Günther Jauch und seine Frau Thea Sihler führen seit 2010 das renommierte Weingut von Othegraven an der Saar. Jauch ist ein Enkel Elsa von Othegravens, war als Kind häufig auf dem Gut und brachte es mit dem Kauf wieder in die Nachfahrenlinie von Emmerich Grach, der es zu Beginn des 19. Jahrhunderts erworben hatte. Die Jauchs engagieren sich in der Wein-Vermarktung und arbeiten, „wo es sinnvoll ist“, auch mal im Weinberg mit. Einem breiten Publikum ist Jauch als TV-Moderator vieler Formate in Sport, Polit-Talk und Unterhaltung bekannt, etwa von „Wer wird Millionär“.
Ein Gespräch über ihr Winzerleben:
ROMANA ECHENSPERGER: Frau Sihler, Herr Jauch, wir möchten uns Ihrem Winzerdasein über einen Umweg nähern. Ich las davon, dass Sie an Ihrem Wohnsitz in Potsdam Nachbarn von Albert Einstein sind.
GÜNTHER JAUCH: Da liegen schon noch ein paar Kilometer dazwischen. Einstein hatte im brandenburgischen Caputh ein Sommerhaus.
ECHENSPERGER: Beim Nobelpreis-Dinner in Stockholm 1922 jedenfalls wurde unter anderem Wein von der Mosel serviert, der damals – nach Renommee und Preis – in einer Liga mit den teuersten Champagnern und Weinen aus Bordeaux spielte. Da Ihr Weingut auch in der Region Mosel/Saar liegt, dachte ich, wir beginnen mit einem Wein aus der damals gereichten Moselaner Spitzenlage „Ohligsberger“. Das Älteste, was ich auftreiben konnte war ein 2008er – das Original vom Nobelpreis-Dinner aus dem Jahrgang 1913 war leider schon aus.
Haben Sie Verbindung zu Winzerkollegen an Mosel und Saar?
THEA SIHLER: Auf den Weinmessen, die wir regelmäßig besuchen, sind die Stände ja nach Anbaugebieten geordnet. Da stehen wir von der Saar dann immer neben den Moselanern.
JAUCH: Der Zusammenhalt speziell unter den Saar-Winzern ist bemerkenswert. Da kann jeder jeden in der Nacht anrufen, weil er irgendein Problem hat – die helfen sich immer.
Jauch über die Historie seines Weinguts von Othegraven und „klassisches Klinkenputzen“ - auf der Folgeseite.
Als Sie 2010 das Weingut von Othegraven übernommen haben, das einmal Ihren direkten Vorfahren gehört hatte, galt es als ziemlich abgewirtschaftet.
JAUCH: Die Wahrheit ist: Das Gut hat seinen wirklich romantischen Zauber in und nach schwierigen Zeiten immer bewahrt. Das Anwesen war 1925 abgebrannt und wurde 1945 in den letzten Kriegstagen durch Artilleriebeschuss der Amerikaner erneut fast völlig zerstört. Meine Großtante Maria, die arme, hat bis zum Wiederaufbau über Jahre in einer Art Austraghäusl hinten im Garten gehaust. Alles, was hier wie 19. Jahrhundert anmutet und nach französischem Schlösschen aussieht, ist in Wahrheit Baujahr 1954. Trotzdem ist alles denkmalgeschützt, was das Wohnen energetisch einigermaßen schwierig macht. Zum Glück können wir mit dem Holz heizen, das uns der Park liefert. Dann und wann fällt ein Baum um, damit kommen wir gut durch den Winter.
Wie oft sind Sie denn hier?
JAUCH: Seit ich meine Sonntagabend-Sendung los bin, immer öfter.
SIHLER: Allerdings sind wir eben auch viel unterwegs – auf Weinmessen und Präsentationen in der Gastronomie. Das ist sehr zeitaufwendig, aber für den Verkauf unerlässlich. Würden wir es nicht selber machen, müssten wir jemanden dafür einstellen.
JAUCH: Klassisches Klinkenputzen!
ECHENSPERGER: Tatsächlich begegnet man Ihnen regelmäßig auf den einschlägigen Winzer-Events. Und immer ist Ihr Stand von Fans belagert. Haben Sie noch nicht genug von den ganzen Selfies?
