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Umstrittener BrauchBorkumer wollen „Klaasohm“ erstmals feiern, ohne Frauen zu schlagen

Lesezeit 6 Minuten
Das Schlagen von Frauen mit Kuhhörnern soll es bei dem diesjährigen Klaasohm-Fest auf Borkum nicht mehr geben. (Archivbild)

Das Schlagen von Frauen mit Kuhhörnern soll es bei dem diesjährigen Klaasohm-Fest auf Borkum nicht mehr geben. (Archivbild)

Verkleidete Männer schlagen Frauen mit einem Kuhhorn - diesen Teil des Nikolausbrauchs Klaasohm soll es auf Borkum nicht mehr geben.

„Beklemmend, beschämend, bedrückend“ nennt eine Borkumerin ihre Erfahrung mit dem Nikolaus-Brauch um den sogenannten „Klaasohm“. Von „mega Schmerzen“ berichtet eine andere in einem Bericht des ARD-Magazins „Panorama“. Unter anderem Zitate wie diese haben in den vergangenen Tagen viel Aufmerksamkeit auf das Volksfest auf der Nordsee-Insel gelenkt.

Insbesondere ein Aspekt sorgte für Reaktionen von Unverständnis bis Entsetzen: als Teil des Brauchs laufen in der Nikolausnacht verkleidete Männer durch die Straßen, greifen junge Frauen und halten sie fest, um sie dann mit Kuhhörnern auf die Beine zu schlagen. Oft so hart, dass die Frauen noch tagelang blaue Flecken haben, wie Borkumerinnen berichten.

Klaasohm auf Borkum wird heute Nacht mit tausenden Besuchenden gefeiert

Nach der Berichterstattung und tagelangen Diskussionen kündigte der veranstaltende Verein, die Borkumer Jungens von 1830, an, den „Brauch des Schlagens“ abzuschaffen. In den Verein dürfen nur männliche Inselbewohner ab 16 Jahren eintreten. Jetzt heißt es: Auf der Nordseeinsel Borkum soll keine Frau mehr mit Kuhhörnern geschlagen werden.

Mit einem Gewaltverbot und einem Schutzkonzept will der Verein einen Neuanfang für den umstrittenen Nikolausbrauch finden. Zu dem Fest am Vorabend des Nikolaustages werden heute Tausende Besucher auf der Insel erwartet. Jahrzehntelang sollten Auswärtige außen vor bleiben, es war ein Fest nur für die Insulaner. Doch dieses Mal werden Journalisten aus ganz Deutschland auf Borkum erwartet.

Borkums Bürgermeister und Borkumer Jungens distanzieren sich von Gewalt

Borkums Bürgermeister Jürgen Akkermann (parteilos) setzt darauf, dass die Zusage der Borkumer Jungens gilt. Dazu habe der Verein, wie in den Vorjahren schon, seinen Mitgliedern eine klare Ansage gemacht. „Das ist verboten und das ist dieses Mal noch eindringlicher gemacht worden“, sagt der Bürgermeister der Deutschen Presse-Agentur. „Wir wollen das nicht mehr, auch wenn es früher so war. Wir distanzieren uns da ganz klar von.“

Zuvor hatte er auf eine Presse-Anfrage keine Antwort geben wollen. „Das Klaasohmfest ist ein traditionelles Fest für Insulanerinnen und Insulaner, welches sich wie viele regionale Traditionen Auswärtigen nicht ohne Weiteres erschließt. Daher wird es nicht beworben und wir unterstützen die Erwähnung in den Medien nicht“, hatte Akkermann in einer Mail an das Team von STRG_F und Panorama noch geschrieben.

Niedersachens Innenministerin kündigt mehr Polizei auf Borkum an

Auch der Verein Borkumer Jungens äußerte sich inzwischen. „Wir distanzieren uns ausdrücklich von jeder Form der Gewalt gegen Frauen und entschuldigen uns für die historisch gewachsenen Handlungen vergangener Jahre. Wir können nicht abstreiten, dass dies in der Vergangenheit ein Aspekt des Festes war“, lassen sie sich von einem Inselmagazin zitieren. Auf Info-Aushängen war in den vergangenen Jahren unter der Überschrift „Der Klaasohm mag das nicht!“ der eindringliche Aufruf zu lesen, keine Berichterstattung über das Fest nach „draußen“ - etwa auf die sozialen Medien – dringen zu lassen.

Die Stadt will in diesem Jahr eine Telefonnummer und Räume einrichten, wo sich Frauen melden können, sollte es zu gefährlichen oder unangenehmen Situationen kommen. Auch die Polizei soll das Fest absichern. Niedersachsens Innenministerin Behrens (SPD) kündigte an, dass Polizisten deutlich stärker als in den Vorjahren auf der Insel präsent sein werden, damit alle Besucherinnen und Besucher ohne Angst vor Gewalt feiern können.

