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„Ich war immer schuld“Martina S. war ein Jahr mit einem Narzissten zusammen

Lesezeit 8 Minuten

Martina S. war ein Jahr lang mit einem krankhaften Narzisten zusammen.

  1. Ein Jahr war Martina S. mit Jochen K. zusammen. Bis der sie eines nachts „vom Hof jagte“.
  2. Narzissten werden Menschen wie er auch genannt. Der 54-Jährige sei „Dr. Jekyll und Mister Hyde in einer Person“, sagt Martina S.

„Wie soll ich ihn nennen?“, fragt Martina S. „Meinen Narzissten?“ Nein, das sei zu abwertend. „Meinen Ex?“ Das sei zumindest wertneutral. Ein Jahr war Martina S. mit Jochen K. zusammen. Bis der sie eines nachts „vom Hof jagte“ und die heute 50 Jahre alte Frau mit Depressionen und einer 90-prozentigen Trauma-Belastung in einer Einrichtung für Trauma-Opfer landete.

Jochen K. – der wie auch Martina S. einen anderen Namen hat – leidet an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Narzissten werden Menschen wie er auch genannt – selbstverliebte Blender und eitle Egomanen mit einem schier unstillbaren Bedürfnis nach Anerkennung. Der 54-Jährige sei „Dr. Jekyll und Mister Hyde in einer Person“, sagt Martina S. – charismatisch, freundlich und hilfsbereit, wenn er vor anderen Menschen glänzen wolle. Zynisch und abgrundtief verletzend, wenn man ihm die Liebe und Bewunderung versage, die er zur Stabilisierung seines Ichs braucht.

Freund hatte keine schöne Kindheit

Ihren Opfern – Partnerinnen und Partner, Familienangehörige, Kolleginnen und Kollegen – saugen krankhafte Narzissten den Selbstwert aus wie ein Vampir den Menschen das Blut. „Die Persönlichkeit wird systematisch destabilisiert, und man beginnt, sich als ein Nichts zu fühlen“, sagt Martina S. „Man ist nichts mehr wert, und geht irgendwann kaputt daran.“

Martina S. kennt ihren „Ex“ seit mehr als 30 Jahren. Die damals 16-Jährige lernt Jochen K. auf einem Fest in ihrem Heimatort kennen. Eine Teenagerliebe, die nach einem Jahr auseinandergeht. Damals habe das Thema Narzissmus noch keine Rolle in ihrer Beziehung gespielt, sagt sie. „Jochen war anders als andere Menschen“, daran erinnere sie sich noch. Still, immer etwas traurig. „Ich habe gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung war, aber ich hätte nicht sagen können, was es war.“ Der vier Jahre ältere Freund habe keine schöne Kindheit gehabt und sei wenig geliebt worden. „Die Mutter schlug ihn, wenn ihr etwas nicht passte, und lobte ihn nur, wenn er ihre Erwartungen erfüllte. Er konnte sich nie auf ihre Liebe verlassen, und was er auch tat – es war nicht gut genug.“

„Narzissmus ist eine Maske“

Heute weiß Martina S., dass frühkindliche Erfahrungen wie diese die Psyche eines Menschen nachhaltig erschüttern können. „Narzissmus ist eine Maske“, sagt der Hamburger Psychiater und Narzissmus-Experte Claas-Hinrich-Lammers. Dahinter verstecke sich stets eine verletzte Kinderseele, die nach Anerkennung hungere. Der US-Psychiater Otto Kernberg, einer der Vorreiter auf dem Gebiet der Narzissmus-Forschung, bietet ein ähnliches Erklärungsmodell für die Krankheit der Selbstverliebten. Erfahre ein Kind in seinen ersten Lebensjahren wenig Liebe, dafür aber Bewunderung und Anerkennung für bestimmte Fähigkeiten, könne sich das kindliche Ich „in eine problematische Richtung“ entwickeln.

Auch Martina S. trägt aus ihrer Kindheit seelische Verletzungen davon, die sie anfällig machen für Menschen wie Jochen K. Eine despotische, möglicherweise narzisstisch gestörte Großmutter, bei der sie aufwächst, lehrt sie früh das Fürchten. „Wenn ich nicht spurte, drohte sie mir mit dem Kinderheim.“ Ohne diese Erfahrungen, glaubt sie heute, „hätte ich vielleicht gar nicht bei jemandem wie meinem Ex angedockt“.

