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Fall Luise in FreudenbergKinderpsychiaterin sieht große Gefahr von Mobbing – und nimmt Lehrkräfte in Pflicht

Lesezeit 4 Minuten
Luises Schule in Freudenberg: Vor dem Gebäude liegen Kerzen und Blumen in Gedenken an die getötete Zwölfjährige.

Luises Schule in Freudenberg: Vor dem Gebäude liegen Kerzen und Blumen in Gedenken an die getötete Zwölfjährige.

Der gewaltsame Tod der zwölfjährigen Luise hat viele Menschen in Deutschland bewegt und geschockt. Was lässt sich gegen Gewalt unter Kindern unternehmen?

Der gewaltsame Tod der zwölfjährigen Luise in Freudenberg ist für eine Kinderpsychiaterin der Berliner Charité ein Anlass, um allgemein über Gewaltprävention an Schulen zu sprechen. Es gebe grundsätzlich ein großes Problem von körperlicher und emotionaler Gewalt an Schulen in Deutschland, auch in Form von Mobbing, sagte Sibylle Winter, Leiterin der Kinderschutz- und Traumaambulanz des Uniklinikums. „Das ist beunruhigend.“

Sie bezog sich dabei nicht konkret auf den Fall Luise. Die Ermittler halten sich diesbezüglich mit Angaben zu den Hintergründen äußerst bedeckt, weil die beiden mutmaßlichen Täterinnen erst 12 und 13 Jahre alt und somit strafunmündig sind. Sie hatten gestanden, die Zwölfjährige am 11. März in einem Wald an der Grenze von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen erstochen zu haben.

Gewalttätige Kinder: Präventionsarbeit ist auch Teil der Schule

An Schulen werde sehr viel Präventionsarbeit gebraucht - aber die Frage sei natürlich, wie das geleistet werden könne, sagte Winter. „Schulen sind seit 2020 auch verpflichtet, ein Schutzkonzept zu entwickeln, bei dem Vorbeugung ein Bestandteil ist.“ Wichtig sei, dass Warnsignale von Erwachsenen erkannt würden.

„Dass schwere Gewalttaten unter Kindern oder Jugendlichen aus dem Nichts passieren, ist schwer vorstellbar. Die Wahrscheinlichkeit ist viel größer, dass es schon länger Schwierigkeiten gibt.“ Gerade in Fällen von Mobbing brauchten Opfer Unterstützung von außen, wenn die Dynamik erst einmal eine gewisse Geschwindigkeit aufgenommen habe, sagte Winter allgemein über das Phänomen. „Sonst gibt es für das Kind kein Entrinnen mehr.“

Kinderpsychiaterin sieht Lehrkräfte bei Mobbing-Fällen in der Pflicht

Die Kinderpsychiaterin sieht hier insbesondere Lehrkräfte in der Pflicht, da Eltern Vorfälle in der Schule oft nicht mitbekämen. „Mobbing sollte grundsätzlich ein Thema im Unterricht sein. Es muss darüber gesprochen werden, dass nicht nur der Mobber und das Opfer beteiligt sind. Sondern es gibt viele, viele Zuschauer, die sehr wesentlich sind, weil sie das Geschehen sozusagen bekräftigen.“

Um die Dynamiken beim Mobbing zu stoppen, gelte es, den Beobachtern klar zu machen, dass auch sie eine Rolle hätten und Verantwortung trügen. „Es muss auch klar gesagt werden, dass ein Opfer das Recht hat, nein zu sagen und dass es richtig ist, sich Hilfe zu holen. Das wird ja oft als Petzen oder Zeichen der Schwäche abgetan.“

Einsatz in Freudenberg: Polizistinnen und Polizisten bei der Suche nach Spuren, das Foto wurde am 14. März aufgenommen.

Einsatz in Freudenberg: Polizistinnen und Polizisten bei der Suche nach Spuren, das Foto wurde am 14. März aufgenommen.

Letztlich könne das auch dem Täter helfen: „Dem Täter geht es in der Regel ja auch nicht gut. Mobbing kann eine Bewältigungsstrategie bei geringem Selbstwert sein. Oder wenn man gelernt hat, dass Aggression zum Ziel führt. Oder auch eine Form der psychischen Auffälligkeit.“

Kinderpsychiaterin zu Gewalt unter Kindern: „Aggressive Verhaltensweisen werden häufig bagatellisiert“

Winter plädiert unabhängig vom Fall Luise dafür, früher als bisher mit fachlicher Unterstützung gegenzusteuern, wenn Kinder etwa mit aggressivem Verhalten auffallen. „Aggressive Verhaltensweisen starten früh und werden im Kindesalter häufig bagatellisiert. Bisher tun sich alle sehr schwer damit, es beim Kinderpsychiater abklären zu lassen, wenn sich zum Beispiel ein Kind in der Kita aggressiv verhält. Dabei würden Eltern bei jeder anderen Erkrankung auch einen Arzt aufsuchen.“

Das Thema sei immer noch mit einem Stigma verbunden. „Dabei muss man sich klarmachen: Bei psychischen Störungen liegt eine Erkrankung eines Organs vor: des Gehirns. Wenn jemand impulsiv und aggressiv ist, arbeiten bestimmte Bereiche im Gehirn nicht wirklich gut zusammen“, sagte Winter. Je früher ein betroffenes Kind Hilfe bekomme, desto besser seien seine Chancen für die Zukunft.

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Je nach Schwere und Häufigkeit von Vorfällen prüften Fachleute, woher die Aggression kommt, ob Frustration im Spiel ist, ob das Kind in der Schule überfordert ist, und ob womöglich das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADHS vorliegt. „ADHS geht mit Impulsivität einher: Das heißt, man denkt nicht nach, man handelt sofort.“ Das könne bei Gewalttaten eine Rolle spielen.

Nach dem dramatischen Fall der getöteten Zwölfjährigen in Freudenberg findet am Mittwoch eine Gedenkfeier statt. Ohne große Öffentlichkeit wollen Angehörige und enge Freunde noch einmal Abschied nehmen von Luise. Die Trauerfeier wird auch in die Schule übertragen, in der Aula ist zu einem gemeinsamen Gedenken eingeladen worden. (mab/dpa)