Lara Croft ist eine der umstrittensten Figuren der Gaming-Welt. Der enorme Wandel des Charakters zeigt, wofür sie wirklich beliebt ist.
„Tomb Raider“-SpielfigurIst Lara Croft eine feministische Heldin oder sexistische Männerfantasie?
Sie ist die tapferste Archäologin der Welt. Das perfekte weibliche Pendant zu Indiana Jones. Die Heldin in einer Branche, von der man lange dachte, sie würde nur Jungs interessieren. Und Lara Croft ist seit Neuestem vor allem eines: die ikonischste Videospielfigur aller Zeiten. Das entschied die Jury für die Games Awards der Bafta, die Akademie, die auch die bedeutendsten britischen Filmpreise verleiht.
Lara Croft hatte mit Figuren wie Mario, Sonic und Pac-Man viel und vor allem männliche Konkurrenz. Doch ihr Titel ergibt Sinn – denn wer sie nicht aus Videospielen der „Tomb Raider“-Reihe kennt, wird wahrscheinlich ganz sicher schon von ihren Filmen gehört haben.
Warum Lara Croft so beliebt ist, hat viele offensichtliche Gründe. Sie ist stark, intelligent, mutig und schreckt vor keinem Abenteuer zurück. Ihr trockener britischer Humor in Kombination mit ihrem taffen Auftreten machen sie sympathisch. Die „Tomb-Raider“-Spiele waren aus Sicht von Gamerinnen und Gamer sowie Kritikerinnen und Kritikern ein voller Erfolg.
Es fühlt sich für viele einfach toll an, mit Lara Croft gefährliche Tiger zu besiegen, jedes Hindernis zu überwinden und einen Parkour durch Minen zu absolvieren. Mit Lara Croft bewies ihr Erfinder Toby Gard, dass eine Videospielfigur nicht männlich sein muss, damit auch Jungen und Männer das entsprechende Game kaufen. Das alles müsste Lara Croft zur feministischen Ikone schlechthin machen. Oder?
Große Brüste, schlanke Taille: War sie eine sexistische Männerfantasie?
Darüber diskutieren Menschen, Medien, aber auch die Wissenschaft seit nunmehr fast drei Jahrzehnten. „Ist Lara eine feministische Ikone oder eine sexistische Fantasie?“, fragte schon 1997 das britisches Kultur- und Lifestylemagazin, „The Face“, ihren Erfinder Toby Gard. Zu seiner Antwort kommen wir später. Viel dringender ist die Frage, warum man bei einer beliebten Frau wie Lara Croft überhaupt so viel über diese Frage redet.
Die Antwort liefert vor allem die Tatsache, wie stark sich der Charakter über die Jahre verändert hat. Und zwar so sehr, wie keine andere der 20 Figuren, die es auf die Bafta-Liste geschafft hat. Damit ist nicht etwa gemeint, dass Lara Croft älter geworden ist oder über die Jahre dank besserer Grafik detailreicher aussieht. Es ist ihre äußerliche Darstellung, die sich seit ihrem ersten Auftritt im Jahr 1996 im Wandel befindet.
Trotz der verpixelten Grafik konnte man in den ersten „Tomb Raider“-Spielen deutlich ihre großen Brüste, dazu ihre übertrieben schlanke Taille sehen. Ihr Outfit? Natürlich bauchfrei und mit kurzer, enger Hose. In jüngeren Adaptionen trägt Lara Croft eine lange, lockere Hose. Ihre Taille ist breiter, ihre Oberweite kleiner geworden.
Keine Seltenheit: Sexualisierte weibliche Videospielfiguren
Dieser Wandel zeigt, dass selbst Entwickler Eidos ein Problem in Lara Crofts Darstellung gesehen hat. Croft hatte in ihrer Anfangszeit alles, was eine männliche sexuelle Fantasie vermeintlich ausmacht: einen sexualisierten Oberkörper, kurze Klamotten, eine hauchende Stimme.
Als Anfang der 2000er eine Reihe an Fan-Versionen der „Tomb-Raider“-Spiele im Internet kursierten, fühlten sich Kritikerinnen und Kritiker in ihrer Ansicht bestätigt, Lara Croft sei eine digitalisierte Männerfantasie. Ein „Cyberbabe“, das in den Träumen von Männern geboren und in ein Videospiel platziert wurde. Als „Oberstabsfeldwebel, der Ballons in sein Hemd gestopft hat“, urteilte etwa die australische Feministin und Autorin Germaine Greer.
Greer hatte für Popkulturfiguren wie Lara Croft nie etwas übrig, wie sie in ihrem 1999 erschienenen Buch „The Whole Woman“ allen Leserinnen und Lesern zu verstehen gibt. Aus ihrer Sicht hat Lara Croft ähnlich wie Barbie-Puppen dazu beigetragen, dass künstliche und unrealistische Ideale von Weiblichkeit reproduziert wurden. „Was auch immer diese Charaktere sein sollen, sie sind keine echten Frauen“, schrieb sie.
