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Anti-Mafia-Anwälte im Interview„Du lässt so jemanden nicht im Stich, niemals"

Lesezeit 7 Minuten
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Polizisten bringen einen Blumenstrauß für den ermordeten Reporter Peter R. de Vries.

  1. Peter Schouten und Onno de Jong stehen auf der Todesliste der niederländischen Unterwelt.
  2. Die beiden Anwälte vertreten den wichtigsten Kronzeugen im Prozess gegen den inhaftierten marokkanischen Mafiapaten Ridouan Taghi.

Amsterdam/KölnHerr Schouten, Herr de Jong, als Anwälte vertreten Sie den Kronzeugen gegen die niederländische Drogenmafia. Unter welchen Umständen leben Sie derzeit? Onno de Jong: Wir haben Polizeischutz, um unsere Arbeit machen zu können. Das ist etwas, womit wir leben müssen und wir kommen sehr gut damit zurecht. Aber Einzelheiten dazu dürfen wir nicht erzählen, dass würde nur unsere Sicherheit gefährden.

Klar, das verstehen wir. Aber ist es nicht so, dass Sie ein neues, gefährliches und einschränkendes Leben mit diesem Mandat gewählt haben – und ihr gewohnter Alltag unmöglich geworden ist?

Peter Schouten: Das ist richtig. Aber auf der anderen Seite ist es auch so, dass die Teams unserer Personenschützer wirklich ihr Bestes tun, um unser Leben so praktikabel wie möglich zu machen. Man muss es auch so sehen, dass das alles wirklich von Profis organisiert ist. Die sind so gut, dass wir manchmal gar nicht mehr merken, dass wir beschützt werden

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Die Anwälte Peter Schouten und Onno de Jong beim Facetime-Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger"

De Jong: Klar verändert das dein Leben. Aber wenn wir unseren Job weiter machen wollen, müssen wir uns damit abfinden. Und wir akzeptieren es, weil es in unserem Interesse ist. Es gibt zwei unterschiedliche Perspektiven: Man kann es als Invasion in die eigene Privatsphäre sehen. Oder einfach nur als Unterstützung, um weiterhin seine Arbeit machen zu können.

Leben Sie in einem abgeriegelten Safehouse?

Schouten: Nein, wir beide haben uns dagegen entschieden. Wir gehen zum Beispiel noch in Restaurants, dafür haben wir dann Bodyguards. Sie sorgen dafür, dass wir möglichst ungestört weitermachen können. Ich lebe jetzt seit 15 Monaten so. Und ich bemerke diesen Shit oft schon nicht mehr. Ich lege mein Leben in die Hände des Sicherheitsteams - so ist das. Du gewöhnst dich an alles, du integrierst es einfach in dein Leben. Andere Menschen, die einen solchen Schutz bekommen, schaffen das auch. Von außen sieht das vielleicht so aus, als könnte man mich mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten vergleichen. Aber auch diese Leute leben so normal wie möglich.

Haben Sie die Entscheidung für diese Lebenssituation schon einmal bereut?

De Jong: Reue ist in diesem Zusammenhang eine sinnlose Emotion. Zweifel oder Ängste würden uns nicht weiterhelfen. Wir müssen einfach mit der Situation umzugehen lernen.

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Peter R. de Vries, niederländischer Kriminalreporter, wurde von einem Auftragskiller erschossen.

Was ist Ihr Motiv, den Kronzeugen im angestrebten Prozess gegen die Drogenmafia zu vertreten?

De Jong: Na ja, er ist ein Mandant, der uns um Hilfe gebeten hat. Wir würden unsere Selbstachtung verlieren, wenn wir Nein gesagt hätten. Vor allem bei einem Menschen in dieser Situation, dessen Bruder ermordet wurde, dessen Anwalt ermordet wurde und noch einige weitere Vertrauenspersonen. Du lässt so jemanden nicht im Stich, niemals.

Schouten: Es mag ja sein, dass ihr Deutschen denkt, wir Niederländer tun nichts, sind phlegmatisch. Aber so ist es nicht. Als Anwälte müssen wir einfach bereit sein, unseren Job zu machen. Ansonsten könnten wir doch einpacken, unseren Job an den Nagel hängen. Und ich denke auch, dass wir uns als Experten der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet dazu fühlen, uns jetzt einzubringen. Alles andere wäre beschämend.

An welchem Punkt des Verfahrens sind Sie jetzt?

De Jong: Es gibt nicht nur den Hauptbeschuldigten, sondern auch noch 17 andere Verdächtige. Ich rechne damit, dass wir Ende 2022 ein Urteil haben werden. Vorher nicht, weil die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Einige der Zeugen werden derzeit noch von der Polizei, den Anwälten sowie der Staatsanwaltschaft und den Gerichten befragt. Wir haben also noch einen langen Weg vor uns.

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Welche Rolle spielt ihr Mandant dabei?

Schouten: Er ist der Kronzeuge. Aber er ist auch einer der Beschuldigten, da verlangen wir keine Sonderbehandlung. Und da schauen wir jetzt in aller Ruhe, welche Beweise vorgelegt werden. Wir müssen ihn genauso verteidigen, wie wir jeden anderen Verdächtigen in jedem anderen Strafverfahren verteidigen würden. Dafür gucken wir uns alle Details des Falles an. Sogar die Gesetzgebung ändert sich gerade teilweise in den Niederlanden, das alles muss berücksichtigt werden. Deshalb denke ich, dass es auch noch bis Anfang 2023 dauern könnte, bis wir die Plädoyers halten können.

189 Menschen fielen in den Niederlanden von 2013 bis 2019 einem Auftragsmord zum Opfer. Ist es bei Ihnen so einfach, einen Killer anzuheuern?