JAUCH: Ach, eigentlich bin ich da entspannt. Ich hätte es allerdings nicht für möglich gehalten, wie viele Weinprinzessinnen und Weinköniginnen es so gibt. Jedes Dorf hat seine eigene, und alle machen sie einem ihre Aufwartung. Majestäten-Auftrieb! Manchmal führt der Rummel dazu, dass Kunden, auf die es ankäme, nicht mehr bis zu uns vordringen. Insofern ist meine Präsenz nicht unbedingt verkaufsförderlich.
Aber die Marke profitiert schon sehr stark von Ihrem Namen. Womöglich bis hin zu den Preisen?
JAUCH: Da erliegen Sie einem Marketing-Klischee. Nach der Übernahme des Guts bekamen wir ernsthaft Vorschläge, wir sollten den Namen als erstes mal in „Jauch“ ändern, dann noch ein „Wer wird Millionär?“-Siegel auf die Flaschen pappen, und schon werde sich der Wein wie von selbst verkaufen. Das Einzige, was daran stimmt, ist ein Neugier-Effekt: „Jetzt wollen wir doch mal sehen, was dieser Jauch-Wein taugt...“ Das hat sich aber sofort erledigt, wenn er den Leuten nicht schmeckt. Niemand kauft mir zuliebe unseren Wein. Im Gegenteil! Es ist gar nicht so selten, dass Kunden im Fachgeschäft stehen und sagen: „Wie? Der Jauch macht jetzt auch in Wein? Und was soll diese Flasche kosten, bitte? Also ne, der verdient beim Fernsehen doch genug!“
ECHENSPERGER: Ich finde Ihre Lagen ja viel interessanter als Ihren Namen, sorry. Hätten Sie das Gut denn auch ohne die familiäre Verbindung gekauft?
Jauch: „Es gibt zwar, was Wein betrifft, eine spezielle Besitz-Erotik, besonders bei Männern“.
JAUCH: Auf keinen Fall. Es gibt zwar, was Wein betrifft, eine spezielle Besitz-Erotik, besonders bei Männern. „Herrn X gehört ein Weingut“, das hat schon einen anderen Appeal als „er hat ’ne Sockenfabrik gekauft“. Nach dem Tod meines Großonkels Max vor fast einem halben Jahrhundert ging der Kontakt aber leider verloren. Bis ich dann in Berlin eines Tages per Zufall davon hörte, dass das Gut zum Verkauf stehe.
SIHLER: Du hast dann noch in derselben Nacht einen Brief an die Besitzerin geschrieben, die von deiner Großtante als Erbin eingesetzt worden war. Und hast gefragt, ob das mit dem Verkauf denn stimme und falls ja, ob ihr mal miteinander reden solltet. So nahm das Ganze seinen Lauf.
JAUCH: Ich kam nach Jahrzehnten wieder zurück nach Kanzem. Alles war wie tatsächlich damals, komplett unverändert. Ein echtes Déjà-vu. Da hat es „Klick“ gemacht, und ich wollte unbedingt verhindern, dass dieses Stück Familiengeschichte und der Ort meiner Jugend in fremde Hände gelangen würde. Solche Betriebe werden nach dem Verkauf gerne zerschlagen: Die Weinberge verkauft, die Immobilie dann getrennt angeboten, und für Traktor und VW-Bus gibt es schließlich auch noch ein paar Euro.
ECHENSPERGER: Was hat Sie nach dem Kauf des Weinguts denn am meisten bereichert?
JAUCH: Schöne Frage! Vielleicht der Kontrast zum Großstadt-Betrieb und dieser „Immer schnell, immer aktuell, immer gut drauf“-Existenz eines Fernsehmenschen. Hier ist das Lebensgefühl ein völlig anderes. Sie müssen auch hart arbeiten, immer auf dem Quivive sein. Aber es sind andere Rhythmen, andere Abhängigkeiten – von der Natur, vom Wetter, von der Reife des Weins im Keller, auf die Sie eben nur bedingt Einfluss haben. Und noch etwas ist anders: Beim Fernsehen gibt es am Tag nach jeder Sendung die Quote. Gut gelaufen, schlecht gelaufen? Egal! Mund abputzen, weitermachen. Als Winzer hingegen bekomme ich, wenn ich so lange leben sollte, nur noch 20, vielleicht 25 Mal die Quote – bei der Lese, bald darauf im Keller und dann vielleicht noch mal beim Verkauf eines neuen Jahrgangs.
Jauch über Gewinnzonen, vermeintliche Weinkenner und Restsüße im Wein.
Sie sind ein Quereinsteiger. Wie sehr ist das Weingeschäft für Sie auch im ökonomischen Sinn Ihr Geschäft geworden?