Croft ist dabei längst nicht das einzige Beispiel von stark sexualisierten weiblichen Videospielcharakteren. Die Figur Quiet läuft in den Games der „Metal Gear“-Reihe etwa stets im Bikini herum, weil sie von einem Parasiten befallen ist und über ihre Haut atmen muss. Ihr männlicher Kollege trägt dagegen einen Ganzkörper-Militäranzug, obwohl er den Parasiten auch in sich trägt. Vor allem in Fighting-Games sind Frauen zudem oft in knapper Kleidung und mit großen Brüsten dargestellt. Etwa Christie Montiero in „Tekken“ oder Sonja Blade in „Mortal Kombat“.
Gezieltes Marketing: Lara Croft sollte Sex-Appeal haben
Feministische Forschende sind daher teils zögerlich, Lara Croft als „Strong Female Charakter“, einen starken weiblichen Charakter zu bezeichnen. Vor allem in den 2000er-Jahren, als ein „Tomb-Raider“-Teil den nächsten jagte und Angelina Jolie die Figur in zwei Filmen spielte, stellten sie sich zunehmend eine zentrale Frage: Wäre Lara Croft je so berühmt geworden, wenn sie längere Klamotten und einen anderen Körper gehabt hätte?
Lara-Croft-Erfinder Toby Gard machte 1997 jedenfalls keinen Hehl daraus, wie er auf sie blickt. „Weder noch und ein bisschen von beidem“, antwortete er auf die Frage von „The Face“, ob Croft eine feministische Ikone oder sexistische Fantasie sei. Croft sei eine taffe, selbstständige und intelligente Frau. „Sie widerlegt alle sexistischen Klischees, bis auf die Tatsache, dass sie eine unglaubliche Figur hat. Starke, unabhängige Frauen sind die perfekten Fantasy-Girls – das Unantastbare ist immer das Begehrteste“, sagte Gard.
Die große Diskussion um Lara Crofts Brüste
Lara Croft sollte begehrt werden – allen voran von Männern. Um Werbung für das zweite Spiel der Reihe zu machen, veröffentlichte Entwickler Eidos 1997 eine Werbekampagne namens „Wo die Jungs sind“. Ein Werbespot zeigte Orte, in denen sich meist Männer aufhalten: ein Sportstadium, ein Basketball-Spielfeld, ein Stripclub.
Sie sind im Video wie leergefegt, denn die Männer spielen alle zu Hause den zweiten Teil von „Tomb Raider“. Ironischerweise wurden Lara Crofts Brüste in diesem Teil noch größer – nach Aussage eines Eidos-Mitarbeiters sei das ein Programmierfehler gewesen. Behoben wurde er vor der Veröffentlichung jedoch nicht.
Es ist egal, welche wissenschaftliche und journalistische Diskussionen man sich zur kulturellen Bedeutung von Lara Croft anschaut: Die Größe ihrer Brust ist immer ein Teil dieser Diskussionen. Boulevard-Zeitungen hatten Ende der 90er-Jahre ganze Listen von Schauspielerinnen erstellt, die ihnen zufolge aufgrund ihrer BH-Größe für die Rolle von Croft infrage kämen. Angelina Jolie, die die Rolle schließlich bekam, wurde vom „Variety“-Magazin sogar auf die Tatsache angesprochen, dass sie kleinere Brüste als Croft in den Videospielen habe.
Lara Croft in „Tomb Raider“: Spielfigur ist mehr als ihr Körper
Es wäre vor diesem Hintergrund naiv zu denken, dass Lara Crofts sexualisierter Körper keine Rolle für den Erfolg der Tomb-Raider-Reihe gespielt hat. Gleichzeitig würde dies als alleinige Erklärung jedoch viel zu kurz greifen. Zumal „Tomb Raider“ nicht das einzige Videospiel ist, indem Frauen sexualisiert dargestellt werden.
Tatsächlich zeigte eine 2016 veröffentlichte Studie, dass die Sexualisierung von Frauen in Videospielen 1995 – und damit im Jahr vor der Ersterscheinung von „Tomb Raider“ – einen Höhepunkt erreicht hatte. Aber Millionen Gamerinnen und Gamer entschieden sich für „Tomb Raider“. Denn wie Gard es schon richtig erfasst hat: Croft ist eben so viel mehr als ihr Körper.
„Lara Croft war eine autonome, hochintelligente Frau, und damit eine außerordentliche Repräsentation von Female Empowerment“, argumentierte Zoë Dales. Das schrieb sie 2021 in einem wissenschaftlichen Essay für das akademische Journal der Queen Mary University of London. Vor „Tomb Raider“ seien Protagonistinnen in Videospielen oft das Gegenteil gewesen, nämlich unterwürfig und süß.