Getöse in den Straßen und Sprung von einer Säule

Auf Borkum beginnt das Fest am Nachmittag: Junge, unverheiratete Männer verkleiden sich mit Masken, Schafsfellen und Vogelfedern als sogenannte Klaasohms. Begleitet werden sie von einem als Frau verkleideten Mann mit Rock und Schürze, der sogenannten Wievke. Ausgestattet sind alle mit Kuhhörnern.

Erst kommt es in einer Halle unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu einem symbolischen Kampf. Danach laufen die Klaasohms unter großem Getöse auf festgelegten Routen durch die Stadt. Bislang gehörte auch der „Brauch des Schlagens“ dazu, den es nun nicht mehr geben soll: Frauen, die sich aus dem Haus wagten, wurden von den Klaasohms mit einem Kuhhorn verhauen.

Zum Höhepunkt des Festes kommt es am Abend auf einem zentralen Platz: Dort springen die Klaasohms von einer meterhohen Säule nacheinander in eine Menschenmenge. Gefeiert wird die gesamte Nacht hindurch. 

Klaasohm: Borkumerinnen demonstrieren für Erhalt des Volksfestes

In dem „Panorama“-Beitrag hatten Borkumerinnen und Borkumer anonym von aggressiven Übergriffen berichtet. Bei einer Umfrage in der Fußgängerzone sagte eine Seniorin mit Rollator: „Ich habe auch Schläge gekriegt.“ Sie sei kein Fan. Warum das Fest so wichtig sei, müsse der Reporter die Männer fragen. „Es ist ein reiner Männertag“, sagte die Frau.

Ab dem Nachmittag wird auf der rund 5.000 Einwohner zählenden Nordseeinsel das traditionelle Fest Klaasohm gefeiert. (Archivbild)

Ab dem Nachmittag wird auf der rund 5.000 Einwohner zählenden Nordseeinsel das traditionelle Fest Klaasohm gefeiert. (Archivbild)

Am Sonntag, den 1. Dezember, hatten rund 200 Frauen auf Borkum für den Erhalt des Volksfestes demonstriert. Auf einem in sozialen Medien geteilten Video ist die Gruppe zu sehen, wie sie durch die Straßen zieht und ein Banner vor sich trägt. Auf dem Banner steht „Wir lassen uns das Klaasohmfest nicht kaputt machen“.

Unter einem Beitrag der Tagesschau auf der Plattform X dazu, sammelt sich vor allem Unverständnis. „Hier sehen wir, wieso so lange kollektiv geschwiegen wurde. In so nem Umfeld macht man den Mund eher nicht auf“, lautet ein Kommentar. Häufig ist Kritik daran zu lesen, dass vor allem junge Frauen von den Klaasohms gefangen werden, die Demonstrantinnen aber zum Großteil einer anderen Generation anzugehören scheinen.

Krampus und Klausen als Touristen-Events

Eine Installation im Frühjahr im Museum für Kunst & Gewerbe in Hamburg mit dem Titel „Männerfeste - Moderne Bräuche in Deutschland“ analysierte neben Klaasohm noch andere Männerrituale. Denn während in der Arbeitswelt Frauen gegen Diskriminierung gerichtlich vorgehen können, halten sich im Bereich von Bräuchen und Traditionen weiterhin Männerbünde, die Frauen ausschließen und die eigene Überlegenheit zelebrieren. 

In der Nacht zum Nikolaus oder am Nikolaustag treiben auch im Allgäu furchteinflößende Gestalten in Fellgewändern mit Tierköpfen oder Kappen mit Ochsenhörnern ihr Unwesen. Beim sogenannten Klausentreiben geht es laut der offiziellen Internetseite des Allgäus darum, böse Nachtgeister zu vertreiben. Statt Geistern würden heute vorwitzige Zuschauer gejagt.

Früher dienten die wilden Hiebe auf Passanten und Gegenstände nach Angaben des Klausenvereins Sonthofen dem Zweck, alles zu vertreiben, was sich bewegte oder verdächtig wirkte. „Heutzutage findet dies natürlich gesittet unter Beachtung bestimmter Regeln und Richtlinien durch die Klausen statt“, heißt es auf der Internetseite des Vereins. Die Klausen sind verkleidete junge Männer. In einigen Orten gibt es aber auch einen vergleichbaren Brauch für Frauen. Beim Bärbeletreiben treiben an Hexen erinnernde verkleidete Frauen ihr Unwesen und sind auch mit Ruten bewaffnet. 

Krampus heißt eine gruselige Gestalt in Begleitung des Nikolaus in Österreich und Oberbayern. In vielen Gemeinden werden rund um den 6. Dezember Krampusläufe veranstaltet, junge Männer tragen Holzmasken, zottelige Fellkostüme und Glocken. Körperverletzungen kommen bei diesen Volksfesten immer wieder vor, dabei werden auch Krampusse von Zuschauern attackiert. Laut des Vereins Tourismus Oberbayern München sind die Krampusläufe heute zivilisierter als früher, dennoch gehe es dort immer noch rau zu. (pic mit dpa)