Wunder von ManhattanVor zehn Jahren vollbrachte „Sully“ die Notlandung auf dem Hudson

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Bild Flugzeug

Die Passagiere stehen auf den Tragflächen und warten auf Hilfe.

  1. Am 15. Januar 2009 fielen nach einem Vogelschlag mitten über New York beide Triebwerke eines mit 155 Menschen besetzten Flugzeugs aus.
  2. Pilot Chesley Sullenberger entschied sich für eine Notwasserung auf dem Hudson River in Manhattan.
  3. Die Bilder gingen um die Welt und Sullenberger wurde zum Nationalheld.

New York – Der 15. Januar 2009 begann für Chesley Sullenberger wie ein ganz gewöhnlicher Arbeitstag. Kurz nach 13 Uhr meldete er sich am La Guardia Flughafen im New Yorker Stadtteil Queens zum Dienst um einen Airbus zu übernehmen, den er nach Seattle bringen sollte. Nach 30 Dienstjahren und beinahe 20.000 Flugstunden eine reine Routineangelegenheit.

Foto Sully

Pilot Chesley Sullenberger wurde zum Star.

Sully holte sich am Kiosk im Terminal 2 noch ein Sandwich. Ein tägliches Ritual, seitdem die Fluggesellschaft die Mahlzeiten für das Flugpersonal gestrichen hatte. Dann ging er an Bord, begrüßte seinen Co-Piloten Jeff Skiles, den er erst zu Beginn der viertägigen Tour jener Woche kennengelernt hatte und machte die Maschine startklar. Um 15.24 Uhr bekam er aus dem Tower die Meldung „Ready for Takeoff“.

Zwei Minuten später schwebte der Airbus an einem glasklaren Wintertag über Manhattan. „Was für ein Ausblick“, raunte Sullenberger seinem Co-Piloten zu. Keine 30 Sekunden später sind auf der Tonaufzeichnung aus dem Cockpit jene dumpfen Einschläge zu hören, die dem Flug UA 1549 beinahe zum Verhängnis wurden. Sieben Sekunden lang hört man, wie die Körper eines Schwarms kanadischer Gänse gegen das Cockpit prallen.

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Die Aufzeichnung der folgenden drei Minuten sind das Protokoll einer fast schon unheimlichen Kaltschnäuzigkeit und Professionalität.

Nächster Flugplatz zu weit

Um 15:27:21 sagt Sully seinem Co-Piloten nüchtern: „My airplane.“ Skiles bestätigt: „Your airplane“ und überlässt Sully das Ruder. Dann versucht er, beide ausgefallen Motoren zu starten.

Um 15:27:46 dann die Meldung an seinen Co-Piloten: „Two two zero“ und der Notruf an den Tower: „Beide Motoren ausgefallen, müssen zurück nach La Guardia.“

Um 15:28:05, keine 20 Sekunden später, hat Sullenberger jedoch die Lage überdacht, Flug- und Sinkgeschwindigkeit kalkuliert und gibt dem Tower durch: „Sieht so aus, als würden wir im Hudson landen.“

Auf das Angebot des Fluglotsen in La Guardia, auf den Flughafen von Teterboro auf der anderen Seite des Hudson in New Jersey auszuweichen, erwidert Sully nur knapp, „schaffen wir nicht“.

Foto Notlandung

Boote waren für die Rettung herbeigeeilt.

Dann wird es gespenstisch ruhig im Cockpit. Sully fragt Skiles nur kurz, ob er noch irgendeine gute Idee hat. Skiles muss verneinen. Während der Kapitän nun den Flieger, der pro Minute 300 Meter an Höhe verliert, darauf vorbereitet, auf das Eiswasser des Hudson segeln zu lassen, hört man nur noch technische Anweisungen.

15:29:55: „Hochziehen, hochziehen, hochziehen“. 15:30:01: „Klappen ausgefahren“. 15:30:03: „250 Fuß Höhe“. 15:30:06: „Zu niedrig, 170 Knoten“. 15:30:23: „Achtung Boden“. 15:30:38: „Wir schlagen auf.“ 15:30:41 „30 Fuß“. Dann Stille.

