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Nachtdienst fürs ÖkosystemWie der Mensch von Fledermäusen profitiert

Lesezeit 6 Minuten
Fledermaus dpa

Eine Fledermaus beim Trinken

Ihre Stimmen sind nicht zu überhören. Aus den Bäumen im Nationalpark Kasanka in Sambia ertönt ein Zetern und Zwitschern wie von einem riesigen Vogelschwarm. Doch die Gestalten, die hier von einem Ast zum anderen flattern, haben ledrige Flügel, ein gelblich-graues Fell und ein fuchsähnliches Gesicht mit großen Augen.

In einer der größten Tierwanderungen der Erde kommen jedes Jahr zwischen Oktober und Dezember bis zu acht Millionen Palmenflughunde – Eidolon helvum – aus anderen Regionen Afrikas in dieses Schutzgebiet. Sobald die Abenddämmerung hereinbricht, erheben sie sich in riesigen Wolken in den Himmel und flattern zu den Feigen und anderen Bäumen, um sich über Nacht den Bauch mit reifen Früchten vollzuschlagen.

Flughunde tragen zur Wiederbewaldung bei

Bei diesen Fresstrips aber stillen die in Afrika weit verbreiteten Fledermaus-Verwandten nicht nur ihren eigenen Hunger. Gleichzeitig leisten sie auch wertvolle Dienste für ihren eigenen Lebensraum und die dort lebenden Menschen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Team um Dina Dechmann vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell und Mariëlle van Toor von der Linnaeus-Universität im schwedischen Kalmar im Fachjournal Current Biology.

Die Forscherinnen haben die ökologischen Auswirkungen verschiedener Palmenflughund-Kolonien in Westafrika untersucht. Demnach können die Bewohner einer solchen Kolonie in einer einzigen Nacht Hunderttausende von Samen verbreiten und damit zur Wiederbewaldung abgeholzter Flächen beitragen.

Für diesen wichtigen Job sind Palmenflughunde besonders gut qualifiziert. Denn sie sind nicht nur sehr mobil, sondern mit einer Flügelspannweite von bis zu 76 Zentimetern auch relativ groß. Und es gibt gewaltige Mengen davon. Viele Millionen Tiere sollen durch die Regionen südlich der Sahara flattern. „Damit gehört diese Art zu den häufigsten Fruchtfressern Afrikas“, sagt Dina Dechmann. „Eine einzige Kolonie besteht aus Tausenden, manchmal sogar aus Millionen von Mitgliedern.“

Flughund trägt Samen bis zu 95 Kilometer weit

Für drei solcher Metropolen haben die Forscher nun die nächtlichen Flüge sämtlicher Bewohner mit einem Computermodell simuliert. Dieses berücksichtigt nicht nur Erkenntnisse über die Nahrungs- und Fluggewohnheiten der Tiere und Beobachtungsdaten aus der jeweiligen Kolonie. Aus Experimenten ließ sich auch ableiten, wie lange die verschluckten Samen in Magen und Darm verweilen und wann sie ausgeschieden werden.

Der Durchschnitts-Flughund besucht demnach bis zu drei Fruchtbäume pro Nacht und trägt deren Samen bis zu 95 Kilometer weit weg. Allerdings unterscheiden sich die Leistungen der fliegenden Transporteure je nach Jahreszeit. So halten sich in der untersuchten Kolonie in Ghanas Hauptstadt Accra während der Regenzeit nur rund 4000 Flattertiere auf, die pro Nacht etwa 5500 Samen verbreiten. In der Trockenzeit dagegen wächst die Flughund-Metropole auf 152 000 Mitglieder an, die in einer einzigen Nacht bis zu 338000 Samen davontragen. Mit ihrem Kot verteilen sie diese auf mehr als 800 Hektar ehemalige Waldgebiete, die zwischen 2001 und 2016 gerodet wurden.

Mehr als 1300 Arten

Flattertiere: Die Chiroptera sind eine äußerst erfolgreiche Tiergruppe. Sie haben sämtliche Kontinente außer der Antarktis erobert und stellen mit mehr als 1300 bekannten Arten auch die zweitgrößte Säugetier-Ordnung.

Unterschiede: Fledermäuse und Flughunde unterscheiden sich im Körperbau und vor allem in ihren Navigationstechniken. Fledermäuse orientieren sich mittels Echoortung, Flughunde verlassen sich auf ihre großen Augen.

Nahrung: Etwa drei Viertel aller Arten, darunter auch alle bei uns heimischen Fledermäuse, sind Insektenfresser. Eine Reihe tropischer und subtropischer Arten, darunter die meisten Flughunde, leben dagegen von Früchten.

