Nach Unglück in VenedigStreit um Monster-Kreuzfahrtschiffe entbrannt

Kreuzfahrtschiff vor dem Markusplatz
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Rom – Arrigo Cipriani ist einer der bekanntesten Venezianer. Der 87-Jährige Betreiber von „Harry’s Bar“, der legendären Stammkneipe von Ernest Hemingway, hat Kreuzfahrtschiffe bisher nicht als Gefahr gesehen. Im Gegenteil. Die Kolosse, die sich wie schwimmende Hochhäuser durch die zerbrechliche Lagunenstadt schieben, gefielen ihm. „Die Bilder erinnern mich an Fellini-Filme“, pflegte er zu sagen.
Dabei warnen Umweltschützer und Bürgerinitiativen schon seit vielen Jahren davor, dass es wegen der Schiffsriesen zu einer Katastrophe im Unesco-Weltkulturerbe Venedig kommen könnte.

Ein Ausflugsboot war am Sonntag von einem Kreuzfahrtschiff gerammt worden.
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Nach dem Unfall vom Sonntag hat auch Cipriani seine Meinung geändert – wie wohl die meisten bisherigen Befürworter des Kreuzfahrttourismus in Venedig. Die Schiffsriesen müssten aus seiner Heimatstadt verbannt werden, fordert der Barbesitzer jetzt. „Das war ein Unfall, der viel schlimmer hätte enden können.“
Sirenenalarm am Markusplatz
Tatsächlich scheint es beim Betrachten der im Netz veröffentlichten Handy-Videos wie ein Wunder, dass es nur fünf Leichtverletzte gab. Die 275 Meter lange, 54 Meter hohe und 66 000 Tonnen schwere „MSC Opera“ hatte am Sonntagmorgen den Markusplatz passiert, als sie im Giudecca-Kanal wegen eines Motorschadens plötzlich außer Kontrolle geriet. Mit gellendem Sirenenalarm lief das Riesenschiff ungebremst auf die Anlegestelle San Basilio zu.
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Dort schrammte es an der Kaimauer entlang und rammte schließlich das Ausflugsboot „River Countess“. Dessen 130 Passagiere flohen panisch. Anwohner berichteten, beim Aufprall des Schiffes habe der Boden gezittert wie bei einem Erdbeben.
Durchfahrtverbot gefordert
Der Unfall hat die seit Jahren geführte Kontroverse über den Kreuzfahrttourismus in Venedig wieder voll entfacht. „Man kann nicht warten, bis diese Monster von Toten gestoppt werden“, schrieb die Bürgerinitiative „Comitato No grandi navi“ auf Facebook und protestierte mit einem Sit-in vor dem Ordnungsamt. Dort hatte Bürgermeister Luigi Brugnaro noch am Sonntag eine Krisensitzung einberufen. Er verlangte ein sofortiges Durchfahrt-Verbot im Giudecca-Kanal.

Die Schiffe fahren direkt am Markusplatz vorbei.
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Das von einer Mitte-Rechts-Mehrheit gestützte Stadtoberhaupt, der zur rechten Lega gehörende Gouverneur der Region Venetien sowie Italiens Innenminister, Lega-Chef Matteo Salvini, sie alle wollen den Schuldigen am Unglück ausgemacht haben: Salvinis Regierungspartner, die Protestbewegung Fünf Sterne, und insbesondere deren Verkehrsminister Danilo Tonninelli, der den Bau eines Kreuzfahrt-Terminals im Industriehafen von Marghera blockiert habe. „Ohne das Nein der Fünf Sterne hätte der Unfall verhindert werden können“, erklärte Salvini.
Anleger im Industriehafen abgelehnt
Noch unter der Vorgängerregierung war Ende 2017 mit der Stadt und der Region vereinbart worden, dass Kreuzfahrtschiffe ab 2021 nicht mehr durch den Giudecca-Kanal bis in den Hafen von Venedig, sondern südlich durch die Lagune nach Marghera ans Festland fahren sollen. Umweltschützer, aber auch die Fünf Sterne lehnten das ab. Große Schiffe dürften gar nicht mehr in die ökologisch stark gefährdete Lagune einlaufen, fordern sie. „Venedig rettet sich nur, wenn die Lagune gerettet wird“, mahnt etwa die Präsidentin des Umweltverbands Italia Nostra, Lidia Fersuoch.
Kreuzfahrttouristen bringen 150 Millionen Euro jährlich
Als mögliche Alternativen gelten vorgelagerte Kreuzfahrt-Terminals, etwa in Chioggia oder auf dem Lido. Tonninelli versprach am Montag, in Kürze werde der Altstadt-Kanal für große Schiffe gesperrt und bis Ende Juni die Entscheidung für ein Alternativprojekt gefällt. Er vergaß aber nicht zu betonen, man müsse zwar die Umwelt, aber auch die Arbeitsplätze schützen.
Denn dass die Kreuzfahrt ein Wirtschaftsfaktor ist, kompliziert die Sache. 2018 passierten knapp 600 Riesenschiffe den Giudecca-Kanal, im Schnitt zwei pro Tag, sie brachten 1,5 Millionen Touristen. Die Reisenden, die Reedereien und die Besatzungen lassen rund 150 Millionen Euro jährlich in der Stadt.