Aber Lara Croft ist anders: Sie ist eine ausgezeichnete Schützin, Archäologin und Motorradfahrerin. In einem Spiel besiegte sie sogar Bigfoot. Für Dales ist sie damit eindeutig eine feministische Ikone – zumindest innerhalb der Videospiele. Das Marketing habe ihr Image in der Öffentlichkeit verzerrt: „Statt als revolutionäre feministische Ikone gesehen und gefeiert zu werden, wurden Lara Crofts Charakter und Fähigkeiten auf ihr Aussehen und auf den Profit reduziert, den man mit ihrem Körper machen konnte“, schrieb sie.
Lara Croft: Eine Figur im ständigen Wandel
Maja Mikula hielt schon 2003 in einer wissenschaftlichen Arbeit fest: Wer Lara Croft ist, hängt von denen ab, die am meisten ihre Darstellung bestimmen. Toby Gard verließ das Entwicklerstudio bereits nach dem ersten Teil von „Tomb Raider“ – in den darauffolgenden Games sei Crofts Sexappeal laut der Kommunikationsforscherin der Nottingham Trent University stärker geworden.
Auch Fans konnten Croft mit selbstgemachten, inoffiziellen Spielversionen weiter sexualisieren – oder aber ganz anders darstellen: etwa als schwangere Frau oder in traditionellen Kostümen verschiedener Kulturen. Das tat laut Mikula eine Gruppe von Feministinnen 2000 in Hamburg, als sie öffentlich eine Pappfigur von Lara Croft entsprechend vielseitig kleideten. Sprich: Lara Croft ist eben das, was Menschen aus ihr machen.
Wichtig zu wissen ist, dass sich Mikula 2003 und damit lange vor dem Reboot von „Tomb Raider“ im Jahr 2013 mit der Diskussion auseinandersetzte. Sie wusste nicht, wie sehr sich Lara Croft noch verändern würde – auch über ihr Äußeres hinaus.
„Lara Croft hat sich darüber hinaus von einer typisierten, zweidimensionalen Figur in einen komplexen, emotionalen Charakter verwandelt“, schreibt die Videospielforscherin Janine Engelbrecht in einer Arbeit für das Fachjournal „International Journal of Computer Game Research“. Das zeige sich unter anderem an der Beziehung zu ihrer verstorbenen Mutter, die im zweiten Teil der Trilogie thematisiert wird. Engelbrecht spricht folglich von einer „alten“ und „neuen“ Lara Croft – von zwei Versionen, die für verschiedene Arten von weiblichem Heldentum stehen.
„Croft ist ein Beispiel für ideale weibliche Repräsentation“
Die Geschichte von Lara Croft ist eine von Widersprüchen. Ihre Sexualisierung war ein großer Bestandteil des Marketings der ersten „Tomb Raider“-Games – und gleichzeitig räumt ihr Charakter mit sexistischen Klischees über Frauen auf. Sie ist eine überaus talentierte Frau, wurde aber lange Zeit auf ihr Äußeres reduziert. Eine feministische Ikone überschattet von einer sexuellen Fantasie. Croft sei „alles, was schlecht an der Repräsentation von Frauen in der Kultur ist, und alles, was gut ist“, schrieb Mikula 2003.
Womöglich würde die Forscherin in einer heutigen wissenschaftlichen Arbeit aber auch das Positive erkennen, das aus dem Schlechten entstanden sein könnte. Bei der jahrzehntelangen Diskussion über Lara Croft und der Größe ihrer Brüste sei es hilfreich zu wissen, schrieb „Vox“-Autorin Aja Romano 2018 in einem Essay, dass sie „mehr dazu beigetragen hat, systematische sexuelle Objektifizierung einzudämmen als sie aufrechtzuerhalten.“
Es wäre zumindest eine mögliche Erklärung dafür, warum sich Eidos in der jüngeren Trilogie dazu entschied, ihre Darstellung zu ändern. Croft ist inzwischen weniger sexualisiert, aber nicht weniger taff. Es ist genau dieser Wandel, der beweist: Lara Croft war niemals nur wegen ihres früheren sexualisierten Körpers beliebt, sondern, weil sie einfach cool ist.
Denn auch ihre jüngsten drei Videospiele waren Verkaufsschlager – und zwar bei allen Geschlechtern. „Wie problematisch sie auch sein mag: Lara Croft ist auch ein Beispiel für ideale weibliche Repräsentation“, schrieb Lydia McInnes 2016 im Fachjournal „Interdisciplinary Studies“. Vor allem sei ihr Wandel ein Beispiel dafür, wie sich die traditionell von Männern dominierte Gamingindustrie verändern kann.