Poetisches, Rockiges und ja, auch Politisches zum Valentinstag: Tocotronic lancieren ein neues Album. Und das nur wenige Tage vor der anstehenden Bundestagswahl.
MusikIndierock zum Valentinstag: Neues Studiowerk von Tocotronic
![Tocotronic veröffentlicht das neue Album «Golden Years». (Archivbild)](https://static.ksta.de/__images/2025/02/14/eb5d29fb-8bdb-4878-ad99-b8ddf4817eb2.jpeg?q=75&q=70&w=2000&h=1334&fm=jpeg&s=ccaed1aa6777d5c9c0ff7c2a559faea0)
Tocotronic veröffentlicht das neue Album „Golden Years“. (Archivbild)
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Eine neue Platte, und das am Valentinstag: Am Freitag lanciert die in Berlin ansässige, dereinst jedoch in Hamburg ins Leben gerufene Band Tocotronic ihr neues Werk: Sänger und Gitarrist Dirk von Lowtzow, Bassist Jan Müller und Schlagzeuger Arne Zank schicken am 14. Februar ihr bereits vierzehntes Studioalbum ins popmusikalische Rennen.
Es trägt den verheißungsvollen Titel „Golden Years“. Und es umfasst zwölf, die Hörer mal sanft umgarnende, mal aber auch leicht aufrüttelnde Stücke. Und wieder, man kennt das von der Band, die es gern verrätselt und enigmatisch mag, steckt es auch voller Ironie und Zweideutigkeiten. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur erklärt die Band, dass sie sich über den Veröffentlichungstermin, just zum Tag der Liebenden, durchaus freue.
Handelt es sich gar um ein Liebesalbum? „Ich finde, es ist ein sehr zärtliches Album“, erklärt Tocotronic-Bassist Jan Müller im Gespräch. Aber man soll sich nicht täuschen: Vor wenigen Monaten wurde die erste Single veröffentlicht: „Denn sie wissen, was sie tun“. Ein eingängiges Stück Rock mit allerdings ernstem Hintergrund: Dort heißt es: „Diese Menschen sind gefährlich, denn sie wissen, was sie tun“.
„Vieles, was progressiv ist, ist gerade bedroht“
Wenige Tage vor der Bundestagswahl kommt man kaum umhin, das Stück, in dessen Video Monstertrucks in einer Art von Zerstörungsrausch zu sehen sind, als Warnung vor politischen Umtrieben zu sehen. Lowtzow singt: „Darum muss man sie bekämpfen, denn sie werden zahlreicher“. Bassist Müller sagt dazu im Interview: „Vieles, was progressiv ist, ist gerade bedroht, und das ist total gruselig.“ Sänger von Lowtzow ergänzt: „Man kann sich nicht aus der Verantwortung entziehen und man muss auch als Band Verantwortung übernehmen. Deswegen war das schon ganz bewusst gesetzt das Lied“.
Aber Tocotronic wären nicht Tocotronic, wenn die vermeintliche Regieanweisung im Kampf gegen ganz Rechts (unter das Video zum Song hat die Band den Hashtag „noafd“ gesetzt) nicht auch irgendwie poetisch gebrochen würde: „Wenn wir sie auf die Münder küssen“, heißt es nämlich weiter in dem Stück, „machen wir sie schneller kalt“.
Songs, die sich einschmeicheln
Unmittelbar ins Ohr schmeicheln sich gleich mehrere der neuen Stücke: so etwa der grandiose Opener „Der Tod ist nur ein Traum“. Das eingängige „Wie ich mir selbst entkam“ vermag sich gar noch länger im Rezipienten-Ohr einzunisten: Sänger und Songschreiber von Lowtzow findet dort so schöne, wie gleichsame rätselhafte Sprachbilder: „Und ich hielt mich fest an deinem ausgestreckten Arm“. Flankiert wird das Ganze von rundum famosen Gitarrenfiguren.
Apropos: Gitarrist Rick McPhail hat zwar noch mitgewirkt an der Entstehung des Albums. Nach den Aufnahmen aber nahm sich der gebürtige Amerikaner für unbestimmte Zeit eine „Auszeit“: Tocotronic sind nun wieder ein Trio. Just so wie in den Anfangstagen Mitte der Neunziger als die Band mit ihrem alternativ-studentischen Look auch modemäßig Trends setzte: Tocotronic und ausgewaschene Trainingsjacken wurden dereinst in einen Atemzug genannt.
Heute sieht man die drei gut gealterten Herren auch mal im weißen Hemdkragen. Der Songtitel „Ich werde mich nie verändern“, vom dritten Toctronic-Album, war eben schon vor 29 Jahren eine augenzwinkernde, wenn auch feine Irreführung.
Drei Jahrzehnte „Digital ist besser“
Nur wenige Wochen nach der Veröffentlichung des neuen Longplayers steht für die Band ein Jubiläum an: Im März vor genau 30 Jahren wurde das erste, nicht nur von Fans hochverehrte Debüt „Digital ist besser“ lanciert. Damals, im Frühjahr des Jahres 1995, war der Erstling der Indierocker eine kleine Sensation. Fürs Popjournal „Spex“ war Tocotronic die drittbeste Band des Jahres. Eine Musiksendung des Hessischen Rundfunks hob das Album auf Platz 1 des Jahrescharts. Als 2023 der „Rolling Stone“ die 500 besten Platten „aller Zeiten“ kürte, landete das Werk auf Platz 200. Zwei Plätze vor dem Debüt der heutigen Überstars von Coldplay.
„Aber man muss dankbar sein“, heißt es im Titelstück „Golden Years“, „wenn man den Leuten noch begegnet, nicht nur als Klick auf Spotify“. Ist das vielleicht die Antithese zum einst auf dem Debüt ausgerufenen „Digital ist besser“? Nein, eins zu eins sollte man die Texte dieser für die deutsche Popmusik so wichtigen Band ohnehin nicht lesen: „Eins zu eins ist jetzt vorbei“, verkündete von Lowtzow schließlich schon auf dem legendären weißen Album von 2002. Heute antwortet der Frontmann im Interview auf die Frage, ob man Tocotronic auf textlicher Ebene stets vertrauen kann mit einem lachenden: „Na hoffentlich nicht!“.
Gelegenheiten, den im Titelsong erwähnten „Leuten“ zu begegnen werden Tocotronic in den kommenden Wochen in ausreichendem Maße haben: Die Band ist in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterwegs, um das neue Werk, diese auf so warme Art eingängige Platte, zu präsentieren. Los geht es am 19. März im Leipziger Felsenkeller. Nur zwei Tage später feiert Sänger Dirk von Lowtzow, der 1995 auf dem Debüt der Band noch proklamierte: „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ beim Tourneestop in Nürnberg seinen 54. Geburtstag. (dpa)