JAUCH: Es muss – zumindest operativ – funktionieren. Denn selbst wenn Sie wirtschaftlich nicht davon abhängig sind, geht einfach die Freude flöten, wenn Sie chronisch defizitär arbeiten. Und irgendwann muss ja auch jemand willens und in der Lage sein, die Tradition fortzusetzen.
Sie haben für 2016 die Gewinnzone angepeilt. Noch schreiben Sie also rote Zahlen?
JAUCH: Ich rede nicht konkret über Betriebsergebnisse. Aber ich kann Ihnen sagen, dass wir hier einen Investitionsstau von vier bis fünf Jahrzehnten vorgefunden haben. Das wussten wir, da mussten wir richtig ran. Inzwischen sehen wir Licht am Ende des Tunnels. In der Landwirtschaft müssen Sie von Haus aus in sehr langfristigen Zyklen denken.
SIHLER: Und wir mussten die passende Größe für einen überlebensfähigen Betrieb finden. Zehn Hektar waren zu klein, 25 Hektar wären zu groß. Jetzt haben wir uns durch Zukäufe auf 16 Hektar vergrößert, auch ein neues Flaschenlager gebaut. Aber in unseren Kellern ist bei 120000 Litern einfach Schluss.
Dann tragen wir mal zur Reduzierung bei und probieren einen von Ihren eigenen Weinen.
ECHENSPERGER: Ein trocken ausgebauter 2014er „Altenberg Riesling Großes Gewächs“ zusammen mit einem fruchtigen 2015er „Ockfener Bockstein Riesling Kabinett“. Beides sind Weine aus erstklassigen, unverwechselbaren Weinbergslagen. Die können ohne Bedenken zehn, fünfzehn Jahre reifen und dabei geschmacklich noch mehr Facetten gewinnen.
Jauch: „Fantastisch, was so ein Wein nach knapp zehn Jahren Reife zu bieten hat.“
JAUCH: Das haben wir ja vorhin auch bei dem „Ohligsberger“ feststellen können. Fantastisch, was so ein Wein nach knapp zehn Jahren Reife zu bieten hat. Ich merke aber selbst, wie schwer es zu vermitteln ist, dass man auch Weißwein ein paar Jahre liegen lassen kann und bei den Spitzenqualitäten auch durchaus soll.
ECHENSPERGER: Das Warten auf den optimalen Genusszeitpunkt ist aus der Mode gekommen.
SIHLER: Die Gastronomen tun es nur noch in Ausnahmefällen. Die Kunden auch immer seltener. „Gestern bestellt, heute geliefert, morgen getrunken.“ So geht das. Wahrscheinlich werden wir es selber sein, die für die Lagerung sorgen müssen. Wir denken gerade darüber nach, mit unseren Spitzenweinen beim Verkauf ein Jahr auszusetzen und sie erst danach auf den Markt zu bringen, oder wir halten jetzt schon ganz bewusst bestimmte Partien zurück. Aber diese „Durststrecke“ muss man wirtschaftlich erst mal durchstehen.
JAUCH: Wie beglückend dann allerdings der Genuss von gereiftem Weißwein sein kann, das habe ich unlängst selbst erlebt, als wir in irgendeiner Ecke noch 1150 Flaschen einer 1975er Auslese gefunden haben.
ECHENSPERGER: Wow! Und dann?
SIHLER: Wir haben alle geöffnet und verkostet, sie wieder abgefüllt und neu etikettiert. Wunderbar bernsteinfarben ist dieser Wein und mit einem Geschmack, der mit der Assoziation „Süßwein“ kaum noch etwas zu tun hat.
ECHENSPERGER: Es heißt, Sie seien persönlich durchaus für restsüße Weine zu haben.
SIHLER: Wir stellen einen Trend in diese Richtung fest. Als wir angefangen haben, lag die Verteilung von trocken und restsüß bei 85 zu 15, heute ist das Verhältnis 70 zu 30. Und die Tendenz bei den restsüßen Prädikatsweinen zeigt eindeutig nach oben. Aber es ist noch immer so, dass man die Leute gezielt heranführen muss: Probieren Sie doch mal einen feinherben Wein! Lassen Sie sich nicht kirre machen von Erinnerungen an den Glykol-Skandal oder von uralten Zuckerwasser-Klischees!