Mit Mitte 20 trifft Martina S. ihre Jugendliebe wieder. Jochen K. ist inzwischen Vater eines kleinen Sohns, die Ehe ist gescheitert. Diesmal hält die Affäre nur wenige Monate. „Ich war sehr verliebt in ihn, habe aber wenig Gegenliebe erfahren.“ Damals, sagt Martina S., habe sie nicht über diese Ungleichheit der Gefühle nachgedacht. „Wir haben uns kurz und schmerzlos getrennt. Ich habe halt nicht zu ihm und seinem Kind gepasst.“

„Er hat mir meine Lebensfreude wiedergegeben“

Erst 2013 nehmen Martina S. und Jochen K. wieder Kontakt auf. Beide sind verheiratet, beide Ehen sind nicht glücklich. An eine erneute Affäre mit dem Exfreund habe sie nicht gedacht, sagt Martina S. „Es war einfach nett, wieder von ihm zu hören.“ Vier Jahre schreiben sie sich regelmäßig auf Facebook, meist nur ein paar Sätze. Manchmal liegen Wochen zwischen den einzelnen Nachrichten. Erst im Frühjahr 2017 wird der Kontakt intensiver. Im Sommer kommt es schließlich zu einem Treffen.

„Ich war verloren, als ich ihn wiedersah“, erinnert sich Martina S. „Er hatte noch immer dieses umwerfende Lächeln und diese humorvolle, inspirierende Art.“ Stundenlang sitzen sie zusammen im Biergarten. Reden, lachen. „Er hat mir meine Lebensfreude wiedergegeben.“ Dafür liebe sie ihn noch immer. Trotz allem, was vorgefallen sei. „Mir war es jahrelang nicht gut gegangen. Ich hatte zu viel gearbeitet, zu wenig gelebt. Jetzt hatte ich das Gefühl, dass ich wieder am Leben teilnehme.“

Doch Jochen K. ist nicht mehr der Mann, den sie seit mehr als 30 Jahren zu kennen glaubt. Die ersten Wochen des Zusammenseins seien sehr harmonisch gewesen, erinnert sich Martina S. „Wir haben uns blendend verstanden. Er war fürsorglich und hilfsbereit.“ Mal besucht er sie an ihrem Wohnort. Mal fährt sie ein paar Tage zu ihm. Jochen K. lebt nach der Trennung von seiner zweiten Frau mit den gemeinsamen Kindern in einer Hofanlage auf dem Land. Er ist ein begeisterter Maler und hat sich auf dem Gebiet einen Namen gemacht. Viel Geld verdiene er nicht damit, sagt Martina S. Doch das sei ohnehin nicht der Punkt. „Es geht ihm vor allem darum, bewundert zu werden.“ Von dieser Bestätigung, dem Lob und dem Prestige lebe er.

Vorwürfe häuften sich

Jochen K. weiß um seine narzisstische Persönlichkeitsstörung. Ein Psychiater, bei dem er wegen einer Suchterkrankung in Behandlung ist, hat sie ihm schon Jahre zuvor bescheinigt. Seiner Partnerin gegenüber ist er von Anfang an offen. „Er hat mir davon erzählt, aber ich wollte es zunächst nicht glauben. Bis er mich eines Besseren belehrte.“ Vor allem habe sie unterschätzt, was die Störung des Partners mit ihrer eigenen Psyche machen würde . „Er fing an, mich ständig zu kritisieren, und zwar auf eine sehr abwertende Weise. Das macht einen mürbe. Was ich auch tat – es war nicht richtig. Ich hatte etwas Falsches gesagt, Dinge nicht so hingelegt, wie er es wollte. Ich hatte nicht »bitte« oder »danke« gesagt und war ihm gegenüber respektlos und unhöflich gewesen.“

Die Vorwürfe häufen sich, die Streitigkeiten nehmen zu. „Man konnte in einer Diskussion mit ihm nicht gewinnen. Ich durfte ihn nicht unterbrechen, geschweige denn kritisieren, während ich selber keinen einzigen Satz zu Ende bringen konnte. Er hatte grundsätzlich Recht. Und ich war immer schuld.“

Martina S. leidet bis heute unter den Kränkungen und Demütigungen durch ihren narzisstischen Ex-Partner.

