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Gastbeitrag von Lamya KaddorDie abstrusen Gedanken der „Reichsbürger“ sind eine reale Gefahr

Lesezeit 3 Minuten
Maskierte Polizisten führen Heinrich XIII Prinz Reuß (r) zu einem Polizeifahrzeug.

Bei einer Razzia gegen sogenannte „Reichsbürger“ führen vermummte Polizisten, nach der Durchsuchung eines Hauses Heinrich XIII Prinz Reuß (r) zu einem Polizeifahrzeug.

Der Zulauf zu den „Reichsbürgern“ zeigt auch einen Wandel in der rechtsextremistischen Szene – Es braucht Strukturen der Gegenwehr.

Stand das Ende der Bundesrepublik Deutschland bevor? Nein. Drohte es Todesopfer zu geben? Ja. Es gibt also keinen Grund, die „Reichsbürger“-Razzia vergangene Woche klein zu reden. Auch Männer und Frauen höheren Alters können mit Waffen in der Hand Menschen töten. Und sie hatten mit der Ex-AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann den Türschlüssel zur Herzkammer der Demokratie in der Hand.

Die Ampel-Regierung und unsere Sicherheitsbehörden waren also sehr gut beraten, diese Truppe zu stoppen, deren Geschwister im Geiste ihre Militanz mit tödlichen und lebensgefährlichen Schüssen auf Polizisten und Polizistinnen bereits unter Beweis gestellt haben. „Reichsbürger“ machen etwa 23.000 Menschen in Deutschland aus. Im Laufe nur eines Jahres gab es einen erschreckenden Zulauf von 2000 Personen.

Etwa 23.000 „Reichsbürger“ in Deutschland

Zum Vergleich: Die salafistische Szene hatte zuletzt ungefähr 12 000 Mitglieder mit rückläufiger Tendenz. Und zu Recht käme niemand – außer jenen, die ihm irgendwie zugetan sind – auf die Idee, den Salafismus als Spinnerei abzutun. Dabei sind dessen Fantasien von Allmacht oder 72 Jungfrauen auf einer anderen Ebene ähnlich wirr und abstrus wie die Vorstellung der Reichsbürger von einer „BRD GmbH“.

Während Salafisten in Deutschland aus einem verhältnismäßig kleinen Reservoir an Zukunftsverängstigten, Verzweifelten und Einzelgängern oft mit orientalischen Wurzeln schöpfen, können Reichsbürger noch ein deutlich breiteres Publikum ansprechen. Laut der sogenannten Mitte-Studie der Universität Bielefeld zeigen Millionen Deutsche rechtsextreme und antidemokratische Einstellungen.

„Reichsbürger“ sympathisieren mit Corona-Leugnern

Reichsbürger finden Anknüpfungspunkte in Teilen der Corona-Leugner-Szene, bei der AfD, den Neonazis, der Neuen Rechten oder bei Pegida. Die damit verbundenen Gefahren zu erkennen, fällt nach wie vor vielen schwer. Salafisten stechen vermeintlich ins Auge und finden sich unter den Verlierern der Gesellschaft.

Zu den Reichsbürgern indes gehören auch Adlige, Richterinnen, Offiziere, Rechtsanwältinnen, Piloten, Ärztinnen, Spitzenköche, Unternehmerinnen, Politiker. Bei Rechtsextremismus wird noch heute zu allererst an Glatzen mit Baseballschlägern, Bomberjacken und Springerstiefeln gedacht. Doch das ist Historie. Die Szene hat sich längst gewandelt. Wir müssen aufwachen. Und: Die Demokratie muss wehrhaft bleiben.

Viele Versäumnisse in den vergangenen Jahrzehnten

Es kann nicht mehr nur um einzelne Gruppen und Personen gehen. Wir müssen zur Sicherung unserer Freiheit in Deutschland in Strukturen denken. Deshalb verabschiedet die Ampel-Koalition das Demokratiefördergesetz. Wir wollen weg von Projektfinanzierung hin zu einer verstetigten Unterstützung gesellschaftlicher Akteure, die dem Extremismus entgegenwirken. Wir werden auch die Schutzkonzepte des Bundestags sowie Zugangsberechtigungen ehemaliger AfD-Politiker prüfen – ebenso eine Verschärfung des Waffenrechts.

Es ist eine Aufgabe dieser Bundesregierung, den Verfassungsstaat zu schützen. Leider müssen wir dazu rechts der Mitte auch das aufarbeiten, was in den vergangenen Jahrzehnten unter einer konservativen Prägung der Politik versäumt worden ist.