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HitzewelleSo fühlen sich 37 Grad im Schatten in Köln an

Lesezeit 7 Minuten
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Brunnen am Kölner Ebertplatz

  1. Unsere Reporterin war am bislang heißesten Tag des Jahres in der Stadt unterwegs.

Köln7.30 Uhr auf dem Balkon: Das Thermometer zeigt 24,9 Grad Celsius. Über dem Garten der Nachbarn lastet die Hitze. Selbst die Vögel klingen matt. Das ist erst der Anfang, denn heute wird es heiß, heiß, heiß. 36 Grad oder mehr sind vorausgesagt. Und am Donnerstag soll es noch wärmer werden, wir erwarten den heißesten Tag des Jahres mit 39 Grad im Schatten.

8.30 Uhr: 25,4 Grad. Das ist ein Klacks, darüber stöhnt man nicht, sagt vor zwei Tagen Patrick Taylor in einem Interview. Der Mann ist Ranger im Death Valley, im Tal des Todes, dem heißesten bewohnten Ort der Welt. Dort klettern die Temperaturen im Sommer auf mehr als 50 Grad. 1913 wurden – bei einer Ranch namens Greenland – sogar einmal knapp 57 Grad gemessen, und die Vögel, behauptet Taylor, seien tot vom Himmel gefallen. Nur zur Information: Eiweiß stockt bereits bei 43 Grad.

Ein Fächer aus Venedig

Am 12. Juli 2012 ein weiterer Rekord: Death Valley protzte mit der wärmsten nächtlichen Tiefsttemperatur an einem bewohnten Ort. 41,7 Grad nachts um zwölf. Das hatte bislang nur der Khasab-Flughafen in Oman geschafft. Was macht man bei solchen Temperaturen? In klimatisierten Räumen bleiben, rät Taylor. Oder sich ins runtergekühlte Auto setzen. Das ist nett gemeint und sicher sinnvoll, doch ich muss raus in die Hitze, um über die Hitze zu berichten. Mit dabei: ein digitaler Temperaturmesser, der mittels zweier Sensoren die Innen- und die Außentemperatur misst.

Zu heiß für Flugzeuge und Rinder

5.000.000 Menschen sind in NRW bei sommerlichem Wetter von besonders großer Hitzebelastung betroffen. Das zeigt eine Studie des Landesumweltamtes.

290 Quadratkilometer in NRW sind demnach nachts stark überwärmt. Das entspricht etwa fünf Prozent der Siedlungsfläche.

660 Quadratkilometer sind tagsüber betroffen. Das entspricht zwölf Prozent der Siedlungsfläche des Landes.

20 Grad und mehr zeigt das Thermometer in der Region derzeit auch nachts noch an. Man spricht von sogenannten Tropennächten.

Zwischen null und zehn Grad fühlen sich Rinder am wohlsten. Jetzt ist ihnen deutlich zu heiß. Dauert die Hitze an, könnte auch die Milchleistung zurückgehen.

Um 1,4 Grad hat sich die Temperatur in Deutschland seit der industriellen Revolution erhöht, meldet das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung.

85 Flugzeuge konnten am Dienstag in Hannover nicht starten und landen, weil die Start-und-Lande-Bahn wegen Hitzeschäden gesperrt werden musste. Mittlerweile ist die Bahn wieder repariert, der Verkehr läuft nach Plan.

Auf über 50 Grad Celsius steigt die Temperatur im Auto nach dreißig Minuten, wenn es draußen mehr als 30 Grad hat. Keinesfalls Kinder und Tiere im Auto lassen!

15 Grad Celsius hat es in der Wallfahrtskirche Maria Bildstein in Österreich. Das zeigt eine digitale Landkarte zu „coolen“ Kirchen, die die Diözese Feldkirch in Vorarlberg vorstellte. Aufgeführt sind 23 Gotteshäuser. (cle)

11.15 Uhr: 29,9 Grad, 30,5 Grad. 31,5 Grad. Endlich hält das Thermometer inne. In der U-Bahn sitzen nur wenige Menschen, und denen ist es zu warm. Die Herren tragen kurze Hosen, was nicht jedem von ihnen steht. Herr Renner ist auf dem Weg zum Arzt. Eine Untersuchung, die nicht verschoben werden kann. Ansonsten wäre er lieber zu Hause geblieben. Mit einer alten Schiebermütze fächelt sich der 81-Jährige Luft zu. Die Dame gegenüber hat einen Fächer aus der Handtasche gezogen. Den hat sie vor ein paar Jahren in Venedig gekauft. „Schön, dass ich ihn jetzt auch zu Hause benutzen kann.“

Vor drei Jahren war es in Deutschland schon einmal so lange so heiß wie in diesem Sommer. Und Kitzingen in Unterfranken schaffte es bundesweit in die Schlagzeilen. 40,3 Grad wurden am 5. Juli und am 7. August 2015 in „Deutschlands heißester Stadt“ gemessen – so viel wie noch nie zwischen Nordsee und Alpenrand. Das sei, meldete der Deutsche Wetterdienst (DWD), die höchste jemals in Deutschland gemessene Temperatur seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881. Ort der Messung: Der Gemüsegarten von Magdalena Michelsen.