JAUCH: Es ist seltsam. So sehr die Leute heute beim Essen auf Individualität und persönliche Vorlieben Wert legen, so mainstreamig verhalten sie sich beim Wein. Sie machen sich abhängig von einer vermeintlichen gesellschaftlichen Akzeptanz und rufen reflexhaft, „Für mich aber nur einen Trockenen!“. Als hätten sie Angst, sich mit feinherb zu blamieren. Obwohl ihnen feinherb oft sogar besser schmeckt. In der guten Küche weiß doch auch jeder, dass Zucker ein eminent wichtiger Geschmacksträger ist – man denke bloß an asiatische Gerichte und ihr Spiel mit süß-sauer.
SIHLER: Bei Weinproben stellen wir immer wieder fest, dass von den Spätlesen und den Auslesen am wenigsten übrig bleibt. Die fruchtigen Kabinettweine sind ohnehin unsere Renner und am schnellsten ausverkauft. Trotzdem geben die Leute oft nicht gern zu, dass sie gerade diese Weine mögen.
JAUCH: Und dann gibt es noch die vermeintlichen Kenner, die noch vor dem ersten Schluck nach Restzucker- und Säurewerten fragen. Mit diesen „Analysewert-Trinkern“ spiele ich gern das Restzucker-Bingo.
Von Pizza-Pasta-Asti-Kunden und Jauchs erstem Aha-Erlebnis mit Wein - auf der Folgeseite.
Das bedeutet, sie sollen sagen, wieviel Gramm Zucker pro Liter im Wein ist?
JAUCH: Genau. Meistens liegen sie um Längen daneben, weil die Restsüße bei einem guten Riesling durch die Säure so schön abgepuffert ist.
Das erklären Sie dann auch genau so?
JAUCH: Sagen Sie um Himmels willen nicht „erklären“! Man „erklärt“ keinen Wein, hat mir mein Kellermeister beigebracht. Wein ist selbsterklärend. Ich kann dem etwas abgewinnen, weil ich den Weinkenner-Assoziationen, die bei „Aprikose“ anfangen und bei „ein Hauch von durchgerittenem Damensattel“ enden, auch nicht immer folgen kann.
ECHENSPERGER: Was war Ihr erstes Aha-Erlebnis mit Wein?
JAUCH: Als Bergsteiger Reinhold Messner alle vierzehn 8000er bezwungen hatte, gab es ihm zu Ehren eine Sonderausgabe des „Aktuellen Sportstudios“ aus Südtirol, die ich moderieren durfte. Bei der Gelegenheit haben die Einheimischen uns nicht nur beste Südtiroler Küche geboten, sondern auch tolle Weine serviert.
SIHLER: Das war eine ganz neue Welt für uns. Italien war kulinarisch für uns bis dahin eher das Pizza-Pasta-Asti-Archipel. Wein spielte in unserem Leben keine große Rolle. Die eigentliche Wende kam dann aber erst mit dem Kauf des Guts.
Mit den Pizza-Pasta-Asti-Kunden haben Sie es seitdem wahrscheinlich auch nicht mehr so, weil Ihre Weine denen ganz einfach zu teuer sind, oder?
SIHLER: Die leidige Diskussion, was ein Wein kosten darf… Ich finde, es spricht überhaupt nichts dagegen, wenn jemand sagt, ich gebe nicht mehr als fünf Euro für eine Flasche aus. Das wird sicher kein Spitzenwein sein, muss es aber auch nicht. Nur können wir aus unseren Steillagen keinen Wein für fünf Euro anbieten, wenn sich das Ganze rechnen soll. Dafür führt die ausschließliche Handlese in den extremen Steillagen aber eben auch zu einer großen Selektionstiefe und damit zu einer Qualität, die sich wirklich schmecken lässt.
JAUCH: Wir haben in der Chianti-Bastflaschen-Zeit selber mit den Drei-Euro-Weinen angefangen und hatten damals nicht das Gefühl, wir täten uns damit Gewalt an. Und mit Sicherheit könnten Sie mir auch heute Weine vorsetzen, bei denen ich das Fantastische daran zuweilen nicht – oder eben noch nicht – erfasse.
Von Luxustropfen im Keller und Thomas Gottschalk - auf der nächsten Seite.
Haben Sie solche Luxustropfen im Keller?
