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Todesfälle in Tel AvivWie andere Städte neben Köln das E-Scooter-Problem angehen

Lesezeit 6 Minuten
E-Scooter_Köln

Ein E-Scooterfahrer auf den Kölner Ringen

  1. In Köln häufen sich die Klagen über wild geparkte oder schlicht weggeworfene E-Scooter – von rücksichtlosen E-Scooter-Fahrern ganz zu schweigen.
  2. Unsere Korrespondenten aus Paris und Tel Aviv beschreiben in diesem Artikel, wie dramatisch die Situation in diesen Städten ist: Von „Anarchie” ist in Paris die Rede, von Todesfällen in Paris.
  3. Es gibt aber auch eine Stadt in Deutschland, die zum Vorbild für Köln taugt, was die E-Scooter angeht. Warum?

In Bremen kann man das Chaos rund um die E-Scooter in den deutschen Großstädten mit einem entspannten Lächeln betrachten. Weil es dort die vielen Regeln, die der Städtetag und der Städte- und Gemeindebund mit den vier großen Anbietern Circ, Lime, TIER und Voi in einem fünfseitigen Papier vereinbart haben, gar nicht erst braucht.

Das Memorandum of Understanding mit dem Titel „Nahmobilität gemeinsam stärken“ klingt gewichtig wie ein Staatsvertrag. Dabei regelt es nur Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein müssten. Wie Fahrverbotszonen, Auf- und Abstellstandorte und die Klärung der wichtigen Frage: Wie viele Tretroller verträgt welche Stadt?

Striktes Reglement schreckt viele Anbieter ab

Maike Schäfer, Bremens neue grüne Bürgermeisterin und Senatorin für Mobilität, profitiert von der abwartenden Haltung ihrer Verkehrsexperten, die schon bei der Einführung von Leihrädern mit Erfolg den Wildwuchs verhindert hat. Das Land Bremen hat die E-Scooter mit Hilfe des Landesstraßengesetzes strikt reglementiert.

Wie Leihräder fallen die Tretroller nicht unter den Gemeingebrauch, sondern gelten als Sondernutzung. Die Stadt kann pro Roller von den Verleihern eine Jahresgebühr verlangen und strenge Regeln für das Abstellen und Entfernen erlassen.

Die Folge: Bisher haben fünf Scooter-Anbieter in Deutschland zwar angefragt, aber dann abgesagt. Dabei sind die Bremer keineswegs gegen die E-Roller. Schon wegen der Touristen. 2020, so der Plan, soll ein Vertrag mit einem Anbieter geschlossen werden. Angesichts der vielen Regeln zeigt auch nur einer Interesse.

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Die Stadt Düsseldorf will dem Bremer Vorbild nacheifern. Sie wird ab 2020 eine Sondernutzungsgebühr pro Roller von 20 Euro pro Jahr erheben, Verbotszonen einführen, das Tempo in definierten Gebieten automatisch auf sechs Stundenkilometer drosseln.

Außerhalb von neuen Mobilitätsstationen dürfen im Straßenraum nicht mehr als fünf Roller auf einem Fleck stehen. Von Sondernutzungsgebühren ist in dem Memorandum mit den Anbietern allerdings keine Rede. Im Fall Bremen hat allein die Ankündigung dazu geführt, dass Verleihfirmen absprangen.

Köln wartet ab

Und was macht Köln? Abwarten. Das Verkehrsdezernat will spätestens im Oktober einen Erfahrungsbericht vorlegen. „Wir sammeln derzeit Erkenntnisse und werten sie aus“, sagte ein Stadtsprecher.

Zu den negativen Erfahrungen in dieser Woche zählten vier E-Scooter, die Unbekannte im Aachener Weiher versenkten. Der Betreiber, der sie dort geortet hatte, informierte das Ordnungsamt. Herausgefischt wurden sie von einer Freiwilligen-Initiative.

Das werde es in Zukunft nicht mehr geben, so der Stadtsprecher. Für die Kosten der Bergung müssten die Verleiher aufkommen. Die haben das in dem Memorandum zugesichert.

In Tel Aviv kam es bei Scootern zu Todesfällen

Die Warnungen kamen über Nacht: „Fahren auf dem Bürgersteig verboten! Strafe: 250 Schekel“. So stand es in riesigen Buchstaben auf dem Bürgersteig der Ben-Yehuda-Straße im Zentrum Tel Avivs. Und nicht nur hier. Fast ein Jahr nachdem der erste Scooter-Verleihdienst seine Dienste angeboten hatte, tauchten überall aufs Pflaster gemalte Botschaften auf. Man hatte beschlossen, dass es so nicht weitergeht, dass man Regeln braucht. Nun doch.In Israel wird das Verkehrsverhalten eher vom Bauch als von Paragrafen bestimmt und funktioniert trotzdem irgendwie. So war es auch diesmal gedacht: Statt lange im Voraus die Chancen und Gefahren der Scooter abzuwägen, wurden sie zugelassen und eroberten Tel Aviv im Handumdrehen. Junge Leute, flaches Land, eine herrliche Strandpromenade, Parkplatzmangel, kein öffentlicher Nahverkehr am Schabbat und religiösen Feiertagen – kein anderer Ort scheint so geeignet für ein Gefährt, das man am Straßenrand auflesen und überall abstellen kann.