De Jong: Es ist nicht anders als in anderen Ländern, denke ich. Die Hintermänner konzentrieren sich auf junge Menschen, die glauben, sie hätten keine Chance in unserer Gesellschaft, etwas zu erreichen. Und wenn du ihnen dann eine Menge Geld versprichst, dann kommst du an sie ran. Möglicherweise macht es sie auch stolz, dass sie das Gefühl haben, einer vermeintlich starken Gemeinschaft anzugehören, in der sie akzeptiert werden. Vor allem, wenn es um Mord oder Raub geht, dann steigt man in deren Hierarchie auf. Dann ziehen die los, manchmal ohne große Planung. Und begehen bei ihren Mordversuchen absurde Fehler, gehen Risiken ein, durch die sie am Ende selbst erschossen wurden.

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Ein Mitglied einer speziellen Polizeieinheit steht Wache vor dem Hochsicherheitsgericht ´De Bunker» in Amsterdam, in dem der so genannte Marengo-Prozess stattfindet.

Warum sind diese Banden so mächtig geworden in den Niederlanden?

De Jong: Der Grund ist, dass unsere Regierung diese Art der Kriminalität jahrelang negiert hat. Wenn man diese Stämme, wenn ich sie mal so nenne, wachsen lässt, dann werden die immer größer. Und die Gewalt, mit der sie ihr System dann verteidigen, wird immer extremer. Zumal wenn jegliche Form von Strafverfolgung und Strafjustiz wie in den Niederlanden abgebaut und reduziert wird. Und letztlich ist dann auch die Polizei schlechter organisiert und aufgestellt als die Verbrecherorganisationen.

Die Anwälte des Kronzeugen

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Peter Schouten und Onno de Jong beim Facetime-Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger"

Den beiden Anwälten des wichtigsten Zeugen des Marengo-Prozesses, Nabil B., wurde vom niederländischen Koordinator für Terrorismusbekämpfung schon 2020 mitgeteilt, dass sie auf einer Todesliste aus der Unterwelt stehen. Peter Schouten und Onno de Jong beeindruckte das nicht. Der Kronzeuge im Drogenmafia-Prozess könne „weiterhin auf uns zählen”, sagte De Jong damals. Schouten ist der erste Anwalt von Nabil. B.. Er hat das Mandat im September 2019 übernommen, nachdem der ursprüngliche Anwalt des Kronzeugen erschossen worden war. Die niederländische Justiz soll parallel auch etwa 20 andere Advokaten angefragt haben, ob sie den Fall übernehmen. Keiner davon traute sich.

Kann man von einem Parallelstaat sprechen?

Schouten: Nein, nein, das wäre zu viel. So groß sind die nicht. Das sind nur sehr gut organisierte Banden. Und die jungen Männer wollen dann jede Menge Geld mit Drogen verdienen. Eines Tages wirst du dann halt gebeten, einen Mord zu begehen. Viele von ihnen sind nicht wirklich clever. Realisieren die Konsequenzen nicht, die ihr Handeln für sie haben könnte. Ich würde sagen, der enge Kreis einer Gang hat so um die 50 Leute. Die aber finden leicht andere, die die Drecksarbeit für sie machen. Mit diesem Umfeld kommt man dann vielleicht auf bis zu 500 Mitglieder.

Es gibt Leute, die die Niederlande einen Drogenstaat nennen. Wie sehen Sie das?

De Jong: Das ist eine sehr schwierige Frage. Aber ich würde sagen, unsere Regierung hat es völlig aus dem Ruder laufen lassen. Und ok, Drogenstaat - das trifft es dann irgendwie auch. Es gibt ähnliche Entwicklungen wie in Ländern wie Mexiko, die man definitiv als Narco-State bezeichnen würde. Etwa die Flut von Crystal-Meth-Laboren, die wir hier mittlerweile haben.

Schouten: Unsere Regierung hat die Exzesse nun seit fast zehn Jahren befördert. Das geschah mit einer liberalen Legalisierungspolitik, die die Realitäten übersehen hat. Man hat versäumt, eine umfassende Sicherheitspolitik zu entwickeln. Das muss sich dringend ändern. Und jetzt wird das ja auch in unserer Regierung diskutiert.

Was halten Sie denn für notwendig?

Schouten: Die ganze Kette des Rechts muss gestärkt werden, bei der in den vergangenen Jahren immer nur gekürzt wurde: Bei der Polizei, den Staatsanwaltschaften und den Gerichten. Die Sicherheitspolitik der letzten Jahre muss komplett umgekrempelt werden. In den Niederlanden werden jedes Jahr 18 Milliarden Euro mit Drogen umgesetzt. Wenn du dann eine Milliarde in den Sicherheitsapparat steckst, ist das zu wenig. Mit einer Milliarde kannst du eine 18-Millarden-Euro-Organisation nicht wirksam bekämpfen. Wie soll das gelingen? Das heißt, unser Land braucht einen Masterplan mit deutlich höheren Investitionen. Alles andere ist, wie sie in Deutschland sagen, nur Theater.

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Spurensuche nach einem Auftragsmord in Amsterdam.

Wenn der aktuelle Fall abgeschlossen ist: Glauben Sie, dass sich die Geschichte dann auch für Sie erledigt hat, dass Sie keine Bodyguards mehr brauchen?

De Jong: Ich weiß es nicht, ich kann nicht in die Zukunft sehen. Wir leben in den Tag hinein und werden die Brücke überqueren, wenn wir sie erreichen.

Schouten: Es gibt eine Menge Sicherheitsdienste in den Niederlanden, die einschätzen, wie unsere Bedrohungslage ist. Die Polizei, der Staatsschutz, gelegentlich ist auch das Militär beteiligt. Wir leben damit. Und werden sehen, was kommt.