Die freundliche alte Dame mit den wachen blauen Augen betreut eine von mehr als 500 automatischen Wetterstationen des DWD. Und fand es, wie sie mir damals bei einem Besuch vor Ort verriet, „gar nicht mal so heiß an diesen beiden Tagen. Wir haben erst am nächsten Morgen mitbekommen, dass wir einen Rekord geknackt hatten“. Schon in den Jahren zuvor hatte das „Rio de Janeiro von Franken“ mehrere Hitzrekorde gebrochen. Weswegen es auch den Beinamen „Hitzingen“ trägt.

12 Uhr: 34,4 Grad vor dem Kölner Hauptbahnhof. Doch ich will mich nicht beklagen. In Sevilla wurde schon mal ein Spitzenwert von 46,6 Grad gemessen. Das ist Rekord in Europa. Und so frage ich Rose John, was sie von dem tollen Sommerwetter in Köln hält. „Nicht viel“, sagt Rose John. Sie trägt einen blauen Turban, ein buntes Kleid und ist in Nigeria geboren. Seit zwei Jahren lebt sie in Köln. „Bei uns in Nigeria ist es das ganze Jahr über heiß“, sagt Rose John. „Aber die Sommer in Köln sind sehr viel heißer.“ Es fehle der Wind, es fehlten die Blumen und Bäume, die daheim für ein angenehmes Klima sorgten. Und das gefalle ihr überhaupt nicht.

12.30 Uhr: 17 Grad. Ich stehe in einem Supermarkt vor einem Regal mit eisgekühlten Getränken. Ein kalter Hauch weht mir entgegen. Hier möchte ich stehen bleiben, bis der Herbst kommt. Beim Bäcker habe ich mir ein Schweineohr gekauft. Gerollter Blätterteig, an zwei Ecken mit Schokolade überzogen. Vor ein paar Tagen, als es schon einmal recht warm war, gab es nur Schweineohren ohne Schokolade. „Wegen der Hitze“, erklärte die Verkäuferin.

37,3 Grad hat unsere Reporterin in der Innenstadt gemessen.

13 Uhr: 29,1 Grad. Das kann nicht sein, denn ich bin im Kölner Dom, und dort ist es immer kühl. Heute steht die Hitze zwischen den alten Mauern, auf den Kerzenständern flackern Teelichter und verbreiten noch mehr Wärme. Jetzt möchte man in den Rhein springen, auch wenn das eine Eselei wäre. Wassertemperatur bei Koblenz: 26,3 Grad. Zur Not täte es auch ein Bad in der Sieg. Die ist mit 23,3 Grad sogar ein wenig kühler.

13 Uhr: „40 Grad“ behauptet der große Temperaturanzeiger am Neumarkt. Ich lege mein Thermometer in den Schatten (44,2 Grad). Den kleinen Sensor, der eigentlich die Außentemperatur messen soll, platziere ich in der Sonne auf dem heißen Pflaster. Bei 50 Grad steigt der Sensor aus und erholt sich erst Minuten später. Das Ding war billig, bestimmt hat es sich geirrt.

Willys Körper glüht

„42 Grad“, sagt die Bedienung bei „Curry B“, dem Wurststand auf dem Willy-Millowitsch-Platz, und zeigt in eine Ecke weit weg von der Kochtheke mit ihren brutzelnden Töpfen und Pfannen. Das sei die kühlste Ecke im Laden. Wie man es aushält, hier zu arbeiten? „Was sollen wir machen? Die Kunden wollen schließlich auch im Sommer was essen.“ Vor ein paar Jahren habe das Thermometer in der Ecke sogar 45 Grad angezeigt. Was sind da schon 42 Grad.

14 Uhr: 37,3 Grad im Schatten. In der Sonne sind es knapp 45 Grad. Das behauptet jedenfalls der Sensor, der sich wieder erholt hat. Ich setze mich zu Willy Millowitsch auf die Bank und kaufe mir ein Eis. Willys Körper glüht. Hier, in den Straßen der Innenstadt, ist es wegen der engen Bebauung am heißesten. Wohin jetzt? Am besten zum Worringer Bruch, angeblich einer der kältesten Orte Kölns.

15 Uhr: 34 Grad im Worringer Bruch. Eine sanfte Brise weht. Ich atme auf. Annette K. führt gerade ihren Hund aus. Weil es so angenehm kühl ist unter den Bäumen. Morgen, am heißesten Tag des Jahres, werde ich wiederkommen.