Eine italienische Lehrerin unterrichtete in 24 bezahlten Dienstjahren so gut wie nie. Gekündigt wurde ihr letztlich aus einem anderen Grund.
20 Jahre nicht zum DienstDie Phantomlehrerin von Chioggia
Wenn die Geschichte nicht vom Kassationshof, dem höchsten Gericht Italiens, minutiös rekonstruiert worden wäre, würde man sie für Fake News halten, für eine Zeitungsente. Und das selbst in Italien, wo Absentismus, Gleichgültigkeit und Ineffizienz im öffentlichen Dienst seit Jahren ein mediales und politisches Dauerthema sind.
Aber selbst unter Berücksichtigung des Umstands, dass man im Belpaese diesbezüglich einiges gewöhnt ist: Der Fall, der in diesen Tagen die Gemüter erregt, stellt in seinem Ausmaß und bezüglich der Dreistigkeit der Protagonistin alles bisher Gekannte weit in den Schatten.
Krankschreibungen und bezahlter Urlaub
Die Kassationsrichter hatten über die Entlassung einer Gymnasiallehrerin für Geschichte und Philosophie in Chioggia unweit von Venedig zu urteilen, die in 24 Jahren Schuldienst nur während insgesamt vier Jahren tatsächlich zum Unterricht erschienen ist. Allein zwischen 2001 und 2021 hat sie sich laut dem in dieser Woche veröffentlichten Urteil 67-mal krankschreiben lassen, jeweils zwischen 40 und 160 Tage lang.
Hinzu kamen wochenlange bezahlte Urlaube zur Betreuung ihrer Eltern, Mutterschaftsurlaub und Freistellung vom Schuldienst zwecks Weiterbildung. Berücksichtigt man auch noch die offiziellen Ferien und Feiertage, blieb da nicht mehr allzu viel Zeit für den Unterricht. Der Kassationshof schrieb von „abnormen Absenzen“.
Kündigung wegen „konfusem“ Unterricht
Abnorm ja – aber kein Grund zur Kündigung. Aus dem Schuldienst entlassen wurde die „professoressa fantasma“, die Phantomlehrerin, wie sie von den italienischen Medien genannt wird, nämlich nicht wegen ihrer von der Schulleitung jeweils abgenickten Abwesenheiten, sondern wegen ihrer Performance dazwischen, also in den kurzen Zeitabschnitten, in welcher sie das tat, wofür sie bezahlt wurde – nämlich Unterricht geben.
Ihre Lektionen seien „unvorbereitet, konfus und ohne logischen Faden“ gewesen, heißt es im Urteil. Während des Abfragens der Schülerinnen und Schüler habe sie „Sprachnachrichten in ihr Mobiltelefon“ getippt, die Notengebung sei „zufällig“ gewesen. Auch habe sie immer wieder vergessen, die Lehrbücher mit in den Unterricht zu nehmen; das habe dann wiederum zu „Improvisationen“ geführt. Alles in allem nicht so ein gutes Zeugnis für die Pädagogin.
Am Gymnasium von Chioggia war es 2016 sogar zu einem Schülerstreik gekommen, an welchem die Versetzung der Lehrerin gefordert wurde. Dieser Streik war es denn auch gewesen, der das Bildungsministerium auf den Plan gerufen hatte: Es kam zu einer dreitägigen Inspektion des Unterrichts und danach zur Kündigung. Es folgte ein jahrelanges juristisches Tauziehen, das die Lehrerin zunächst gewann – die Kündigung wurde nach wenigen Monaten wieder rückgängig gemacht. Zu mehr Schulpräsenz der Lehrerin hat dies aber nicht geführt.
Mehrere Diplome, unter anderem in Tiertherapie
Immerhin hat die „Phantomlehrerin“ von Chioggia ihre Absenzen nicht ungenutzt verstreichen lassen: Sie hat in der Zwischenzeit mehrere Diplome erworben, unter anderem in Medizingeschichte, Kriminologie, neue Technologien und Pet-Therapy, also Therapie mithilfe von Haustieren. Für ein Klavierdiplom hat es ebenfalls noch gereicht.
Auch journalistisch ist die Lehrerin tätig geworden, hauptsächlich auf Internetportalen, die sich mit schulischen Belangen befassen. Als kritische Journalistin will sie sich nach eigenen Angaben nun auch mit dem Urteil des höchsten Gerichts befassen, das ihre Entlassung aus dem Schuldienst in letzter Instanz und damit unwiderruflich bestätigt hat. Sie empfindet das Verdikt als ungerecht, ja geradezu „surreal“ und werde „die wahre Geschichte erzählen“, hat die Lehrerin angekündigt. Aber erst später, fügte sie an. Denn jetzt befinde sie sich gerade am Meer.
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