Wagemutige Rollerfahrer schlängeln sich an Autos, Rädern, Passanten vorbei, Paare in Badebekleidung, eng umschlungen, an den Füßen Flipflops, in der Hand Smartphones, manchmal ein Surfbrett. Leih-Roller liegen am Straßenrand, auf Gehwegen oder werden ins Meer geworfen. Die Statistik – zu der auch E-Bikes gehören – zählt 19 Tote 2018, aber erst nach dem Tod eines Regisseur-Sohnes durch einen E-Bike-Unfall und der Kopfverletzung eines israelischen Models beim Scooter-Crash wurden im Januar Bußgelder eingeführt. Fahren mit Telefon in der Hand: 250 Euro, auf dem Bürgersteig: 60 Euro, mit Ohrknöpfen: 60 Euro.

In Tel Aviv wurden die E-Roller ohne jede Regel zugelassen.

9000 Strafzettel verteilte die Polizei in den ersten sechs Monaten dieses Jahres. Als das nicht half, wurden die Vorschriften ergänzt – Helmpflicht, Führerschein, Parken nur in vorgegebenen Zonen, zwei Meter von Bushaltestellen entfernt. Die Stadtverwaltung ließ die Gehwege beschriften und drohte den Mietfirmen mit Konsequenzen. Die Leihfirma „Bird“ verschickte Mails: Nur bei Einhaltung der Regeln werde die Mitgliedschaft fortgesetzt. Die wichtigste: Fahre nicht auf dem Bürgersteig!

Das ist jedoch leichter gesagt als getan. Denn in Tel Aviv gibt es kaum Radwege, und auf den Straßen zu fahren, ist nur am Schabbat eine Alternative, wenn die Autos stehengelassen werden. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Die Stadtverwaltung schiebt die Schuld auf die Autofahrerlobby. Die Rollerfahrer hoffen, dass die Polizei mit ihren Kontrollen nicht hinterherkommt oder nehmen eine Geldstrafe in Kauf. (Anja Reich)

Pariser Bürgermeister beklagt „Anarchie”

Einer kommt wie ein geölter Blitz um die Kurve gedüst, die Vorfahrt missachtend, ohne Helm auf dem Kopf. Ein anderer fährt in entgegengesetzter Richtung auf dem ohnehin schmalen Radweg, drängt die Entgegenkommenden ab. Jugendliche flitzen gern zu zweit auf einem E-Roller durch Paris.

Seit über einem Jahr überfluten diese die Stadt. Auf fast 15.000 schätzt das Rathaus ihre Zahl, die ein Dutzend Anbieter verteilt haben; mehr und mehr Nutzer kaufen sich auch ihren eigenen elektrisch angetriebenen Flitzer. Bis Jahresende könnten es 40.000 sein.

Ihre chaotische Anwendung hat immer wieder dramatische Folgen. Ein junger Mann starb, der nachts mit einem E-Roller auf einer Autobahn unterwegs war, als ein Motorradfahrer ihn umfuhr. Im Juni kam ein 25-Jähriger beim Zusammenstoß mit einem Lieferwagen ums Leben; im April überlebte ein Senior, der einen Zebrastreifen überquerte, den Unfall mit einem E-Roller nicht.

Die Pariser Bürgermeisterin spricht bei den E-Scootern von Anarchie.

Acht Städte in der Hauptstadtregion setzen die erlaubte Nutzung aus, bis im September ein nationales Gesetz in Kraft tritt. Unter anderem sieht es ein Tempolimit von 25 km/h vor, verbietet das Fahren auf Gehwegen und regelwidriges Parken.Einem Zusammenschluss von Opfern geht das nicht weit genug. Sie verlangen, die Betreiber dazu zu verpflichten, eine Datenbank über ihre Kunden zu führen, um diese identifizierbar zu machen. Außerdem müssten die E-Roller versichert werden, fordert unter anderem Jean-René Albertin, dessen Frau im Frühjahr in einem Park umgefahren wurde. Sie verletzte sich dabei so stark am Arm, dass sie bis nächstes Jahr ihren Beruf als Pianistin an der Pariser Oper aussetzen muss. „Es ist nicht hinnehmbar, dass bei Unfällen die Fahrer der E-Scooter fliehen, ohne Namen und Adresse zu hinterlassen“, so Albertin.

Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat bereits im Juni die „Anarchie“ auf den Straßen der Hauptstadt beklagt und Regeln verkündet. Demnach wird die Nutzung auf Bürgersteigen mit 135 Euro und das regelwidrige Abstellen mit 35 Euro bestraft. Bis Jahresende stellt das Rathaus 2500 Parkplätze für E-Roller bereit. Die Zahl der Verleihfirmen soll auf zwei oder drei begrenzt werden.

Der schnelle Erfolg der Gefährte erfordere in der Tat eine Reglementierung, räumte Arthur Louis-Jaquet ein, Direktor von Lime, einem der größten Vermieter. „In einem Jahr haben wir zwölf Millionen Nutzer in Paris bekommen.“ Man müsse eine Regelung finden, nach der die E-Roller weder mit Fußgängern ins Gehege kommen noch mit Bussen. (Birgit Holzer)