SIHLER: Ein Kollege hat uns mal eine Flasche mitgegeben – mit so einem seltsam-verschwörerischen Lächeln. Nachdem wir sie getrunken hatten, haben wir aus Neugier gegoogelt: Marktwert 1000 Euro. Wir hätten uns fast noch im Nachhinein verschluckt. Ich meine, wie gut muss ein Wein schmecken, dass er so viel Geld kosten darf? Letztlich ist das wie bei den Highend-Modelabels – es gibt keinen linearen Zusammenhang mehr zwischen einem objektiven Wert des Stoffs mit seiner Verarbeitung und dem Preis.
JAUCH: Eine andere Flasche in ähnlicher Preislage habe ich eigens im Seidenpapier gelassen, damit die Kinder nicht mal versehentlich…
ECHENSPERGER: Was servieren Sie eigentlich einem alten Freund wie Thomas Gottschalk? Meine Eltern erzählen mir noch heute begeistert von Ihren gemeinsamen Radio-Sendungen in den 1980er Jahren.
JAUCH: Thomas ist für uns mit unserer Riesling-Dominanz ein schwieriger Fall, weil er eher auf dem Grauburgunder-Trip unterwegs ist. Aber er hält tapfer durch. Und was Ihre Eltern als Fans von uns betrifft: Tja, das ist fast schon eine Tragödie: Ganz früher kamen Frauen im heiratsfähigen Alter auf uns zu und wollten ein Autogramm. Das fand ich toll. Später dann kamen Frauen im heiratsfähigen Alter und wollten ein Autogramm, aber für ihre Mutter. Und mittlerweile fragen Frauen, an deren Heiratsfähigkeit man gelinde Zweifel haben kann, nach Autogrammen für ihre Großmutter. So geht’s dahin...
Das ist das ZDF-Problem. Als wir vorhin ankamen, Herr Jauch, sagten Sie unserem Fotografen, „keine Bilder mit Weinglas in der Hand!“. Glauben Sie, die wären schlecht fürs Image?
JAUCH: Es geht eher um die schlechten Erfahrungen mit den Klatschblättern, die ich nur noch als „gelbe Pest“ empfinde. Jede Woche im Schnitt zwei Klagen gegen Lügen oder irgendeinen Unsinn – das ist mühsam. Aber unterdessen bin ich sturmerprobt. Diese Dreckblätter brauchen einfach immer nur Bilder, egal wie banal, und sie bauen ihre hirnlosen Texte drumherum. Je weniger Bilder, desto weniger Veröffentlichungen. Aber inzwischen füllen die schon eine Seite mit der Tatsache, dass ich einen Rollkoffer nicht hinter mir herziehe, sondern einfach trage. Was glauben Sie, warum im Fernsehen auch kein Mensch mehr mit einem Glas Bier oder Wein gesehen werden möchte?
Ein Glas Wein oder gar ein Whisky wie zur Zeit des „Internationalen Frühschoppen“ ...
JAUCH: ... Wäre heute undenkbar. Obwohl es inzwischen Formate gibt, die auf den fortschreitenden Schwips setzen: „Der Klügere kippt nach.“
ECHENSPERGER: Mir scheint, den Gästen in Polit-Talks täte ein Glas Wein zur Entspannung manchmal ganz gut.
JAUCH: Einerseits ja, weil viele schon aus lauter Angst vor Kontrollverlust total verkrampft sind. Andererseits wird jede noch so geringe Normabweichung heute von der politischen Korrektheitspolizei gnadenlos verfolgt. Würden Politiker im Fernsehen Alkohol trinken, müssten sie sich also noch mehr beherrschen und hätten überdies jahrelange Gesinnungsdebatten an der Backe. Früher waren sie da lockerer. Ich erinnere mich, wie Gottschalk und ich in den 80er Jahren mal von Helmut Kohl ins Kanzleramt beordert wurden.
Aus welchem Grund?
JAUCH: Ich glaube, er wollte uns einfach kennenlernen. Wir kamen also in Bonn in sein riesiges Arbeitszimmer. Mit Aquarium und allem, was man so kannte. Dann ging die Tür zu, klassische Musik erklang, kein Telefonat wurde mehr durchgestellt, und Kohl machte einen Pfälzer Wein nach dem anderen auf. Zwei Stunden Geplauder, noch ein Glas und noch ein Glas. Einer dieser Tropfen lag wie Schweröl im Glas, in dem seitlich die Schlieren runterliefen. Kohl belehrte uns, dass man dieses Phänomen in seiner Heimat als „Engels-Piss“ bezeichne. So gesehen ging es früher wirklich lockerer zu.
ECHENSPERGER: Wie steht’s bei Ihnen denn mit Rotwein?
