Mallorca boomt: 2023 kommen wohl so viele Urlauber wie noch nie. Und mit ihnen die feierfreudigen Deutschen. Doch der Ballermann verändert sich immer mehr.
„Man fühlt sich nicht mehr gewollt“Ende der Party-Ära? Die Stimmung auf Mallorca kippt
Peter Wackel rauscht in eine Eckbar in der Schinkenstraße, setzt sich auf einen schwarzen Barhocker und bestellt auf Spanisch zwei Cervezas. Berichtet, dass er gerade aus Namibia kommt, Karneval feiern in Windhoek und „Giraffen streicheln“, jetzt ist er schon wieder am Ballermann, in einer Stunde soll er nebenan im „Bierkönig“ mit neuer Hymne auftreten, die ersten Fans tauchen bereits hinter ihm auf und dann ruft plötzlich dieser Radiosender an.
„Wir sind jetzt live?“, ruft Wackel ins Telefon. Wechsel in den Ballermannstarmodus: „Es wird eine Wahnsinnssaison, es ist Anfang April, und schon so voll hier. Ein Wahnsinnssommer auf der schönsten Insel der Welt.“
Sein Bodyguard holt ihn ab, sie bahnen sich einen Weg durch den Bierkönig, Wackel macht Selfies, schnell klebt der erste rote Kussmund auf seiner Wange, der DJ nimmt das Mikro und ruft „Frohes Neues Jahr!“; auf dem Weg zur Bühne wird die Traube um Wackel größer und größer, bald tritt er auf das Holzpodest und stimmt seinen ersten Hit an: „Wo war ich in der Nacht … – … von Freiiitag auf Mooontag“, grölt es aus Hunderten Kehlen zurück, Arme in die Luft, endlich wieder Malle.
Eine Zukunft ohne Promilletourismus
Ein Abend in Peter-Wackel-Geschwindigkeit lässt das Deutschlandtempo erblassen. Peter Wackel, 46, Hawaiihemd, zerschlissene Jeans, strahlendes Lächeln, tritt seit 26 Jahren an der Playa de Palma auf. Sein größter Hit steht für ein deutsches Lebensgefühl: „Scheiß drauf! Malle ist nur einmal im Jahr“.
Wenn Wackel Spaß hat, wie hier im Bierkönig, einer Mischung aus Riesenfestzelt und rustikaler Gastwirtschaft, fließt das Bier, geht es der Party-Playa gut. Nach zwei darbenden Jahren mit geschlossenen Feiertempeln oder Maskenpflicht auf Bierbänken, kann seit dem vergangenen Jahr wieder getrunken und getanzt werden wie immer. Doch ist wirklich alles so wie früher?
Seit Jahren verschärft die balearische Regierung die Regeln gegen den deutschen Suffbesuch, Mallorca will nachhaltiger werden, mehr gehobenen Tourismus, besser zahlende Klientel. Auf der Insel sagen einige, Corona habe für diese Entwicklung wie ein Katalysator gewirkt. Natürlich haben sie hier wirtschaftlich schwer gelitten. Aber die Insel kam ohne die Partytrupps auch zur Ruhe. Man könnte auch sagen: Mallorca versucht sich neu zu erfinden, um nicht mehr auf die deutschen Ballermänner angewiesen zu sein.
Ist der Promilletourismus noch zeitgemäß? Hat der Ballermann eine Zukunft – und wenn ja, welche? Darüber wird derzeit heftig gerungen – unter Spaniern und Deutschen, Hoteliers, Trinkkumpeln, Gastronomen. Erkundungen in einem deutschen Partyexil im Selbstfindungsprozess.
Prominent dank „Suffgeschwader“
Einer, der das klassische Mallorca-Bild verkörpert, den Exzess, arbeitet in Hamburg als Meteorologe an den Landungsbrücken. An der Playa de Palma ist Jürgen, 43, als Mitglied vom „Suffgeschwader“ unterwegs. Und damit eine lokale Berühmtheit. Eben an der Strandpromenade wollte jemand ein Foto mit ihm in seinem gelb-schwarzen Gruppen-T-Shirt machen. Die Feiertruppe von 30 Leuten, 2002 gegründet, Aufnahme nur nach Probezeit, ist eine Institution auf der Insel. Mit ihren Shirts und Fahnen prägen sie das Bild des feierwütigen Deutschen. „Andere fahren nur zum Saufen her“, sagt Jürgen. „Wir halt eher mit Stil.“
Er guckt mit seiner schwarzen Sonnenbrille in den Himmel – nicht das Wetter, die Spitzen der Palmenblätter interessieren ihn. „Die sind dieses Jahr ganz braun, das war in den letzten Jahren anders.“
Jürgen, inzwischen zweifacher Familienvater, kennt den Ballermann seit Ende der 1990er-Jahre, als der deutsche Proletenfilm „Ballerman Sechs“ für eine deutsche Urlauberschwemme und volle Sangriaeimer sorgte. Er kann erzählen, was sich alles verändert hat.
