Einst tourte Günter Grass für Willy Brandt durchs Land. Im Bundestagswahlkampf 2025 warnen zahlreiche Promis CDU-Chef Merz vor dem Einreißen der Brandmauer gegen die AfD. Was bringt das?
Promis politisch positioniertStars im Wahlkampf: Hilft das oder schadet es eher?
![Insgesamt mehrere 100.000 Menschen haben in den vergangenen Wochen so wie hier in Berlin gegen eine Zusammenarbeit von CDU und AfD demonstriert (Archivbild).](https://static.ksta.de/__images/2025/02/10/d5c09e19-a966-4a28-9a2e-866735bd91bb.jpeg?q=75&q=70&w=2000&h=1254&fm=jpeg&s=0463a0179349db1eebb05a71cdd76bfe)
Insgesamt mehrere 100.000 Menschen haben in den vergangenen Wochen so wie hier in Berlin gegen eine Zusammenarbeit von CDU und AfD demonstriert (Archivbild).
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Schon lange haben sich Stars aus Film und Fernsehen und Popmusik nicht mehr so stark in einen Wahlkampf eingebracht wie derzeit. Nachdem die CDU im Bundestag einen Antrag auf Zurückweisung von Asylsuchenden mit den Stimmen der AfD durchgesetzt hatte, meldeten sich Hunderte Prominente in einer Erklärung zu Wort und kritisierten den „Pakt mit der AfD“ als „historischen Tabubruch“. Was bringt so ein Künstler-Protest?
In den USA konnte sich die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris im vergangenen Jahr der Unterstützung zahlloser Celebritys sicher sein. Angefangen von Taylor Swift, dem derzeit größten Namen der Musikszene, über Hollywood-Ikonen wie George Clooney, Julia Roberts, Anne Hathaway und Jennifer Aniston bis hin zu „Terminator“ Arnold Schwarzenegger. Aber am Ende gewann der Mann, den sie alle unbedingt verhindern wollten.
Beyoncé interessiert sich nicht für die Burger-Preise
„In Amerika ist das nach hinten losgegangen, weil man das Gefühlt hatte: Das, was die Menschen bewegt - hohe Inflation, gestiegene Lebenshaltungskosten - hat die Schönen und Berühmten überhaupt nicht interessiert“, analysiert der Psychologe Stephan Grünewald, Leiter des Kölner Rheingold-Instituts. Beyoncé muss sich keine Sorgen über die hohen Burger-Preise machen.
![Psychologe Stephan Grünewald hat die derzeitige Stimmung in der Bevölkerung in tiefenpsychologischen Interviews untersucht (Archivbild).](https://static.ksta.de/__images/2025/02/10/7132fb80-8bb8-4769-9b8a-9cce082a854e.jpeg?q=75&q=70&w=2000&h=1334&fm=jpeg&s=2ac07cea3dbcc9cfe633670f47dc61e3)
Psychologe Stephan Grünewald hat die derzeitige Stimmung in der Bevölkerung in tiefenpsychologischen Interviews untersucht (Archivbild).
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Der Philosoph Julian Nida-Rümelin sieht es ähnlich: „Kulturkämpfe von links funktionieren nicht“, sagt der Ex-Kulturstaatsminister und frühere stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats der Deutschen Presse-Agentur.
Der Kulturkampf in den USA sei allerdings etwas anderes als der Protest deutscher Kulturschaffender gegen ein mögliches Einreißen der sogenannten Brandmauer gegen die AfD. „Eine breite Bewegung in der Bevölkerung, die sagt: „Wir wollen die AfD nicht in der Regierung, auch keine Annäherung an die AfD“ - das kann schon eine Wirkung entfalten.“
Der Blick ins Ausland zeigt: Jede Annäherung stärkt die Rechten
Ein Blick ins europäische Ausland zeige, was geschehe, wenn die gesellschaftliche Mehrheit solchen Entwicklungen nicht rechtzeitig entgegentrete. So sei der frühere italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi sicher kein Rechtsextremer gewesen, sondern eher ein Liberal-Konservativer, sagt Nida-Rümelin. Doch wie sieht es heute aus?
