Kölner Astronaut im InterviewAlexander Gerst startet möglicherweise erneut ins All
Köln – Erstmals seit mehr als einem Jahrzehnt sucht die europäische Raumfahrtagentur Esa wieder neue Astronautinnen und Astronauten. Es gehe nicht um Supermänner und Superfrauen, sagt der als „Astro-Alex“ bekannte deutsche Astronaut Alexander Gerst im Interview. „Im Gegenteil. Es bringt nicht einmal etwas, wenn man ein besonderes Supertalent hat.“
Sie sind bei Ihrer Bewerbung 2008 nach eigenen Worten davon ausgegangen, dass Sie nicht genommen werden. Warum das?
Ich dachte, Astronauten müssten Supermänner sein - und mir war ja klar, ich hingegen bin nur ein Mensch (lacht). Außerdem kannte ich die Statistik. Da bewerben sich Tausende Menschen, ausgewählt werden aber nur vier bis sechs. Es wäre schon sehr überheblich, da zu denken: „Klar schaffe ich das“. Es geht vielmehr darum, seinem Traum eine faire Chance zu geben. Der Blick auf bisherige Raumfahrerinnen und Raumfahrer kann schon entmutigen, offenbar vor allem Frauen: 2008 war nur ein Sechstel der Bewerber weiblich. Das wollen wir ändern.
Zur Person
Alexander Gerst (44) hat in Karlsruhe Geophysik studiert und forschte in Neuseeland, der Antarktis sowie an der Universität Hamburg. Mit der Bewerbung bei der Europäischen Raumfahrtagentur Esa habe er „seinem größten Traum eine Chance geben wollen“, sagt Gerst.
Dort setzte sich der in Künzelsau in Baden-Württemberg geborene Gerst gegen mehr als 8400 Mitbewerber durch. Der Mann mit dem kahlgeschorenen Kopf flog 2014 und 2018 in den Weltraum.
Mit einer Quote?
Die Esa ist, auch rechtlich, ein Arbeitgeber mit Chancengleichheit. Wir können nicht einfach eine Quote einführen. Wir wollen jedoch sehr viel mehr Frauen zur Bewerbung ermutigen, um unser Team dadurch diverser zu machen. Ob jung oder alt, Mann oder Frau: Wir können es uns schlicht nicht leisten, nur einseitige Crews zu fliegen. Bei meinen Missionen im All habe ich die Unterschiede der einzelnen Crewmitglieder als sehr positiv erlebt. Es geht dabei nicht nur um Repräsentanz - ich bin nicht als „der Mann“ geflogen, und meine Kolleginnen auf der ISS waren nicht „die Frauen“. Das wäre eine falsche Denkweise. Es geht um Vielfalt in Erfahrungen und Persönlichkeiten. Unterschiede machen ein Team besser.
Wer ist der ideale Bewerber oder die ideale Bewerberin?
Es mag komisch klingen, aber ein Bewerber oder eine Bewerberin mit durchschnittlichen Fähigkeiten in allen wichtigen Bereichen ist oft der beste Kandidat. Es geht nicht darum, bereits alles zu wissen oder zu können, sondern darum, wie schnell man sich Neues aneignen kann. Jeder von uns hat in diesem Job neu angefangen. Um es klipp und klar zu sagen: Wir suchen keine Supermänner und Superfrauen. Im Gegenteil. Es bringt nicht einmal etwas, wenn man ein besonderes Supertalent hat. Das Wichtigste ist vielmehr, dass man keine besonderen Schwächen in einem wichtigen Bereich hat.
Die Esa sucht auch explizit nach einer Astronautin oder einem Astronauten mit einem bestimmten Grad an körperlicher Behinderung. Was ist der Hintergrund dieses Programms namens „Parastronaut“?
Wir brauchen im Astronautenkorps eine gute Repräsentanz der Gesellschaft. Es geht nicht darum, Menschen mit Behinderungen einen Gefallen zu tun. Sondern dass wir Diversität als Chance sehen. Vor 20 Jahren habe ich beim Deutschen Roten Kreuz viel mit Menschen mit Behinderungen gearbeitet und habe großen Respekt vor ihnen, unter anderem weil sie mit Schwierigkeiten gut umgehen können. Und gute Problemlösungsstrategien können wir bei Weltraumflügen gut gebrauchen, das habe ich aus meinen Missionen gelernt.
Keiner von uns ist für das Leben in der Schwerelosigkeit gebaut. Auch Menschen mit gesunden Füßen haben dort ihre Nachteile. Warum sollte man dann nicht Menschen mitnehmen, die dieses Gefühl von der Erde kennen und damit besser umgehen können? Wo diese Grenze ist, wissen wir nicht. Aber wir wollen mit offenem Ausgang suchen, wo sie liegen könnte. Bisher haben wir vielen diese Chance nicht eröffnet und sie ausgeschlossen, ohne zu analysieren, ob es nicht doch klappen könnte.
2022 startet ein europäischer Astronaut zum Erkundungsflug Richtung Mond. Die Raumschiffe werden gerade gebaut. Sind Sie dabei?
Ein faszinierendes Abenteuer. Aber noch ist nicht klar, wer mitfliegt. Alle erfahrenen Astronauten und Astronautinnen im europäischen Korps sind dafür prädestiniert, und ich stehe weiter für Missionen zur Verfügung. Als Astronaut will ich natürlich fliegen, das ist mein Beruf.
Sie waren zwei Mal auf der Internationalen Raumstation. Man liest, dass die ISS vor dem Ausmustern steht. Wie ist der Zustand?
Man muss unterscheiden. Es gibt ältere und neuere Module. Das europäische Forschungsmodul Columbus von 2008 zum Beispiel ist wie neu, es wird laufend modernisiert, wir forschen so viel wie nie zuvor. Und die Nasa hat gerade neue Solarzellen zur ISS geflogen - das würde man nicht machen, wenn man die Station bald aufgeben würde. Da sind viele Missverständnisse im Umlauf. Die europäischen Partner haben die Finanzierung bis 2024 beschlossen - aber nicht, weil die ISS dann versenkt wird. Sondern weil die Finanzierung immer für drei Jahre beschlossen wird. Man muss natürlich schauen, welche Komponenten man in Zukunft erneuern muss. Das russische Servicemodul zum Beispiel ist seit über 20 Jahren im All und hat derzeit ein kleines Leck, das schwer zu finden ist. Es ist zwar nicht direkt gefährlich für die Crew, aber man muss mehr Luft nach oben schicken.
Was vermissen Sie am meisten - den Blick aus 400 Kilometern?
Nicht nur den Blick, sondern auch die Perspektive. Der Blick richtet sich auf unseren blauen Planeten. Aber die Perspektive umfasst auch das Bewusstsein, wo ich bin. Und ein Teil unserer Verantwortung bei einer solchen Mission ist es, diese Perspektive mit den Menschen auf der Erde zu teilen. Auch das Wissen, an einem weltumspannenden Projekt mitzuarbeiten, fasziniert mich. Die ISS hat Krisen überdauert und inspiriert Menschen zum Träumen. Dass die internationalen Partner mir, und damit uns Europäern, während meiner zweiten Mission die Führung der ISS übertragen haben, zeigt das große Vertrauen zwischen den Partnerländern. Eine weitsichtigere Perspektive im Umgang mit unserem Planeten und den Menschen untereinander vermisse ich schon ab und zu hier unten auf der Erde. (dpa)