„Exzessgesetz“ soll Eskapaden eindämmen
Die Promenade zum Beispiel, die Büsche sind gepflegt geschnitten, im Sand findet man kaum noch Müll, auf den Spielplätzen liegen keine Kondome mehr. An den Stränden feierten sie früher Partys, tranken aus Strohhalmhüten, morgens um zehn gab es Freibier, rauchen überall möglich, in die Clubs ging es oberkörperfrei.
Alles verboten worden in den vergangenen Jahren. Schinken- und Bierstraße gelten inzwischen als Sonderzonen, in denen das Trinken auf der Straße und schon die Werbung für Alkohol untersagt sind. Die letzten Verschärfungen traten zum 1. April in Kraft. Doch Anwohner beklagen zu wenig Kontrollen, sie starten Petitionen gegen die Lärmbelästigung und laden auf Twitter Bilder von demolierten Straßenschildern und weggeworfenen Bierdosen hoch.
„Wenn man feiern will, kann man es noch machen“, sagt Jürgen. „Das Unbeschwerte fehlt ein bisschen. Man fühlt sich mitunter nicht mehr gewollt.“
Und dann ist da ein Trend, den er noch für viel gefährlicher hält: Alles wird teurer. Einst gab es die 1,99-Euro-Kampfreise von Ryanair, ein Zimmer bekam man schon für 15 Euro mit Frühstück. „Das ganze Wochenende für 40 Euro. Jetzt zahlt man 400 Euro.“ Jürgen sieht mehr „Luxusecken“ an der Playa; cremeweiße Beachclubs, Vier-Sterne-Hotels. „Wo sollen der normale Mann und die normale Frau hinfahren? Mallorca war nun mal immer billiger.“
Eine Insel auf Rekordkurs
Trotzdem zählte Mallorca im vergangenen Jahr 43 Millionen Übernachtungen, so viele wie nie zuvor. 2023 soll ein weiteres Rekordjahr werden. Die Insel kann es sich deshalb leisten, künftig selektiver vorzugehen: Bis 2026 dürfen keine neuen Gästebetten entstehen, zudem sollen alle Hotels eine umweltfreundliche Kreislaufwirtschaft verfolgen und ihre Betten durch höhenverstellbare Modelle ersetzen, um die Rücken der Zimmermädchen zu entlasten. Und seit 2022 dürfen täglich nur noch drei statt acht Kreuzfahrtschiffe anlegen.
Mallorca will ein sauberes, grünes Urlaubsziel werden. Qualität statt Quantität fordert der Tourismusminister. Und sagt, es sei nicht mehr nötig, 16 Millionen Gäste zu empfangen, „wenn wir genauso gut mit 80 Prozent der Touristenzahlen die gleichen Einnahmen erreichen“. Allein 2023 eröffnen auf der Insel drei Fünf-Sterne-Hotels.
Es gibt jemandem am berüchtigten Strandabschnitt Balneario 6, der Keimzelle des Billig- und Sauftourismus, dem diese Entwicklung wunderbar passt. Sein Restaurant hat pflanzenverkleidete Wände, das Essen wird teils auf goldenen Etageren gereicht. Auf der Karte: Caesar Salad für 20 Euro, „Formentera Hummer“ für 56 Euro. Im „Chalet Siena“ trinkt man eher Aperol als Bier.
Luxusinitiative will keine „Monokultur“
Juan Ferrer träumt davon, dass die Playa de Palma in einem Atemzug genannt wird mit Miami Beach oder Venice Beach. Er orientiert sich an Tel Aviv, Cannes, Mykonos. Ferrer, 52, siebenfacher Restaurantbesitzer, hat 2016 die Initiative „Palma Beach“ gegründet. Mitglieder sind unter anderem Vier- bis Fünf-Sterne-Hotels, Yacht-, Golf- und Beachclubs, Restaurants mit japanischer Fusionküche. Ihr Ziel: ein neues Image für das Strandviertel, gut betuchte Urlauber, höhere Umsätze.
