Erotikmesse in DüsseldorfSchwere Zeiten für Eros und Amore

Warten, dass die letzten Hüllen fallen: Vor der Bühne drängen sich Männer mit Smartphones und Kameras.
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Bei Klaus Behrmann gibt es Eis. Softeis. Geschmacksrichtung Vanille. Zwei Euro die kleine Portion, vier die große. Die Reporterin nimmt eine kleine mit zweimal Streusel umsonst und ohne Sirup. Hält sich fest am pappigen Hörnchen. Ein Eis, das ist etwas Vertrautes in der Terra incognita der „Mitsubishi Electric Halle“ in Düsseldorf.
In Behrmanns Rücken summt die Eismaschine. Links neben ihm, hinter einer eisgrauen Stellwand, rücken zwei Arbeiter ein paar Stuhlreihen zurecht. Die Fenster des abgetrennten Raums sind mit schwarzer Plastikfolie zugeklebt, vorn steht ein kleines Podest, kaum größer als ein Trampolin. Hier, auf der samtig roten „Special Bühne“, wird gleich „Hot Girl Jenny Baby“ auftreten, und Jenny Baby aus Budapest wird uns zeigen, was Frauen wirklich wollen.
Vor einer halben Stunde hat Moderator Dieter Deutsch auf der Hauptbühne der Ausstellungshalle die Erotikmesse „Eros & Amore“ eröffnet: „Schön, dass Ihr alle wieder dabei seid.“ „Geil“, dröhnt es aus großen Boxen durch die Halle. Die Bühne ist rundum schwarz verkleidet, im Hintergrund prangt ein großes rotes Herz. Amore, Amore. Links und rechts hängen zwei Käfige für die „Hot girls“ mit den sehr speziellen Interessen. Bässe wummern, Männer schwitzen. „Ich bin so geil, geil, geil.“
Eben ist die blonde Dora Angel auf allen Vieren über den Boden gekrochen und hat sich schlangengleich aus einem glitzernden String-Tanga gewunden. Am Schluss der Vorstellung übergießt sie sich mit einer milchigen Flüssigkeit. Oder ist es sogar Milch? Kameras klicken, Smartphones blitzen. Genüsslich reibt sich Dora mit der Flüssigkeit ein. Busen, Hintern. Und so weiter.
Was tun wir hier?
„Kann ich helfen?“, fragt Wally. Wally trägt eine schwarze Federboa und eine Kette aus roten Korallenästchen um den Hals. Vor ihr liegen knallbunte Vibratoren, Hilfsmittel für den Mann und Spielzeug für den modernen Menschen. Ihre „Erotische Tombola“ steht direkt hinter der Hauptbühne. Frauen in eng anliegenden Korsagen stöckeln vorbei. Junge Mädchen in Jeans und Sweatshirts stöbern am Stand gegenüber in Reizwäsche – „Ein BH drei Euro. Nach fünf Stück einer geschenkt.“
Wally stammt aus Leipzig und hat die 60 schon eine Weile hinter sich. Früher habe sie als Wahrsagerin gearbeitet, erzählt sie. Später Pizza verkauft in Wien und Käse produziert auf einer Alm in Österreich. Nichts „lief so richtig“. Seit 1997 ist sie mit der „Erotischen Tombola“ unterwegs. Jetzt läuft der Laden: ein Vibrator acht Punkte, Gutscheine gibt es an der Abendkasse. „Keine Nieten. Jedes Los gewinnt“, verspricht eine Schild über der Auslage. Die Reporterin hat leider keinen Gutschein bekommen. Wally schenkt ihr dennoch was: einen königsblauen Kugelschreiber.
An der Abendkasse sitzt Ferdinand Liendl, 51 Jahre alt und seit 1996 im Geschäft mit der Liebe. Höchstpersönlich schiebt der Erfinder und Veranstalter von „Eros & Amore“ Eintrittskarten und Tagesprogramme über die Verkaufstheke. Draußen ist es inzwischen stockdunkel, der Asphalt auf dem Parkplatz vor der Messehalle glänzt feucht im Licht der Straßenlaternen. Die Schlange vor der Kasse ist überschaubar.
