Deutschland und Europa bekommen das Drogenproblem nicht in den Griff. Der Konsum illegaler Substanzen fordert immer mehr Menschenleben. Nach einem EU-Bericht wurden zuletzt Rekordmengen beschlagnahmt.
Illegale SubstanzenEU „zutiefst besorgt“: Mehr Drogen, mehr Tote, mehr Gewalt
Sowohl in Deutschland als auch in der gesamten Europäischen Union sterben immer mehr Menschen aufgrund von Überdosierungen. Zudem kommen immer mehr hoch potente und äußerst gefährliche Substanzen auf den Markt. Sorgen bereiten den Experten auch die mit den Aktivitäten der Drogenmafia verbundene Gewalt und Korruption. „Der Umfang und die Komplexität der illegalen Drogenproduktion in Europa nehmen weiter zu“, betont die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) mit Sitz in Lissabon in ihrem am Freitag veröffentlichten Jahresbericht 2023.
„Die organisierte Drogenkriminalität stellt eine große Bedrohung für die Gesellschaft dar, und ich bin zutiefst besorgt darüber, dass die heute in Europa konsumierten Substanzen möglicherweise noch gesundheitsschädlicher sind als in der Vergangenheit“, erklärte bei der Vorstellung des Berichts die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson.
Deutschland als trauriger Spitzenreiter
Die Zahl der drogenbedingten Todesfälle kletterte in Deutschland dem Bericht zufolge zuletzt auf mindestens 1826 pro Jahr (2021). Das sind 245 Tote mehr als im Vorjahr (2020: 1581 Tote) und ungefähr doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Deutschland ist in der EU damit trauriger Spitzenreiter vor Spanien (774), Schweden (450) und Frankreich (417), die zum Teil aber ältere Zahlen geliefert haben. Die Daten seien beim Vergleich zwischen Ländern wegen methodischer Unterschiede mit Vorsicht zu interpretieren, so die EMCDDA.
Dass die Tendenz aber in Deutschland und auch in der gesamten EU nach oben zeigt, ist unbestritten. Nach dem Bericht der Behörde, die ihren Sitz in Lissabon hat, gab es 2021 in den 27 Mitgliedsländern insgesamt mindestens 6166 Todesfälle durch Überdosierung im Zusammenhang mit illegalen Drogen. Das sind fast 17 Tote pro Tag und deutlich mehr als in den Jahren 2020 (5796) und 2019 (5141).
Opfer sind nicht nur die Konsumenten
Opfer der Drogenmafia sind aber nicht nur die Konsumenten. Johansson erzählt: „Bei meinen jüngsten Besuchen in europäischen Seehäfen und in Lateinamerika wurde es deutlich, dass Drogenhändler nach wie vor die Lieferketten infiltrieren, Arbeiter und Arbeiterinnen ausbeuten und die Gemeinden durch Gewalt und Korruption stark belasten.“
In die gleiche Kerbe schlägt EMCDDA-Direktor Alexis Goosdeel. „Der diesjährige Bericht führt uns eindringlich vor Augen, dass überall in unserer Gesellschaft Probleme mit illegalen Drogen zu finden sind.“ Betroffen seien „Familien, Gemeinden, Institutionen und Unternehmen“. „Außerdem werden unsere Bürgerinnen und Bürger durch diese Drogen zunehmend drogenbedingter Gewalt und deren Folgen ausgesetzt“, betonte der Belgier. Johansson fordert Maßnahmen. Es sei „an der Zeit, dass die EMCDDA nun ein stärkeres Mandat und einen stärkeren internationalen Aufgabenbereich erhält, um mit diesem fortschreitenden Drogenproblem Schritt zu halten“.
Heroin - besonders gefährlich
Besonders gefährlich ist Heroin. „Europas Opioid-Probleme entwickeln sich weiter“, heißt es im Bericht. Die von den EU-Mitgliedstaaten beschlagnahmte Menge habe sich 2021 mit 9,5 Tonnen mehr als verdoppelt, in der Türkei sei eine Rekordmenge von 22,2 Tonnen beschlagnahmt worden. Die Verfügbarkeit von Heroin scheine derzeit trotzdem weiterhin hoch zu sein. In einigen Regionen Europas wachse auch die Besorgnis über den Konsum synthetischer Opioide. Immer wieder tauchten auf dem Markt „neue unkontrollierte synthetische Opioide auf; seit 2009 wurden insgesamt 74 davon identifiziert“.
Auch andere Drogen bereiten Sorgen. Die EMCDDA berichtet, dass 2021 in der EU die Rekordmenge von 303 Tonnen Kokain beschlagnahmt worden sei. Gleichzeitig gewinne die illegale Kokainherstellung in Europa immer mehr an Bedeutung. Die Zahl der ausgehobenen, zum Teil sehr großen Kokainlabors sei von 23 im Jahr 2020 auf 34 gestiegen. Auch die größere Vielfalt an synthetischen Stimulanzien, die auf dem illegalen Markt erhältlich seien, erhöhten die Risiken für die öffentliche Gesundheit. Zumal sie „jetzt häufiger injiziert werden, manchmal in Kombination mit Heroin oder anderen Opioiden“.
Allein im Jahr 2022 seien dem Frühwarnsystem der EU (EWS) 41 neue psychoaktive Substanzen gemeldet worden. Die EMCDDA beobachte nun insgesamt 930 neue Drogen. Diese Substanzen weisen nach dem Bericht oft eine hohe Potenz und Reinheit auf. „Da diese in Form von ähnlich aussehenden Pulvern oder Pillen verkauft werden können, wissen die Konsumierenden möglicherweise nicht, was sie einnehmen“, heißt es.
Was ist mit Cannabis?
Cannabis gilt derweil nach einigen Studien als weniger gefährlich als Alkohol oder Zigaretten - das Rauschgift wird von den Experten der EU aber nicht unterschätzt. Nachdem die EU-Länder Deutschland, Luxemburg, Malta, die Niederlande und Tschechien sowie die Schweiz neue Konzepte zur Regulierung des Angebots für den Freizeitkonsum eingeführt haben oder planen, müsse in die Überwachung und Bewertung investiert werden, „um Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit und Sicherheit vollständig zu verstehen“, fordert die EMCDDA.
Ähnlich vorsichtig äußerte sich zu diesem Thema aus Anlass der EU-Studie der Bundesbeauftragte für Sucht- und Drogenfragen Burkhard Blienert. Der Cannabis-Konsum müsse entkriminalisiert werden, „um endlich den Gesundheitsschutz und die Prävention zu verbessern.“ Cannabis sei aber schon jetzt die am häufigsten konsumierte illegale Droge, auch von Jugendlichen. „Dennoch gehören weder Gras, noch andere Drogen wie Alkohol und Tabak in die Hände von Kindern und Jugendlichen. Nicht alles, was erlaubt ist, ist auch gesund!“ (mh, dpa)