„Wir haben eine postfaschistische Regierungschefin, Giorgia Meloni.“ Und die Partei Berlusconis sei sehr klein geworden. „In Frankreich dasselbe: Die Republikaner haben sich Marine Le Pen inhaltlich immer weiter angenähert und sind darüber bedeutungslos geworden. In Österreich sieht es so aus, als würde die ÖVP als Juniorpartner der FPÖ eine Regierung unter dem Rechtsaußen Herbert Kickl bilden. Deshalb ist es so wichtig, dass die Brandmauer bei uns, im größten Land Europas, standhält.“
![Der Philosoph Julian Nida-Rümelin befürwortet das Engagement von Kulturschaffenden für die Brandmauer gegen die AfD. (Archivbild)](https://static.ksta.de/__images/2025/02/10/85038cd4-ad70-4443-acba-d8dd48f8447c.jpeg?q=75&q=70&w=2000&h=1334&fm=jpeg&s=88a3eca084b72d3b55395cb717b13689)
Der Philosoph Julian Nida-Rümelin befürwortet das Engagement von Kulturschaffenden für die Brandmauer gegen die AfD. (Archivbild)
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Dazu wollten mit gutem Recht auch Künstler und Intellektuelle ihren Beitrag leisten. „Ihre Wirkung ist sicher nicht wahnsinnig groß“, vermutet Nida-Rümelin, „jedenfalls lange nicht so groß wie die Demonstrationen, die wir derzeit wieder erleben. Aber ihr Protest ist berechtigt und geboten.“
Der „Blechtrommel“-Autor rührte für Willy die Werbetrommel
Früher ergriffen Kulturschaffende teilweise noch viel stärker Partei: In den 60er Jahren wurde der SPD-Kanzlerkandidat Willy Brandt von vielen Künstlern und Intellektuellen unterstützt. Der Schriftsteller Günter Grass („Die Blechtrommel“) tourte 1969 gar ein halbes Jahr in einem VW-Campingbus durch die alte Bundesrepublik, um für „Willy“ die Werbetrommel zu rühren.
Der spätere Literaturnobelpreisträger legte 32.000 Kilometer zurück, besuchte 79 Wahlkreise, sprach zu etwa 60.000 Menschen, gab 46 Pressekonferenzen. Im Vergleich zu heutigen Interventionen aus der Kulturwelt unterschied sich sein Engagement allerdings in einem wesentlichen Punkt: Er hatte Interessen der SPD-Stammwählerschaft fest im Blick, setzte sich für bessere Bildungschancen, gerechtere Entlohnung und bezahlbaren Wohnraum ein.
„Damit war das Gefühl verbunden: „Die Eliten sehen uns, wertschätzen uns, kämpfen für uns““, erläutert Grünewald. „Genau das aber ist in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr verloren gegangen und mitunter ins Gegenteil umgeschlagen.“
Blicken die Kultureliten aufs sogenannte normale Volk herab?
Viele Menschen hätten jetzt eher das Gefühl, dass die Eliten auf sie herabblickten, nach dem Motto: Ihr fahrt immer noch Diesel, esst Fleisch und gendert nicht! „Das kann nicht nur zu einem Gefühl mangelnder Wertschätzung führen, sondern auch Beschämungsgefühle auslösen“, meint Grünewald. „Von daher kann ein solcher Protest sogar das Gegenteil bewirken, so wie wir das in den USA erlebt haben.“
Nida-Rümelin spricht in diesem Zusammenhang von Standbein und Spielbein. „Das Standbein der Parteien der linken Mitte sollte die Vertretung der Interessen von Menschen mit eher geringerem Einkommen sein. Brot- und Butterthemen - das ist erst einmal die Hauptsache. Und wenn das gegeben ist, dann kann man mit dem Spielbein einen intellektuellen Überbau schaffen, so wie das Günter Grass seinerzeit getan hat.“
In dem Moment, wo linke Parteien aber eine kulturelle Agenda der urbanen, gebildeten Mittelschichten übernähmen, kämen sie in Konflikt mit der kulturellen Verfasstheit dieser Leute: „Denn die sind nie kulturell progressiv - können es gar nicht sein.“
Auch mit Migrationshintergrund kann man gegen Migration sein
Gerade die Migrationsthematik sei in diesem Zusammenhang für die Mitte-Links-Parteien hochriskant, sagt Nida-Rümelin („Demokratie und Wahrheit“, „Über Grenzen denken - Eine Ethik der Migration“): „Denn diejenigen, die weniger verdienen, leben ja in den Stadtvierteln, in denen sich die Migration am meisten und manchmal auch sehr negativ bemerkbar macht.“
Die Mieten steigen dort besonders stark, Kinder gehen auf Schulen, in denen die Mehrheit nicht mehr aus Familien mit Muttersprache Deutsch kommt. Die gehobene Mittelschicht dagegen ist von Einwanderung nur am Rande betroffen, und wenn, dann oft positiv: Sie besucht interessante Restaurants und profitiert von Arbeitskräften, die für wenig Geld im Haushalt helfen.
„Das erklärt auch das merkwürdige Phänomen, dass Menschen mit Migrationshintergrund oft migrationsskeptisch sind: Sie wollen diese Dynamik nicht, weil sie ihre Situation erschwert.“ Das alles mache gerade die Migrationspolitik zu einem Balanceakt, so der Philosoph Nida-Rümelin.
In einem Punkt allerdings muss seiner Meinung nach Klarheit herrschen: „Die Brandmauer muss halten.“ Sonst, so Nida-Rümelin, „schlittern wir wirklich einer anderen Republik entgegen“. (dpa)