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Auf ExpansionskursInvasion der Ameisen

Lesezeit 5 Minuten

Die Argentinische: Mittlerweile ist sie in mehr als 20 Ländern nachgewiesen. Vielerorts hat sie Superkolonien gebildet und teilweise große Schäden angerichtet.

An der Mittelmeerküste hat sich auf über 5760 Kilometern die größte Ameisenkolonie der Welt breitgemacht – und befindet sich auf Expansionskurs. Fachleute sind beunruhigt, denn sie finden kein Gegenmittel, die Invasion der nur drei Millimeter kleinen Argentinischen Ameisen (Linepithema humile) aufzuhalten.

Das erscheint allerdings dringend notwendig, denn die negativen Auswirkungen auf die heimische Flora und Fauna sind enorm, warnen Experten. Der französische Biologe und Ameisenexperte Erick Provost von der Aix-Marseille-Universität in Aix-en-Provence ist sich sogar sicher: „Sie rütteln an den Grundfesten des gesamten Ökosystems.“

Normalerweise wachsen sich Ameisen nicht zu einem derart großen Problem wie diesem aus, denn selbst die aggressivsten Expansionsvorhaben werden in der Regel spätestens durch ein benachbartes Ameisennest gestoppt. Die meisten Arten sind nämlich streng territorial und dulden keine Eindringlinge in ihrem Revier, auch keine der eigenen Art.

Ein einziger großer Superorganismus

Normalerweise. Denn hier sieht die Sache ganz anders aus, haben die Biologen überrascht festgestellt. Viele Millionen von Ameisennestern kooperieren plötzlich und verhalten sich wie ein einziger großer Superorganismus, der sich inzwischen von Portugal über Spanien und Frankreich bis zur italienischen Riviera erstreckt.

Nicht nur das: Eine Forschergruppe um Eiriki Sunamura von der Universität von Tokyo hat herausgefunden, dass diese Superkolonie sogar noch sehr viel größer ist. Die Wissenschaftler verglichen Tiere der europäischen Superkolonie mit Argentinischen Ameisen anderer großer Kolonien in den USA und in Japan.

Das Ergebnis: „Ameisen aus der amerikanischen Superkolonie, die sich über 900 Kilometer an der kalifornischen Küste erstreckt, und Tiere der größten japanischen Kolonie an der Westküste Japans bekämpften sich nicht, sondern kooperierten sogar bei der Futtersuche“, sagt Sunamura.

Die Forscher fanden auch heraus, warum das so ist. Der Nestgeruch, also das chemische Profil der Kohlenwasserstoffe auf den Chitinpanzern der Ameisen, mit deren Hilfe sich die Tiere untereinander identifizieren, gleicht sich. Für die Wissenschaftler kann das nur Eines bedeuten: „Die Argentinischen Ameisen der größten Kolonien aus Europa, Kalifornien und Japan sind miteinander verwandt“.

Mehr noch: „Der Mensch hat diese extrem große Kolonie geschaffen“, sind sich die Tokyoer Forscher sicher. Eigentlich sind die Argentinischen Ameisen in Südamerika, genauer in Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay heimisch. Aber schon Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckte man die ersten von ihnen in Europa.

Mit Handelsschiffen über den Atlantik

Handelsschiffe hatten sie mitsamt der Ladung – meist Kaffee und Zucker – über den Atlantik transportiert. Diese Handelswege nutzen die Tiere auch heute noch, um sich weiter zu verbreiten, denn nur so lässt sich erklären, dass Ameisen ein und desselben Nestes an verschiedenen Orten auf dem Planeten Fuß fassen können.

Inzwischen sind Argentinische Ameisen weltweit in über 20 Ländern nachgewiesen, wo sie vielerorts beeindruckende Superkolonien gebildet haben und teilweise große Schäden anrichten. Die Weltnaturschutzunion IUCN stuft sie deshalb als eine der weltweit 100 gefährlichsten invasiven Arten ein.

