Kehrseite der Postkarten-IdylleAuf den Malediven spitzen sich die Umweltprobleme zu
Weißer Sand, türkisblaues Wasser, bunte Fische. Palmen, die in den strahlend blauen Himmel ragen, und am Horizont bereits die nächste Insel. So paradiesisch muss die Küste des Malediven-Eilands Maabhaidhoo einmal ausgesehen haben. Und hätte ein Tourismus-Manager hier beizeiten ein Urlaubsresort errichtet – wer weiß? Vielleicht wäre die Welt in diesem Teil des Laamu Atolls, einer Gruppe von 73 Inseln, noch immer in Ordnung. Dann hätten besondere Gesetze gegriffen, die Insel wäre geschützt und herausgeputzt worden. Für die Touristen.
Stattdessen zeigt Maabhaidhoo die Kehrseite, die raue Wirklichkeit. Überall liegt Abfall verstreut. Die Brandung hat in den vergangenen 40 Jahren sicher 25 Meter Sandstrand fortgespült und nur graues Korallensediment zurückgelassen. „Dort haben wir früher im Wasser gespielt“, sagt ein Fischer und zeigt auf einige umgestürzte Palmen mit freigespülten Wurzelballen. Der Inselrat, die Vertretung der rund 1100 Insulaner, wirkt ernüchtert. Der Fischfang – ohnehin mühsam auf den Malediven, weil die großen Fische einzeln geangelt werden – ist zur Schwerstarbeit geworden. Die Population der Thunfische ist zurückgegangen. Immer länger müssen die Fischer unterwegs sein, um Fang zu machen. Ist die Überfischung schuld? Oder der Klimawandel, der fast reflexartig für alles als Begründung herangezogen wird, was nicht mehr ist wie früher?
Zur Befestigung der Ufer von Maabhaidhoo fehlt das Geld. Und der Antrag, die kleine Insel für den Tourismus zu öffnen, liegt seit mittlerweile acht Jahren in der fernen Hauptstadt Male. Der Tourismus hat das flächenmäßig kleinste Land Asiens, dessen 1200 Inseln über eine Länge von 870 Kilometern verteilt im Indischen Ozean liegen, vergleichsweise wohlhabend gemacht. Nur 188 Inseln sind bewohnt, weitere 100 Inseln sind allein dem Tourismus vorbehalten.
Einst klare Trennung auf den Malediven
Das streng islamische Land hat einst eine klare Trennung zwischen den Welten der Einheimischen und der Urlauber gezogen. Erst in jüngerer Vergangenheit wurden einfache Pensionen auch auf Inseln für Einheimische genehmigt.
1965, bei der Unabhängigkeit von Großbritannien, gehörten die Malediven noch zu den 20 ärmsten Ländern der Welt. Heute liegen sie nach den Kategorien der Weltbank im oberen Bereich der Länder mit mittlerem Einkommen. 1,3 Millionen Urlauber im Jahr, zumeist im Luxussegment unterwegs, machten den Boom möglich.
Auf Maabhaidhoo indes scheinen die Kollateralschäden des Fortschritts angekommen zu sein, wie überhaupt die Folgen des weltweiten Klimawandels an den Malediven fast seismographisch abzulesen sind. Die Jahreszeiten verschieben sich. Dürrezeiten sind mitunter extrem, und in der Regenzeit kommt es immer wieder zu sintflutartigen Wolkenbrüchen, die die Insel überfluten und ganze Gemüsefelder wegreißen.
In der Trockenzeit dagegen wird regelmäßig das Süßwasser knapp. Zur Misere tragen auch die Dorfbewohner selbst bei: Sie haben ihre Insel sorglos zugemüllt. Als der Abfall noch verrottete, war das kein Problem. Doch leere Plastikflaschen, Verpackungen, Dosenreste und auch Technikschrott bleiben und verschlechtern die Qualität des Grundwassers. Die Wasserpfützen in den Müllgebirgen sind zudem Bruthöhlen für Moskito-Weibchen.
Für viele Inselrepubliken geht es um die Existenz
Weil das Laamu-Atoll den Folgen des Klimawandels in besonderer Weise ausgesetzt ist, hat das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nation (UNDP) hier ein Pilot-Projekt aufgelegt, um beispielhaft nach Lösungen zu suchen. Für Inselrepubliken wie die Malediven, die Fidschi-Inseln oder die Bahamas geht es um die blanke Existenz, wenn die Weltmeere tatsächlich Jahr um Jahr steigen sollten. Durchschnittlich liegen die Malediven nur 1,50 Meter über dem Meeresspiegel. Die UN wollen helfen, Strategien und Modelle zu entwickeln, mit der drohenden Überflutung umzugehen.
Unstrittig zwischen Regierung und Opposition ist, dass nicht alle von Menschen besiedelten Orte zu halten sein werden. Von den 74 Inseln des Laamu-Atolls seien nur elf bewohnt, sagt Abdulla Shareef, Verwaltungschef der Inselgruppe. Künftig würden vielleicht drei bis vier sichere Regionen gebildet, um dort Strände zu befestigen, eine regelmäßige Müllabfuhr zu organisieren, wie es auf einigen Inseln mit UN-Hilfe bereits geschieht, konkrete Notfallpläne aufzulegen sowie Schulen und Krankenstationen bereitzuhalten.