„Wir werden nur durch Qualität eine Chance haben, zu überleben“, sagt Ferrer. Gegen wen sich seine Initiative richtet, ist klar. Im vergangenen Sommer, dem ersten nach Corona, berief er extra eine Pressekonferenz ein, um sich über das „alte Feierpublikum“ am Ballermann zu beschweren: „Sie kommen gegen 10 Uhr morgens in den Hotels an, und um 14 Uhr können sie nicht mehr gehen.“
Ferrer sagt, die Playa sei nicht „monokultiv“, nicht nur der Ballermann. Die Partyzone solle nicht ganz verschwinden, sondern ein „Phänomen“, eine „Attraktion“ sein, zu der man mal einen Abend hingehe, aber nicht mehr in Peter-Wackel-Manier die Nacht von Freitag auf Montag verbringt. „Dann gibt‘s einen kleinen Kater, und danach genieße ich das Leben hier.“
Er nennt das Konzept auch Ballermann 2.0. Seine Initiative ist von zwei Unternehmen auf über 50 angewachsen. „Wir marschieren weiter“, sagt Ferrer. Es klingt wie eine Kampfansage.
Freisein am Ballermann
Der Ballermann so wie die Deutschen ihn kennen, mutiert in Ferrers Vision zu einer Art lebendigem Freilichtmuseum. Schon heute wirken Läden wie das „Deutsche Eck“ oder das „Bielefelder Pilsstübchen“ aus der Zeit gefallen, mit Kneipennamen, die nach 80er-Jahre-Ruhrpott klingen, und Speisekarten, auf denen „Sauerbraten mit Klößen und Apfelrotkohl“ angepriesen wird. Malle war schon immer etwas entrückt, mental und geografisch, das 17. Bundesland im Mittelmeer.
Partygruppen wie das „Suffgeschwader“ oder die „Malle Schlauch Kombo“ meiden die Läden von Ferrers Initiative konsequent, und werfen ihm vor, Mallorca zu einem zweiten Ibiza machen zu wollen. Zwei-Sterne-Hotels, deren Zimmer Ferrer am liebsten in Wohnungen umwandeln möchte, sprechen von einer Marketingkampagne. Die deutsche Wirtin Gerlinde Weininger, Chefin vom mallorquinischen „Münchner Kindl“, sagt gar: „Die Idee von Mallorca steht auf dem Spiel.“
Direktflüge aus New York
Ferrers „Palma Beach“ sei nicht verkehrt, sagt Weininger. „Aber ich bin immer der Meinung, dass jeder die Chance haben sollte, nach Mallorca zu kommen – nicht nur die Elite. Mallorca sollte frei bleiben für alle.“
Für kleinere und mittelgroße Läden ist das Geschäft härter geworden, sie zahlen das Dreifache an Strom, finden kaum Zimmer für ihre Mitarbeiter. Sie sind das Refugium für Jungsgruppen in Flamingoanzügen, Rentner in karierten Hemden, der Golfergattin in Dreiviertelhose. Der Ballermann ist immer noch ein großer gesellschaftlicher Gleichmacher. Wo gibt es das in Deutschland noch?
Und wird das so bleiben, wenn alles sauberer, teurer, gesitteter wird? In der vergangenen Saison wurden die Parkplätze für Privatjets knapp, seit 2022 gibt es Direktflüge aus New York nach Palma. Aber gehen Amis zu Peter Wackel in den Bierkönig?
3-Euro-Bratwurst und 50-Euro-Steak
Nach seinem Auftritt am Ostersamstag steht Peter Wackel noch einige Stunden an einem Holztisch und empfängt Fans. „Die Show war Bombe“, sagt er. Jetzt, die Zeit danach, das Meet and greet, sei aber noch wichtiger als der Auftritt. „Ein Mann zum Anfassen“, so bezeichnet er sich selbst.
Zum neuen Kulturkampf an der Playa sagt Wackel, er habe ü40-Freunde, die sich nun in Fünf-Sterne-Hotels einbuchten. „Die geben mehr Geld aus, wollen trotzdem Party.“ 3-Euro-Bratwurst und 50-Euro-Steak, das müsse es beides geben. „Die Vielfalt macht's“. Seit vier Jahren ist er Markenbotschafter von „Palma Beach“.