Ausnahmezustand in FloridaHurrikan „Dorian“ nimmt US-Küste ins Visier
Nassau/Miami – Aus dem Radio dröhnen Warnungen, die Nationalgarde geht in Position. Anwohner vernageln Fenster und Türen mit Holzbrettern und platzieren Sandsäcke rund ums Haus: Florida bereitet sich auf den Hurrikan „Dorian“ vor. Am Montagmorgen herrscht dort noch eine gewisse Ruhe vor dem Sturm - die Sonne scheint noch durch die Wolken, der Wind wird langsam stärker. Tausende Menschen machen sich bereit, aus den Küstengebieten zu fliehen, bevor starke Windböen und Regen kommen. Die Notunterkünfte weiter im Landesinneren begannen langsam, sich zu füllen.
„Ich habe mein Haus schon zugenagelt“, sagt Jeff Peter im Küstenort Cape Canaveral. Der 62-Jährige wollte am Montagvormittag (Ortszeit) Notvorräte einpacken, sich ins Auto setzen und die Atlantikküste hinter sich lassen. Für die meisten Menschen in Florida ist es nicht der erste Hurrikan. Doch weil „Dorian“ ein Sturm der gefährlichsten Kategorie ist, fragen sich Peter und andere, wie sie ihre Häuser wohl nach der Rückkehr vorfinden werden. Eine Antwort auf die Frage gibt es nicht - nur Hoffnung, dass es schon nicht so schlimm werden wird.
Früchte als gefährliche Geschosse
Die örtlichen Radiosender geben nonstop Tipps, wie sich Anwohner verhalten sollen - von der besten Methode, Sandsäcke zu füllen und in Position zu bringen bis hin zur Vorbereitung des Gartens. „Pflücken Sie Ihre Früchte ab, lassen Sie sie nicht am Baum“, erklärt ein Moderator. Der Grund ist, dass die Früchte von Avocado- oder Zitrusbäumen bei den bevorstehenden Hurrikan-Windgeschwindigkeiten von mehr als 200 Kilometern pro Stunde zu gefährlichen Geschossen werden können.
„Dorian“ soll den Prognosen zufolge nicht direkt auf Florida treffen, allerdings auf seinem Weg nach Norden so nahe an der Küste vorbeiziehen, dass mit Sturmfluten, zerstörerischen Winden, heftigen Regenfällen und Überschwemmungen zu rechnen war. Das Nationale Hurrikan-Zentrum warnt, der Sturm werde ab Montagabend „gefährlich nah“ an Floridas Ostküste vorbeiziehen. Sollte der Sturm auch nur gering vom prognostizierten Pfad abweichen, könnte er auf Land treffen und für große Schäden sorgen, warnen Meteorologen. Auch die nördlich angrenzenden Bundesstaaten Georgia und South Carolina haben bereits eine Evakuierung der Küstengebiete angeordnet.
4000 Mitglieder der Nationalgarde mobilisiert
Seit Ende letzter Woche haben Anwohner in Florida mit Hamsterkäufen ihre Notvorräte angelegt. In manchen Supermärkten gab es inzwischen kaum mehr abgepacktes Trinkwasser zu kaufen, auch Plastikplanen, Klebeband, Seile, Batterien und Benzinkanister waren oft Mangelware.Das Restaurant „Grills“ in Cocoa Beach versprach seinen Kunden, bis zuletzt offen zu bleiben. „Hau ab, Dorian“, hieß es am Sonntagabend auf einem Schild vor dem Restaurant. Ein Feuerwehrmann saß mit seiner Frau, zwei Kindern und der Schwiegermutter auf der Terrasse beim Abendessen. „Nachher starte ich eine 96- oder 100-Stunden-Schicht in der Feuerwache. Ich habe kein Ahnung, was mich erwarten wird“, sagte der 42-Jährige Payton, der seinen Nachnamen nicht nennen wollte. „Nach dem Essen schicke ich Frau und Kind hier raus.“ Er hoffe, sie nach dem Durchzug des Sturms bald wieder zu sehen.
Auch die Behörden haben sich vorbereitet: Gut 4000 Mitglieder der Nationalgarde wurden in Florida mobilisiert, Notfallvorräte an Trinkwasser, Essensrationen und Generatoren wurden verteilt. Schweres Gerät wurde stationiert, um umgeknickte Bäume schnell beseitigen können.
Strom-Spezialisten bereits angereist
Weil auch damit zu rechnen war, dass die zerstörerischen Winde Strommasten umwerfen würden, waren aus anderen Bundesstaaten bereits Hunderte Spezialisten angereist, die dabei helfen sollen, die Stromversorgung nachher wiederherzustellen. Die US-Weltraumbehörde NASA in Cape Canaveral hat auch Vorbereitungen getroffen - die Startrampe ist bereits in Sicherheit gebracht. Die Häfen an der Küste wurden für den Schiffsverkehr geschlossen.
Für Hotels, Vergnügungsparks und örtliche Geschäfte ist der Hurrikan mitten in der Urlaubssaison ärgerlich. Anstatt übers lange Wochenende Hochkonjunktur zu haben - am Montag war in den USA ein Feiertag - machten viele ihre Schotten dicht. Für Hotels im Landesinneren hingegen dürfte es ein gutes Geschäft werden: Wer es sich leisten kann, wird eher nicht in der Enge der Notunterkünfte schlafen wollen.Am Montagmorgen (Ortszeit) flimmern in einem Hotel bei Cape Canaveral im Fernsehen die ersten Bilder aus den Bahamas, über deren nördliche Inseln „Dorian“ seit Sonntag hinweggezogen ist. Sie zeigen die Zerstörungskraft des Sturms. Keiner sagt es laut, doch viele scheinen es zu denken: „Hoffentlich wird es hier nicht ganz so schlimm.“
Manche Anwohner wollen nicht evakuiert werden
Manche Anwohner wollen sich der behördlich angeordneten Evakuierung widersetzen, darunter Kurt Weller, ein pensionierter Nasa-Ingenieur. „Ich bin bei jedem Sturm der letzten 40 Jahre zuhause geblieben, auch wenn dieser der Schlimmste werden könnte.“ Der 66-Jährige genießt am Sonntagabend auf dem Strand einen Cocktail und gibt sich gelassen. Er habe zuhause genügend Notvorräte, Alkohol und Unterhaltung gegen die Langeweile. Ihm gehören hier sieben Häuser, die er vermietet. „Ich habe meinen Mietern gesagt: Mauert euch ein oder flieht.“ (dpa)