Es ist Liendls 18. Erotikmesse in diesem Jahr. Der Mann mit der dicken Brille sieht müde aus. Die Augen sind dunkel umschattet. In einer Woche wird er mit der ganzen Truppe, mit Dora Angel und Jenny Baby weiterziehen nach Wien-Vösendorf, ins „Eventhotel Pyramide“ gegenüber von „Europas größtem Einkaufszentrum“.
Kriseln in der Branche
Tageskarte 20 Euro, zehn Euro zusätzlich für die Sado-Maso-Shows im Extrakämmerchen hinter der Hauptbühne – das ist kein Pappenstil. „Dafür kriegen sie auch was geboten“, brummt Liendl, der aus Loipersdorf in der Steiermark stammt und außer der Erotik- auch die Hausbaumesse betreut. 60 Anbieter auf 3330 Quadratmeter Fläche. Fünf Bühnen, drei Dreamboys, Liveshows rund um die Uhr, die Damen vom Feinsten. „Fast alle von einer Agentur in Budapest“.
Vor Liendl steht ein Bier. Wir sind umgezogen ins Foyer. Es riecht nach Currywurst und Pommes Frites. Auf der „Eros & Amore“-Bühne läuft Hot Girl Christy Cox heiß. Seit 2013 kommt Liendl zweimal im Jahr nach Düsseldorf. 2015 wird es nur noch ein Mal sein. „In der gesamten Erotikbranche kriselt es“, knurrt er gegen den hämmernden Beat auf der Bühne an. „Die allgemeine Wirtschaftslage.“ Dazu die hohe Vergnügungssteuer und andere bürokratische Nickeligkeiten, die einem wie ihm den Spaß am Geschäft verderben können. „In Deutschland ist einfach zu viel verboten“, sagt er. In Hamburg und Düsseldorf sei man ja noch vergleichsweise liberal. „In Baden Württemberg müssen wir den Frauen die Titten abkleben, weil die primären Geschlechtsteile nicht zu sehen sein dürfen.“
Ärger wegen des Spezialstuhls
Berry Dickmann, 55 nickt. Er weiß, wovon Liendl spricht. Dieckmann ist Holländer und seit 1997 für das technische Equipment zuständig. „Bei uns zu Hause ist man da viel weiter“, sagt er. Kürzlich erst habe er auf der Erotikmesse in Utrecht einen Swingerclub mit 60 Betten aufgebaut und einen Spanner-Raum: „Ein Pärchen lässt es krachen und jeder kann zugucken. So etwas ginge in Deutschland überhaupt nicht“, klagt er. „Hier dürfen die Besucher ja nicht mal selber strippen.“
Dickmann kann sich noch gut an den Ärger wegen eines Spezialstuhls für die Dame erinnern, den „Auto-Erotik-Stuhl“ mit speziellem Sitzkomfort. Dessen Benutzung durch ein „Hot Girl“ durfte nicht live, sondern nur als Kameraübertragung auf eine Leinwand gezeigt werden. „Wir mussten eine Wand drum herum bauen.“ Dickmann schüttelt den Kopf.
Viele Pärchen unterwegs
Andere Veranstalter haben längst die Segel gestrichen. Liendl ist der einzige in Deutschland, der noch mehrmals im Jahr Erotikmessen ausrichtet. Größer als „Eros & Amore“ ist lediglich die Berliner Erotikmesse „Venus“ mit rund 230 Ausstellern. Sie findet einmal im Jahr in der Messehalle unter dem Funkturm statt. 2014 kamen erstmals statt der üblichen 30.000 nur rund 28.500 Besucher.