JAUCH: Ach, für deutschen Spätburgunder kann ich mich inzwischen durchaus erwärmen.
ECHENSPERGER: Ich habe Ihnen einen von der Ahr mitgebracht und dazu einen Beaujolais.
JAUCH: (probiert) Der Spätburgunder schmeckt mir sehr gut. Aber der Beaujolais – also nein – der ist überhaupt nicht mein Fall.
Sie sagen das so geradeheraus. Wie gehen Sie selbst mit Ablehnung um? Kritik an Ihrer Sendung gab es ja praktisch nach jeder Ausgabe.
JAUCH: Das war doch immer dieselbe Leier. „Und wieder war Günther Jauch mit seinen Gästen nicht in der Lage, den Nahost-Konflikt zu lösen.“ Als ob ich das je gewollt, geschweige denn gekonnt hätte. Mein Ziel war es, komplizierte Sachverhalte mit interessanten Menschen so zu erklären, dass man nach einer Stunde einfach kapiert hat, worum es geht und warum das Ganze kompliziert ist. Außerdem wollte ich mehr junge Leute für Politik interessieren. Das ist bis zum Schluss gelungen: Niemals war irgendein Polittalk über Jahre beim Publikum so erfolgreich – auch nicht vor meiner Zeit.
Von Talkshows als Puppentheater, der AfD und deutschem Riesling:
Den ungelösten Nahost-Konflikt konnten Sie vielleicht an sich abprallen lassen. Aber wenn Sie gesagt bekamen, Sie hätten schlecht gefragt, nicht nachgehakt, Ihre Gäste entwischen lassen, ging das dann nicht an die Berufsehre?
JAUCH: „Schlecht gefragt“ ist häufig nur eine Chiffre für ideologische Vorbehalte gegen einen Gast oder das, was er sagt. Außerdem darf man den zweiten Reflex der Kritik nicht unterschätzen: Sie messen das Gelingen oder Scheitern einer Sendung mit dem „Zoffometer“. Wie krawallig ist es zugegangen? Haben sich die Gäste auch ordentlich gefetzt? Deshalb sind Talkshows oft wie ein Puppentheater konstruiert: das Kasperle mit der Pritsche, der Polizist mit seinem Knüppel, das Krokodil, der tollpatschige Seppel und so weiter. Und am Ende soll es einen Gewinner und einen Verlierer geben – das ist aber nicht meine Vorstellung von politischem Erkenntnisgewinn. Und schließlich: Ich habe diese Sendung nicht für Kollegen gemacht, die tagespolitisch immer auf dem Laufenden sind, sondern für die Zuschauer, die die ständige Beobachtung von Politik nicht zum Beruf haben. Da wollte ich erfolgreich sein – und das ist zum Glück immer gelungen.
Es gab heftige Kritik, dass Sie Vertretern der AfD als erster angeblich die große TV-Plattform geboten hätten.
JAUCH: Sie meinen die Sendung mit Björn Höcke im vorigen Oktober? Ich halte das anschließende Gezeter bis heute für komplett unsinnig – und für unpolitisch obendrein. Das Plattform-Argument gibt sich moralisch überlegen, entzieht sich aber dem Streit über Inhalte. Totschweigen, ignorieren – das ist der völlig falsche Ansatz. Als Höcke damals in der Sendung diese knittrige Deutschland-Flagge rauszog, dachte ich: „Super, das ist gelaufen! Der Typ hat sich jetzt komplett entlarvt.“ Wer danach nicht erkannt hatte, wes Geistes Kind diese Leute sind, dem kann ich dann auch nicht mehr helfen. Im Nachhinein gesehen, war das eine meiner interessantesten Sendungen, die ich jederzeit wieder machen würde – und zwar genau so. Man hat nämlich zum ersten Mal begriffen, wie die Gegenfront zum AfD-Gründer Bernd Lucke funktioniert. Das war vorher nicht so klar.
ECHENSPERGER: Zum Schluss noch einmal zurück zu Albert Einstein und dem Nobelpreis-Dinner 1922. Da gab es am Ende einen Portwein. In England, an der Universität Cambridge, wird nach besonderen Dinners zum Digestif bis heute gefragt: „Would you like Hock?“ Das ist das generische Wort für beste deutsche Rieslinge – abgeleitet vom „Riesling-Dorf“ Hochheim im Rheingau. „Or Claret?“ Der Begriff steht für alten Bordeaux. Oder eben „Would you like Port?“. Und ich dachte, dann heute mal letzteres.