Sollten diese Flächen eines Tages wieder komplett mit Bäumen bewachsen sein, würde die Bevölkerung davon enorm profitieren. „So wäre es zum Beispiel wieder möglich, dort Holz und Früchte zu nutzen, und der Regen würde nicht mehr so viele Nährstoffe aus den Böden herauswaschen wie derzeit“, erklärt Mariëlle van Toor. Durch solche Effekte ließen sich nach den Berechnungen des Teams zusätzliche Einkünfte von 858000 US-Dollar pro Jahr erzielen. Der Schutz der Flughunde dürfte sich also schon aus wirtschaftlichen Gründen lohnen.

Flughunde und Fledermäuse sind bedroht

Allerdings sieht es für die Zukunft der flatternden Dienstleister derzeit nicht gut aus. „Seit es in Ghana kaum noch anderes Wild gibt, werden die Tiere dort stark bejagt“, berichtet Dechmann. Dazu kommen die Abholzung von Wäldern und Quartierbäumen sowie die Verwendung der Tiere in der traditionellen Medizin. Das alles hat offenbar zu einem deutlichen Rückgang der Bestände geführt. So hielten sich in der Kolonie in Accra früher zehnmal so viele Tiere auf wie in letzter Zeit. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, könnte das fatale ökologische Folgen haben und auch zu wirtschaftlichen Verlusten führen.

Ähnliches gilt auch für die Bestände anderer Flattertiere rund um die Welt. Der Höhlen-Langzungen-Flughund (Eonycteris spelaea) in Südostasien bestäubt zum Beispiel die Durian-Bäume, deren melonengroße Früchte in der Region hoch geschätzt und teuer gehandelt werden – ein Millionen-Geschäft, das ohne die Kooperation der nächtlichen Blütenbesucher nicht funktionieren würde. Genauso wenig wie die Tequila-Produktion in Mittelamerika. Denn dafür braucht man den Saft von Agaven, die von Blütenfledermäusen bestäubt werden.

Fledermäuse in USA helfen Landwirten

Doch auch die Leistungen der Insektenfresser können sich sehen lassen. Immerhin verschlingen sie in einer Nacht eine Insektenmenge, die etwa ein Drittel ihres eigenen Körpergewichts ausmacht. Und das macht sie zu sehr effektiven Schädlingsbekämpfern. Einen gewaltigen Appetit entwickeln zum Beispiel die etwa hundert Millionen Mexikanischen Bulldog-Fledermäuse (Tadarida brasiliensis), die in Höhlen im Norden Mexikos und im Süden der USA leben.

Schätzungen zufolge sparen die Landwirte im Südwesten der USA allein durch die Aktivitäten dieser Flattertiere jedes Jahr eine halbe Million Dollar Ausgaben für Pestizide ein. Insgesamt sollen die Insektenfänger in den USA jedes Jahr Leistungen im Wert von mehr als drei Milliarden Dollar erbringen.

Anderen Studien zufolge verhindern die fast acht Millionen Fledermäuse Thailands im Durchschnitt einen Verlust von fast 3000 Tonnen Reis im Wert von mehr als 1,2 Millionen Dollar pro Jahr. Damit schützen sie die Nahrung für 26000 Menschen. Und weltweit schätzen Forscher den Wert der Insektenvernichtung durch Fledermäuse allein für den Maisanbau auf mehr als eine Milliarde Dollar.

Wenig Untersuchungen zu Fledermäusen in Europa

„Für die europäische Landwirtschaft gibt es bisher erst wenige solcher Untersuchungen“, sagt Christian Voigt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin. Die aber zeigen, dass die nächtlichen Jäger auch in Europa Appetit auf Schädlinge haben. Im Kot von südeuropäischen Langflügelfledermäusen (Miniopterus schreibersii) hat ein Team um Antton Alberdi (Universität Kopenhagen) zum Beispiel DNA von mehr als 200 Insekten-Arten gefunden, von denen 44 landwirtschaftliche Schäden anrichten. Und auch in deutschen Wäldern räumen Fledermäuse unter den krabbelnden Pflanzenfressern kräftig auf.

Das haben Stefan Böhm von der Universität Ulm und seine Kollegen bei einem Experiment auf der Schwäbischen Alb und im Nationalpark Hainich in Thüringen herausgefunden. Mit Netzen haben sie dort die Kronen von Stiel-Eichen gegen Fledermäuse und Vögel abgeschirmt und die Schäden an den Blättern ermittelt. In allen Fällen wiesen diese Bäume eine größere beschädigte Blattfläche und mehr Löcher pro Blatt auf als Vergleichsbäume ohne Netz. „Man darf Tiere natürlich nicht nur nach ihrem ökonomischen Nutzen beurteilen“, sagt Christian Voigt vom IZW. Für den Schutz von Fledermäusen aber gebe es schon aus rein wirtschaftlicher Sicht Gründe genug.