„Die Argentinische Ameise ist ein enormes Problem“, sagt Erick Provost, „überall dort, wo diese Spezies auftritt, verdrängt sie in der Regel alle anderen Ameisenarten und kann auch anderen Gliedertieren schwer zusetzen“. Vielerorts haben die Argentinier die heimischen Arten schon jetzt vollständig verdrängt, wie in Teilen Frankreichs, Spaniens und Portugals. Überall dort, wo sie auftauchen, ist kein Platz mehr für die einheimischen Arten, in Kalifornien ist sogar der Rückgang bestimmter Spinnen-, Käfer- und Pflanzenarten dokumentiert.

Ein Erfolgsrezept: Schnelligkeit

Forscher aus Südafrika beobachteten, dass die Argentinischen Ameisen 42 Prozent des Nektars aufsammelten, bevor das die Honigbienen konnten. „Die Schnelligkeit ist eines ihrer Erfolgsrezepte“, warnt dann auch der Biologe Xim Cerda von der Universität von Sevilla, der die Auswirkungen der Invasoren auf ein ganzes Ökosystem untersucht hat. „Wir hätten nicht gedacht, dass sie derart effizient sind.“

Ihre große Geschwindigkeit ist aber nur einer der Vorteile der Invasoren. Die enorme Aggressivität, mit der sie vorgehen, und vor allem ihre schiere Masse sind es, die sie so erfolgreich werden lassen.

Im Gegensatz zu einheimischen Ameisenarten, die jeweils nur eine einzige Königin haben, teilen sich bei den Argentinischen Ameisen im Schnitt 15 bis 20 Königinnen ein Nest, einvernehmlich versteht sich. So viele Königinnen können selbstverständlich auch sehr viel mehr Nachkommen hervorbringen als eine einzelne Königin es vermag.

In ihrer angestammten Heimat Südamerika bekämpfen sich die Nester der Argentinischen Ameisen untereinander, was populationsregulierend wirkt. Die Superkolonien in Europa, den USA, Japan und anderen Ländern aber halten zusammen und bekriegen sich nicht untereinander.

Die Invasion stoppen

Genau das ist der Punkt, an dem die Wissenschaftler ansetzen wollen, die weltweite Invasion zu stoppen. Der Schlüssel zum Erfolg ist dabei der Nachbau der Duftstoffe, mit deren Hilfe die Ameisen untereinander kommunizieren. „Unsere Forschungen kommen zu dem Ergebnis, dass wir das Kooperationsverhalten der Ameisen wirkungsvoll unterbrechen können, wenn wir die Chemiesignatur auf den Chitinpanzern manipulieren“, sagt der Chemiker Kenneth Shea von der Universität von Kalifornien.

Mit anderen Worten: Wird der Nestgeruch von den Forschern verfälscht, fallen auch die untereinander verwandten Tiere ein- und desselben Nestes übereinander her.

Das Problem, das den Forschern aber noch zu schaffen macht: Wie kann diese Erkenntnis außerhalb des Labors in der freien Natur effizient umgesetzt werden?

Auch die Idee einiger Wissenschaftler, andere, heimische Ameisenarten zu stärken, ist nicht einfach anzuwenden. Kaum eine andere Ameisenart kann nämlich den Invasoren auf Dauer widerstehen. In Kalifornien haben Biologen entdeckt, dass die ebenfalls aus Südamerika eingewanderte, sehr aggressive Rote Feuerameise (Solenopsis invicta) den Argentiniern ganz gut Paroli bieten kann, und auf Korsika sind es zwei Tapinoma-Arten, in deren Gegenwart sich keine Argentinischen Ameisen auszubreiten scheinen.

Hier ist aber noch viel Forschungsarbeit notwendig. So wie es aussieht, gibt es nur ein einziges wirklich wirksames Gegenmittel, das die Invasion zur Zeit noch in Grenzen hält: Der Frost, denn die Argentinischen Ameisen sind nicht winterfest.

Aber auch hier warnen die Forscher schon vor zu viel Euphorie: Mit dem Klimawandel und höheren Temperaturen könnten die Tiere nämlich bald auch schon zu uns kommen. Besser also, wir bereiten uns hierzulande schon einmal auf ihre Ankunft vor.