Kolumne „Jetzt rege ich mich auf“„Kauf dir einen Zollstock – und halte Abstand!“
- Viele Menschen wissen nicht, was ein Meter ist.
- Zum Beispiel in der Schlange an der Supermarktkasse: Sie könnten 10 Sekunden warten, bis man zwei Schritte weitergeht. Aber nein. Direkt neben sich hört unser Autor ein Schnaufen und Keuchen und kann den Atem riechen.
- „Ich habe keine Ahnung, ob Leute, die sich nicht dafür interessieren, was ein Virus ist und sich keinen Meter vorstellen können, in der Lage sind, das hier zu lesen oder zu verstehen.“
- „Gib mir einen Meter!“, kommentiert Frank Nägele in seiner Kolumne „Jetzt rege ich mich auf“.
Köln – Es ist eine schwierige Zeit, und niemand wird jetzt alles richtig machen. Aber ich frage mich, was so schwer daran ist, sich vorzustellen, wie viel 1,5 Meter sind. Wer nicht weiß, wovon die Rede ist, darf sich schon beschimpft fühlen.
1,5 Meter ist der Abstand, den wir einhalten müssen, um andere Menschen vor uns, unseren Keimen und Viren zu beschützen. Darauf haben sich die Wissenschaftler in der Coronavirus-Krise weltweit geeinigt. Manche empfehlen zwei Meter, manche sagen, im Notfall, wenn es gar nicht anders geht, soll man wenigsten einen Meter einhalten.
Aber viele Menschen wissen auch nicht, was ein Meter ist. Zum Beispiel, wenn sie, wie gerade eben, hinter mir in der Warteschlange des Supermarktes stehen oder neben mir. Oder vor den leerer werdenden Regalen nach Nudeln suchen genau da, wo ich auch suche oder nach Klopapier, dem Symbol der weltweiten temporären Verzichtskrise.
Überall waren Körper und Köpfe und Arme
Klopapier, Himmel! Aber das ist eine andere Geschichte. Sie könnten 10 Sekunden warten, bis ich zwei Schritte weitergehe. Aber nein: Direkt neben mir höre ich ein Schnaufen und Keuchen und kann den Atem riechen.Ich wäre schon froh, wenn man mir diesen Meter geben würde.
Für alle, die sich darunter nichts vorstellen mögen und keinen Zollstock zur Hand haben oder zu dumm sind, ihn zu bedienen: Wenn ein normaler Mann von etwa 1,80 Meter Größe wie ich gerade stehend seinen Arm ausstreckt, sind die Fingerspitzen etwa 70 Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Viel weniger als einen Meter.
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Gerade in der Todeszone an der Supermarktkasse, die man ja zumindest alle 2,3 Tage als letztes Zugeständnis an sein normales Leben aufsuchen muss, wäre ich sogar um diese 70 Zentimeter froh gewesen. Überall waren Körper und Köpfe und Arme.
Es kann keine völlige Sicherheit geben bis zum nächsten Händewaschen
Ich schiebe schon immer einen Einkaufswagen vor mir her, den aber hatten andere Menschen vor mir auch schon mit ihren Händen angefasst. Ich versuche, all die Ratschläge der Virologen zu beherzigen und komme zum Schluss: Es kann keine völlige Sicherheit geben bis zum nächsten Händewaschen.
Aber ich hätte gern diesen Meter im Supermarkt. Ich weiß nicht, ob Virologen einkaufen oder wie sie einkaufen, ob sie alle ihr Gesinde dafür haben oder sich nur von Lieferdiensten beschicken und die Ware vor der geschlossenen Haustür ablegen lassen, die sie zuvor elektronisch bezahlt hatten.
Keine Ahnung, wie die das machen. Ich aber muss hin und wieder wie die meisten anderen da raus und sehe, dass zwei Meter Abstand zum Nebenmann in einem Supermarkt, dessen Gänge nur zwei Meter breit sind, völlig unrealistisch sind und 1,50 Meter ein Wunschtraum. Aber ich bestehe auf diesen Meter!
Ich habe keine Ahnung, ob Leute, die sich nicht dafür interessieren, was ein Virus ist und sich keinen Meter vorstellen können, in der Lage sind, das hier zu lesen oder zu verstehen.
Vermutlich rechnen sie emotional noch in der ältesten für die breite Masse gebräuchlichen Maßeinheit der Zivilisation – dem Fuß. Er betrug schon im alten Ägypten rund 30 Zentimeter und hat bis ins heutige imperiale System, das aktuell noch in Großbritannien und den USA gebräuchlich ist, mit 30,48 Zentimetern überlebt.
Leute, dieser Fuß ist aber zu wenig. Eine Elle ist es auch und der Arm reicht auch nicht, außer ihr seid 2,50 m groß. Wenn ihr andere Menschen jetzt nicht in Gefahr bringen wollt, dann kauft euch einen Zollstock, lernt, was ein Meter ist und übt schön zuhause, bevor ihr in den Supermarkt geht. Und ein Tipp: Wer anderen jetzt so nah kommt, wie ihr das gerade bei mir gemacht hat, der kann sie nicht nur anstecken. Der kann auch von ihnen angesteckt werden! Abstand ist Anstand. Einen schönen Tag noch.