Spaziergänger filmen

Spaziergänger am Manhattaner Westufer filmen per Handy, wie der Flieger beinahe sanft auf dem Bauch über die eisige Wasseroberfläche gleitet. In der Passagierkabine bricht Freudengeheul aus, 155 Menschen feiern ihr Überleben.

Doch Sully ist noch lange nicht fertig. Es gibt kein High Five und keinen Jubel im Cockpit, der Job des Captains ist erst vorbei, wenn alle gerettet sind. Sullenberger weist das Personal an, die Menschen geordnet von Bord zu holen.

Als das frostige Wasser schon hüfthoch im Flugzeug steht, watet er noch zweimal durch die Maschine, um sicher zu gehen, dass niemand mehr da ist. Erst dann springt auch er auf die Rutsche.

In Minuten berühmt

Es dauert nur Minuten, bis Sully berühmt ist. Schon als das Rettungsschiff anlegt, sind Kamerateams vor Ort, der Bürgermeister und der Gouverneur wollen ihn sprechen. Am Abend kennt das ganze Land den Namen Sully.

In den nächsten Wochen wird er von jedem umgarnt. Er wandert von Talkshow zu Talkshow. Der noch amtierende Präsident Bush ruft ihn an, der frisch gewählte neue Präsident Obama lädt ihn samt seiner Crew zur Amtseinführung in Washington ein.

Sully ist der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt für Amerika, mehr als einmal hört man damals, dass das „Wunder vom Hudson“ die ersten guten Nachrichten seit langem sind. Das Land steckt noch immer tief in einer Wirtschaftskrise und hat einen langen erbitterten Wahlkampf hinter sich, der die Nation zerrissen hat. Sully hat das alles für einen kurzen Augenblick vergessen lassen und das Land zusammengebracht.

Verlorene Werte

Seitdem steht Sully für alles, was man in Amerika zunehmend vermisst. Pflichtgefühl, Integrität, Selbstlosigkeit. Und die Art und Weise, wie er seinen Ruhm einsetzt, zementiert diesen Stellenwert.

So tritt Sullenberger nur Monate nach seiner Heldentat vor dem Kongress auf, um sich gegen die Unterbezahlung der Fluglinienangestellten auszusprechen. Er selbst hat bei einer Fluglinien-Pleite zwei Drittel seiner Pension verloren und musste vor dem „Wunder vom Hudson“ nebenbei eine Beratungsfirma für Flugsicherheit betreiben.

Foto Hanks

Tom Hanks verkörperte Chesley Sullenberger in dem Film „Sully“ von Clint Eastwood.

Für das mutige Eintreten wird Sully vom linken Filmemacher Michael Moore mit einem Auftritt in dessen Film „Capitalism“ gewürdigt. Aber auch der erzkonservative Filmemacher und Trump-Anhänger Clint Eastwood machte sich an Sully ran. In Eastwoods Film „Sully“ von 2016 verkörpert der Held vom Hudson, gespielt von Tom Hanks, den hemdsärmeligen, uramerikanischen Mann der Tat.

Sullenberger, inzwischen 67 und im Ruhestand, will eigentlich keinen Ruhm. Er meldet sich nur zu Wort, wenn es ihm wichtig ist. So wie im vergangenen Herbst. Er sehe es als seine Pflicht an, seine Stimme zu erheben, schrieb er in einem viel beachteten Aufsatz in der „Washington Post“.

„Nicht mehr mein Amerika“ 

Ohne Namen zu nennen, beklagte der bekennende Konservative den Verfall der politischen Kultur und die Korruptheit der Führung in Washington. „Die Leute in Machtpositionen handeln heute gegen die Interessen der USA, unserer Verbündeten und der Demokratie und sie gefährden die Bewohnbarkeit unseres Planeten. Dies ist nicht das Amerika, das ich kenne und liebe.“

Ganz entgegen seiner Gewohnheit, Kritiker in den Boden zu stampfen, hat Donald Trump nicht reagiert. Der Held vom Hudson scheint unantastbar. Selbst für einen wie Trump.

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