Shareef ist ein nachdenklicher Mann. „In Deutschland seht ihr nur die schönen Bilder“, sagt er. Er zweifelt, ob die richtigen Wege beschritten würden, und räumt offen ein, nicht immer eine Lösung für die vielen Probleme seines Atolls zu haben. Die alles entscheidende Frage: Wie können die Menschen, die zerstreut, weit voneinander entfernt im Indischen Ozean leben, mit der Zukunft Schritt halten? Die Hilfe der UN begrüßt Shareef. Der 33-Jährige ist Mitglied der Oppositionspartei Maledivische Demokratische Partei (MDP), der auch Mohamed Nasheed angehört, bis 2012 Präsident der Malediven. Nach einem Putschversuch trat er zurück und ging später ins Exil, um nach dubiosen Vorwürfen einer Verhaftung zu entgehen. Nasheed war es, der durch medienwirksame Auftritte und drastische Worte die Misere der Inselstaaten nachdrücklich im Bewusstsein der Weltöffentlichkeit verankerte. Auch die heutige Regierung setzt darauf, sichere Regionen zu bilden. Aber in welchem Maßstab das tatsächlich geschieht, wird neben der Inselhauptstadt Male sichtbar, die im Stadtkern mit 47000 Einwohnern pro Quadratkilometer dreimal so dicht besiedelt ist wie Hongkong.
Dort entsteht die künstliche Insel Hulhumalé. In der modern konzipierten Retortenstadt mit Tsunami-Kanälen und Uferbefestigungen leben bereits einige Zehntausend der 240000 Einwohner, für die das Projekt nach der Fertigstellung 2025 ausgelegt ist. Für Touristen sind 12000 Betten vorgesehen, außerdem Anleger für große Kreuzfahrtschiffe. Auch der benachbarte Flughafen wird so stark ausgebaut, dass er die Zahl von heute 1,3 Millionen Touristen auf bis zu sieben Millionen im Jahr steigern könnte. Da die Urlauber meist noch mit Wasserflugzeugen oder Schnellbooten weiterreisen, nimmt hier ein Drehkreuz nach Art einer Metropole Gestalt an.
Verglichen mit solch hochfliegenden Plänen, nehmen sich die Probleme der Bewohner von Maabaidhoo scheinbar unbedeutend aus. So verwundert es auch nicht, dass sie immer noch vergebens auf die Genehmigung zur Öffnung der Insel für Urlauber warten. Tourismus wäre gut, denkt auch die Frauengruppe, die Teil des UN-Projekts ist und die in Handarbeit einen Mangrovensumpf gesäubert hat, der 50 Jahre lang als offizielle Müllkippe missbraucht wurde. Zwei Wochen lang arbeiteten 30 Frauen hier vier Stunden täglich und schafften den Abfall auf Lastwagen. Warum nicht auch die Männer? Der Vorsitzende des Inselrats wird ein wenig verlegen und murmelt etwas von „Unterstützung“ für die Frauen.
Die Mangroven sind jetzt wieder Teil der Natur. Sie ziehen Wasservögel und Fische an. Ein kleiner Steg führt in die Mitte der Anlage, von wo aus man einen schönen Blick auf die Natur hat. Zur Sicherheit haben die Frauen ein Schild mit der Aufschrift „Müll abladen verboten“ an einen Pfahl geheftet. Touristen, das ist inzwischen allen im Dorf klar, wollen keinen Müll sehen.
Frauen auf der Insel stellen Veränderungen zuerst fest
„Machine“ heißt der in Surfer-Kreisen gerühmte Punkt, der vor Maabaidhoo liegt. Um ihn ranken sich die bescheidenen Tourismus-Pläne der Bewohner. Mehrfach täglich steuern Boote benachbarter Inseln die Stelle an, weil die Wellen perfekt für Surfer sind. An anderen Plätzen ankern Schiffe, die Taucher oder Schnorchler absetzen. Maabhaidhoo wäre für diese Touristen ein idealer Standort. Und die Frauen könnten Chili, Zwiebeln, Süßkartoffeln und anderes Gemüse von ihren kleinen Feldern an Pensionen liefern. Oder das klassische Havaadhu-Pulver, das in Gemeinschaftsarbeit aus Kokosnuss-Mark hergestellt wird. Die Männer würden Bootsführer. Die jungen Leute müssten nicht mehr wegziehen. Womöglich könnten sie eine Ausbildung im Tourismusgewerbe machen.
Eigentlich müssten immer zuerst die Frauen gefragt werden, wenn es um die Belange der Insulaner geht, sagt Fathimath Azama, während an der anderen Seite des Tisches im schmucklosen Gemeindesaal die Männer den Journalisten aus Deutschland die Welt erklären. Die Frauen seien die Ersten, die Veränderungen auf der Insel feststellten. Sie verbrächten schließlich den ganzen Tag hier. Die Männer blieben zum Fischfang immer länger fort, um dann erschöpft nach Hause zurückzukehren, erklärt die 33-jährige Vorsitzende der örtlichen Frauengruppe. „Wir haben uns bemerkbar gemacht“, stellt sie fest. Ihr energischer Auftritt lässt keinen Zweifel daran. Und als wären ihr die Pläne aus der Hauptstadt geläufig, die Touristenzahl zu verfünffachen, formuliert Azama einen Satz wie aus einem Managerhandbuch: „Der Tourismus wird kommen“, sagt sie. „Die Frage ist nur, wie?“ Sie und die anderen Frauen wollten da ein Wort mitreden. „Denn diese Insel ist unsere Welt.“
Die Reportage-Reise wurde durch die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen unterstützt.