mitte darf sich jetzt auch nicht wieder auf die Sofas setzen und denken, mit der Demo-Teilnahme sei genug getan. Ein lohnendes Ziel könnte es sein: Überzeuge eine Nichtwählerin, einen Nichtwähler, bei der Europawahl und anderen Abstimmungen ein Zeichen gegen Extremismus zu setzen.