Krankhafte Narzissten seien unfähig, über sich selber nachzudenken und die eigenen Fehler und Defizite zu sehen, bestätigt Narzissmusforscher Otto Kernberg die Erfahrungen von Martina S. „Der Partner hat für sie vorrangig die Funktion, sie zu bewundern und ihr Selbstgefühl zu stärken.“ Das sei allerdings nur eine Seite der Medaille, sagt Mitja Back. Der Psychologieprofessor hat 2013 an der Universität Münster eine Reihe von Studien über narzisstische Persönlichkeitsstörungen durchgeführt. Ergebnis: Krankhafte Narzissten verfolgen zwei Strategien, um „ihre vermeintliche Großartigkeit aufrechtzuerhalten“. Eine Hälfte der Persönlichkeit suche die Bewunderung anderer durch Selbsterhöhung und Selbstdarstellung. Die andere Hälfte versuche, fehlender Anerkennung und Kritik durch die Abwertung anderer Menschen durch aggressives Verhalten entgegenzutreten.

„Er hat mich vom Hof gejagt“

Auch Jochen K. wird seiner Partnerin gegenüber immer aggressiver. „Erst hat er mich nur ab und zu angeschrien. Am Ende machten diese Wutausbrüche 75 Prozent unseres Umgangstons aus. Wenn ich gesagt habe: »Behandele mich nicht so«, hat er noch mehr draufgehauen.“ Im Januar 2018 trennt sich das Paar. Ein Kurzurlaub sei völlig aus dem Ruder gelaufen, sagt Martina S. „An einem Abend habe ich auf meiner Seite die Nachttischlampe ausgeknipst, während er noch an seinem Laptop saß. Daraufhin hat er mich angeschrien, ich dürfe ohne seine Erlaubnis nichts tun, was zu seinem Nachteil sei. Es war völlig verrückt.“

Dennoch habe sie ihn einige Wochen später noch einmal in ihr Leben gelassen. „Weil ich ihn liebte und unsere Beziehung auch sehr schöne Seiten hatte.“ Der Versuch, diese Liebe zu retten, endet im Sommer 2018 in einem Fiasko. Nach einem Tag voller Streitereien wird Jochen K. auch körperlich übergriffig und weist die Partnerin mitten in der Nacht aus dem Haus. „Er hat mich von seinem Hof gejagt.“ Das sei das Schlimmste überhaupt gewesen.

Selbsthilfegruppe gegründet

Martina S. hat inzwischen eine Selbsthilfegruppe für die Opfer von narzisstischem Missbrauch gegründet. Sie ist nicht die einzige, die versucht, gemeinsam mit anderen über das Erlebte hinwegzukommen. In ganz Deutschland gibt es etwa ein Dutzend Selbsthilfegruppen. Eine Facebook-Gruppe von Betroffenen hat knapp 6000 Mitglieder. „Psychische Gewalt sieht man nicht, aber sie wiegt genauso schwer wie physische, wenn nicht sogar schwerer“, sagt Martina S. Deswegen kämpfe sie auch dafür, dass Menschen, die die Psyche anderer verletzen, strafrechtlich verfolgt werden. „Den Tätern muss bewusst sein, dass ihr Verhalten Konsequenzen hat.“

Mit Jochen K. hat sie inzwischen wieder lockeren Kontakt. „Ich liebe ihn“, sagt sie. „Ohne ihn bin ich nur ein halber Mensch. Aber ich weiß auch, dass eine Beziehung mit ihm nicht möglich ist.“ Zwar habe er mittlerweile eine Therapie begonnen, doch dürfe man keine Wunder erwarten. „Die Fortschritte sind minimal.“

Die Selbsthilfegruppe Narzissmus Köln trifft sich jeden Montag, 18 Uhr. Narzissmus.koeln@web.de