AboAbonnieren

Carrie Johnson und das Tabu Fehlgeburt

Lesezeit 4 Minuten

London – Die Freude über die Schwangerschaft ist riesig, doch als Carrie Johnson ihr zweites Kind ankündigt, schwingt ein Hauch Trauer mit. „Zu Beginn dieses Jahres hatte ich eine Fehlgeburt, die mein Herz gebrochen hat”, schreibt die Ehefrau des britischen Premierministers Boris Johnson bei Instagram.

Die 33-Jährige reiht sich damit ein in eine immer größere Phalanx prominenter Frauen, die öffentlich über ihre persönlichen Erfahrungen mit Fehlgeburten berichten. Erkennbar ist geradezu ein Trend, um - „endlich”, wie die „Sunday Times” schreibt - mit einem gesellschaftlichen Tabu zu brechen.

Michelle Obama fühlte sich verloren

Carrie Johnson, Herzogin Meghan, US-Model Chrissy Teigen und Queen-Enkelin Zara Tindall: Nur einige prominente Frauen in den USA und Großbritannien, die ihre Fehlgeburt zuletzt öffentlich machten. „Ich fühlte mich verloren und alleine”, schreibt Michelle Obama, die frühere First Lady der USA, in ihren Memoiren. Sie hatte vor der Geburt ihrer Töchter Malia und Natasha eine Fehlgeburt - und war unsicher, wie sie damit umgehen sollte. „Ich fühlte mich, als hätte ich versagt, weil ich nicht wusste, wie häufig Fehlgeburten sind, weil wir nicht darüber sprechen. Wir sitzen in unserem eigenen Schmerz und denken, dass wir irgendwie gebrochen sind.”

Alleingelassen fühlen sich viele Frauen, sie fürchten Stigmatisierung und schämen sich, über ihre Lage und ihren Schmerz zu sprechen. „Viele Frauen fühlen sich schuldig, glauben, etwas falsch gemacht zu haben”, erklärt Wolf Lütje, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe, die Tabuisierung. Schuld und Verlust hätten nichts damit zu tun, in welcher Woche die Fehlgeburt stattfindet oder das wievielte Kind es ist. „Das ist immer ein ganz persönlicher Leidensweg”, sagt Lütje.

Fehlgeburten sind verbreitet

Dabei sind Fehlgeburten ziemlich häufig. Viele Frauen staunten, wie viele Bekannte, Eltern, Großmütter und Freunde plötzlich von vergleichbaren Erfahrungen berichten, so der Experte. Nach Angaben der britischen Organisation Tommy's, die zu dem Thema forscht und auch Betroffene unterstützt, verliert jede vierte Frau im Laufe ihres Lebens ein Baby. Als Fehlgeburt gilt, wenn das Kind die ersten 23 Schwangerschaftswochen nicht überlebt. Oft geschieht das so früh, dass die Betroffene noch gar nicht gemerkt hatte, dass sie schwanger war. Mehrere Fehlgeburten nacheinander sind deutlich seltener, laut britischem Gesundheitsdienst NHS ist eine von 100 Frauen betroffen.

„Ein Kind zu verlieren, bedeutet, eine fast unerträgliche Trauer zu tragen, die viele erleben, aber über die wenige sprechen”, schrieb Herzogin Meghan im vergangenen November in einem aufsehenerregenden Beitrag für die „New York Times”. Ungerechtfertigte Scham und ein „Kreislauf einsamer Trauer” seien die Folge. Gerade deshalb, so meinen immer mehr Prominente, sei mehr Aufmerksamkeit notwendig. Das könnte schließlich auch das Leid der Betroffenen mildern. „Ich denke, es ist das Schlimmste, was wir uns als Frauen antun, wenn wir nicht die Wahrheit über unseren Körper teilen, wie er funktioniert und wie er nicht funktioniert”, so Michelle Obama.

Passt nicht in die Instagram-Welt

Ein weiteres Hindernis für viele heutzutage: Die inszenierte heile Welt in sozialen Netzwerken, wie auch Carrie Johnson bemerkt hat. „Fruchtbarkeitsprobleme können für viele Menschen sehr schwierig sein, insbesondere wenn es auf Plattformen wie Instagram so aussieht, als würde alles immer nur gut laufen”, schreibt sie in ihrem Beitrag. „Ich fand es sehr tröstlich, von Menschen zu hören, die ebenfalls einen Verlust erlitten hatten, daher hoffe ich, dass diese Mitteilung auch anderen helfen kann.”

Wichtig ist vor allem die Botschaft - darauf weisen auch Gynäkologen immer wieder hin -, dass eine Fehlgeburt nicht bedeutet, dass eine Frau nun nie mehr schwanger wird oder ein größeres Risiko hat, weitere Babys zu verlieren. Der beste Beweis: Meghan Markle, Michelle Obama, Zara Tindall, Sängerin Beyoncé und zahlreiche andere Frauen haben nach einer Fehlgeburt ein oder mehrere Kinder bekommen. Auch Carrie Johnson freut sich auf ihr „Regenbogenbaby”, wie in Großbritannien die Babys genannt werden, die einer Fehl- oder Totgeburt folgen. Der Regenbogen ist dabei ein Symbol der Hoffnung nach dem vorhergegangenen Sturm der Trauer.

© dpa-infocom, dpa:210802-99-662437/4 (dpa)