Immerhin: Heute zählen, anders als noch vor zehn Jahren , auch viele junge Frauen und Pärchen zu den Besuchern. „Der Erotikmarkt ist im Wandel“, wird Doreen Schink, Leiterin Unternehmenskommunikation der Beate Uhse AG, am nächsten Tag am Telefon sagen. „Junge Frauen haben viel weniger Berührungsängste als früher, und der Besuch eines Erotikshops ist für sie inzwischen Teil eines ganz normalen Shoppingbummels.“ In den Beate-Uhse-Läden sind mittlerweile mehr als 70 Prozent der Kundschaft weiblich. Früher waren mehr als 80 Prozent der Kunden Männer. Das Sortiment in den Läden wurde entsprechend umgestellt: Ein Wand für die Männer, drei Wände für die Frauen.
Mit der Profikamera
Catrin, 25, ist mit Ehemann Kevin, 25, aus Gelsenkirchen nach Düsseldorf gekommen. Beide nuckeln im VIP-Bereich gegenüber der Hauptbühne an einer Limo. Die kleine Tochter ist heute bei der Oma. Auf der Bühne gleitet Krystal Reynolds aus dem Stringtanga und gibt Einblick in ihr Innerstes, die Kanne mit Milch (?) steht schon bereit. „Bisschen direkt“, sagt Catrin. Dennoch fühlt sie sich wohl hier. „Wir ziehen in Betracht, etwas zu kaufen“, sagt Kevin. „Vielleicht ein paar schöne Dessous oder ein bisschen Spielzeug.“ Hauptsache erotisch.
Unten am Bühnenrand stehen Jörg und Uwe und warten auf die nächste Show. Um sie herum ein Pulk von Männern mit gezückten Kameras. Die beiden haben sich kürzlich in Berlin auf der „Venus“ kennengelernt. Jörg, 50, ist Lagerist in Bruchsal und steht zu seinem Hobby. Ein Foto von ihm? Kein Problem. Sein T-Shirt ist schweißnass, auch vor seiner Brust hängt eine stattliche Kamera.
30 Tage Urlaub hat er im Jahr, 30 Tage sind er und seine Kamera auf Erotikmessen quer durch Deutschland unterwegs. Immer Freitag bis Sonntag. Klar, die Kollegen meckern ab und an. „Aber dafür kriegen die auch was zu sehen.“ Und – wiederholen sich die Dinge auf der Bühne nicht ein wenig? Ach was, Jörg winkt ab. „Ich mache künstlerische Fotos, da ist jedes anders.“ Im Jahr 2000 hat er angefangen zu fotografieren, zunächst mit einer kleinen Kamera. Inzwischen verfügt er über eine Profiausrüstung, und seine Fotos füllen mehrere Festplatten. Was sagt die Partnerin dazu. „Nix.“ Jörg ist Single und seit 24 Jahren geschieden.
Nichts außer Stilettos
Inzwischen steht Josie auf der Bühne. Josie Black aus Hamburg, 22 Jahre alt, gelernte Bankkauffrau. Schwarze Schnüre spannen sich um ihren Körper, die nussbraunen Oberschenkel sind tätowiert. Zehn Minuten später kommt sie hinter der Bühne hervorgestöckelt. Sie trägt Stilettos und sonst gar nichts.
Die Reporterin zögert „Auf ein Wort, wenn Sie angezogen sind?“ Josie hebt die Augenbrauen. Sie sind voller Milch. Angezogen? „Wir können auch gleich reden.“ Groß und nackt steht sie mitten in der Halle. Strahlt. Die ersten Blitzlichter zucken auf. „Josie, Josie! Für den Arsch brauchst Du einen Waffenschein“, ruft einer. Political Correctness hört sich anders an.
Josie grinst und wirft sich in Pose. „Fragen Sie.“ – „Warum ziehen Sie sich auf der Bühne aus?“ – „Weil es mir Spaß macht. Außerdem drehe ich Pornos. Ich dachte, wenn ich das privat schon so oft mache, kann ich auch Geld dafür nehmen.“ Das hätten wir geklärt.
Und jetzt bitte noch ein Eis. Mit zweimal Streusel umsonst.