Katholische KircheNoch immer „keine echte Aufarbeitung“ der Missbrauchsfälle
Trier – Zehn Jahre ist es her, dass erste Enthüllungen von Missbrauchsfällen die katholische Kirche Deutschlands erschütterten. Immer mehr Opfer meldeten sich - seitdem lässt der Missbrauchsskandal die Kirche nicht mehr los.
Vieles ist im vergangenen Jahrzehnt rund um Hilfen und Prävention auf den Weg gebracht worden, doch nun könnte es ans Eingemachte gehen: Denn die Kirche steht bei der geplanten Aufarbeitung des Missbrauchsskandals durch unabhängige Experten vor schmerzlichen Erkenntnissen.
„Es wird jetzt weiter schmerzlich und schwierig bleiben“
Es geht um die Frage von Vertuschung, von möglichen Versetzungen von Priestern beispielsweise, bei denen man wusste, dass sie sich strafbar gemacht haben. Der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) für Fragen des sexuellen Missbrauchs, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, sagte am Donnerstag: Unabhängige Untersuchungen würden „auch zu Enttäuschung gegenüber Personen führen, die Verantwortung getragen haben.“ Das gehöre aber zu dem Prozess dazu. „Es wird jetzt weiter schmerzlich und schwierig bleiben.“
Ackermann zeigt sich optimistisch, dass die Bischöfe im Frühjahr eine „abgestimmte Klarheit“ über die unabhängige Aufarbeitung in den 27 Bistümern finden würden. Ende November 2019 hatte Ackermann mit dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, bereits Eckpunkte für eine einheitliche und transparente Herangehensweise vereinbart. Damit erreiche die Aufarbeitung des Missbrauchs „eine neue Qualität, eine neue Dimension“, sagte der Bischof.
An vielen Stellen findet noch keine Aufarbeitung statt
Das ist genau das, was auch die Opfer wollen: Denn vielerorts habe es noch „keine echte Aufklärung und Aufarbeitung“ gegeben, sagte der Sprecher der Opferinitiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch. Es gebe „einige Leuchttürme in der Landschaft“ wie das Kloster Ettal und die Regensburger Domspatzen, aber „ansonsten fängt es erst an“. Er hofft, dass die Bischöfe im Frühjahr grünes Licht für die unabhängige und transparente Aufarbeitung nach einheitlichen Kriterien geben werden. Dann könnten unabhängige Forscher in die Archive der Bistümer gehen und „unabhängig von der Person die Verantwortung“ benennen.
„Aus persönlicher Sicht von Betroffenen waren das zehn Jahre verlorene Zeit, wenn es um Unterstützung und Hilfe für Opfer geht“, sagte Katsch. „Klarstes Beispiel“ dafür sei: „Dass wir die Entschädigungsdebatte erst jetzt führen.“ Katsch hatte im Januar 2010 die Aufdeckung des Missbrauchsskandals am Berliner Canisius-Kolleg mit ins Rollen gebracht. Er war als Jugendlicher am Canisius-Kolleg sexuell misshandelt worden. „Ich habe diese zehn Jahre als Befreiung auch persönlich empfunden.“
Täter wurden von Bistum zu Bistum versetzt
Der Sprecher der Reformbewegung „Wir sind Kirche“, Christian Weisner, sagte, auch wenn die katholische Kirche im vergangenen Jahrzehnt „viel getan“ habe: „Es ist trotzdem immer noch zu wenig.“ Die „richtige, ganz konkrete Aufarbeitung“, bei der sich Bischöfe und Personalverantwortliche zu ihrem konkreten falschen Handeln im Umgang mit Missbrauchsfällen bekennen würden, fehle noch. „Verantwortliche sollten die Betroffenen persönlich um Entschuldigung bitten. Gegebenenfalls sind auch persönliche Konsequenzen zu ziehen.“
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Jahrzehntelang seien Fälle vertuscht worden, es habe bei Tätern eine „Verschiebetaktik“ gegeben: Priester wurden von Bistum zu Bistum, Ordensmitglieder sogar von Land zu Land versetzt. Auch in der Debatte um Entschädigungen für Opfer müsse eine Lösung gefunden werden, sagte Bischof Ackermann. Er ging davon aus, dass die Bischöfe ebenfalls im Frühjahr über „eine Weiterentwicklung“ des Entschädigungskonzepts entscheiden würden. Wichtig sei Solidarität mit den Opfern. Über die Finanzierung müsse noch gesprochen werden.
Forderung nach deutlich höheren Entschädigungen für Opfer
Es sei „schwer erträglich“, dass man erst in den letzten Monaten angefangen habe über Entschädigungen für Opfer zu diskutieren, sagte Katsch. Bisher habe die Kirche als „symbolische Anerkennung“ in rund 2000 Fällen Beträge von bis zu 5000 Euro, oft aber weniger, bezahlt. Experten haben jetzt wesentlich höhere Entschädigungen bis zu 400 000 Euro vorgeschlagen. Aufarbeitung und Entschädigung seien wichtig für die Opfer, um mit dem Erlebten abschließen zu können.
Ackermann, der als Chefaufklärer der DBK mit dem Thema Missbrauch betraut ist, sagte, der Skandal habe seine Sicht der Kirche verändert. „Insofern, dass ich natürlich wirklich in viele Abgründe reinschauen musste (...). Mit dem Erschrecken, was haben Menschen in der Kirche, vor allem Priester, Kindern und Jugendlichen angetan. Das ist schon ein Erschrecken, das nicht nachlässt.“ Er spüre eine Verpflichtung gegenüber den Betroffenen, nicht nachzulassen.
„Synodaler Weg“ soll zu Reformen führen
„Es wird nicht bald vorüber sein. Das ist ein massive Erschütterung“, sagte Ackermann. Der Skandal sei eine „kirchengeschichtliche Zäsur“, die die Kirche auch über die sexuelle Missbrauchsthematik hinaus verändere. Beratungen zu Reformen sind bereits angestoßen: Die Themen Sexualmoral, Zölibat, Gewaltenteilung und die Rolle der Frauen in der Kirche liegen nun beim Synodalen Weg auf den Tisch.
Laut der sogenannten MHG-Studie, die im Auftrag der DBK zum Missbrauchsskandal erstellt und im Herbst 2018 vorgelegt wurde, sind bundesweit in den Personalakten von 1946 bis 2014 insgesamt 1670 Kleriker wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger beschuldigt worden. Es gab 3677 Opfer. (dpa)