Die Sylter Bar, in der Party-Gäste rassistische Parolen grölten, verteidigt sich gegen Vorwürfe, nicht sofort eingeschritten zu sein.
Nach „Ausländer raus“-GesangSylter Bar stellt Strafanzeige – SPD irritiert auf Instagram
Nach dem rassistischen Gegröle mehrerer Party-Gäste einer Bar auf Sylt haben die Betreiber des Lokals ihren Umgang mit dem Vorfall gerechtfertigt. „Hätte unser Personal zu irgendeinem Zeitpunkt ein solches Verhalten mitbekommen, hätten wir sofort reagiert. Wir hätten umgehend die Polizei verständigt und Strafanzeige gestellt. Das haben wir mittlerweile tun können“, schrieben die Betreiber des bekannten Lokals Pony im Nobel-Urlaubsort Kampen in der Nacht auf Instagram. Die besagten Personen seien identifiziert und gemeldet worden. Derweil zog die SPD einen Insta-Post zum rassistischen Sylt-Gegröle zurück.
Auf einem nur wenige Sekunden langen Video, das am Donnerstag viral gegangen war und zu Pfingsten entstanden sein soll, ist zu sehen und zu hören, wie junge Menschen zur Melodie des mehr als 20 Jahre alten Party-Hits „L’amour toujours“ von Gigi D'Agostino rassistische Parolen grölen.
Staatsschutz ermittelt unter anderem wegen Volksverhetzung
Scheinbar völlig ungeniert und ausgelassen singen sie „Deutschland den Deutschen - Ausländer raus!“. Ein Mann macht eine Geste, die an den Hitlergruß denken lässt. Von den Umstehenden scheint sich niemand daran zu stören. Der Staatsschutz ermittelt wegen Volksverhetzung und des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen.
Politikerinnen und Politiker äußerten sich schockiert. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die Parolen am Freitag als „ekelig“ und „nicht akzeptabel“ bezeichnet. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Wer Nazi-Parolen wie „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ grölt, ist eine Schande für Deutschland“.
Bereits berufliche Konsequenzen für Beteiligte
Für manche Beteiligte hat das rassistische Gegröle bereits ein berufliches Nachspiel. Die Werbeagentur-Gruppe Serviceplan Group erklärte am Freitagabend auf Instagram, sie habe einen Mitarbeiter fristlos entlassen, der an dem Vorfall beteiligt gewesen sei. „Wir tolerieren Rassismus in jeglicher Form innerhalb unserer Agenturgruppe nicht“, erklärte das Unternehmen.
Die Hamburger Influencerin Milena Karl entließ nach eigenen Angaben ebenfalls eine Mitarbeiterin, die an dem Vorfall beteiligt gewesen sei. „Abgesehen von dem ohnehin abscheulichen Inhalt des Videos hat es mich schockiert, verletzt und enttäuscht, zu sehen, dass eine der Personen aus dem Video mit mir in einem Anstellungsverhältnis stand“, schrieb sie in einer Instagram-Story.
Sie habe das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung aufgelöst und distanziere sich ausdrücklich „von sämtlichen Personen, die in diesem Video auftreten“. „Ich bin selbst Migrantin und als werdende Mutter steht alles, was in diesem Video zu sehen ist, für eine Gesellschaft, in der ich mein Kind nicht großziehen möchte.“
Vorfall auch in Niedersachsen
Sylt ist kein Einzelfall. Schon in den vergangenen Monaten gab es immer wieder Vorfälle, bei denen zu dem Lied Nazi-Parolen gerufen wurden – etwa in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern. In der Oberpfalz ermittelte die Polizei nach einem möglichen Vorfall bei einem Faschingszug im Februar. Auch auf anderen Veranstaltungen war es in den vergangenen Monaten zu ähnlichen Zwischenfällen gekommen.
Am Freitag wurde bekannt, dass es ebenfalls an Pfingsten in Niedersachsen zu einem ähnlichen Fall kam. Auch auf dem Schützenfest in Löningen westlich von Cloppenburg wurden rassistische Parolen gegrölt, auch zu „L’amour toujours“, auch dort ermittelt der Staatsschutz. Zeugen, die das Geschehene gefilmt hatten, zeigten den Vorfall bei der Polizei an.
SPD zieht Instagram-Post zurück
Die SPD wollte am Freitag mit einem Instagram-Post Front machen gegen das rassistische Partygegröle auf Sylt – stieß aber vor allem auf Unverständnis und Kritik und korrigierte sich schließlich. Mit Bezug auf die dort gerufenen Parolen hatte die Partei auf der Plattform unter schwarz-rot-goldenem Banner ursprünglich geschrieben: „Deutschland den Deutschen, die unsere Demokratie verteidigen.“ Nach einer Vielzahl negativer Reaktionen wurde der Post aber gelöscht. Eine Parteisprecherin bestätigte am Freitagabend auf Anfrage den Inhalt der nicht mehr abrufbaren Nachricht.
Stattdessen schrieb die Partei (Rechtschreibung wie im Original): „Wir haben gerade einen Post veröffentlicht mit dem wir auf's Schärfste verurteilen, was wir alle in einem Video aus Sylt gesehen haben. Dabei haben wir es nicht geschafft, einen Ton zu treffen, der alle mitnimmt. Dafür möchten wir uns aufrichtig entschuldigen. Uns geht es darum, klar zu machen, dass wir dieses Land nicht den Rechtsextremen und Hasspredigern überlassen wollen.“
Expertin sieht in Sylt-Video Normalisierung rechtsextremer Inhalte
Aus Sicht der Expertin Pia Lamberty zeigt das Sylt-Video eine Normalisierung rechtsextremer Inhalte in der Gesellschaft. „Ohne dass es irgendeine Form von Widerspruch gibt, werden die sozialen Normen einfach gebrochen“, sagte die Co-Geschäftsführerin des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas), das Radikalisierungstendenzen und Verschwörungserzählungen im Netz untersucht. „Menschen können ohne Scheu in der Öffentlichkeit extreme Parolen äußern.“ Der Song „L'amour toujours“ sei mittlerweile immer mehr mit den rassistischen Parolen verknüpft, sagte Lamberty. „Das macht ja auch was im Gehirn.“ So schafften Rechtsextreme eine Akzeptanz solcher Parolen in der breiten Gesellschaft.
Für die Cemas-Expertin verdeutlicht der Fall: „Rechtsextremismus ist nicht nur ein Problem, das man in Ostdeutschland sieht oder bei Menschen, die ein geringeres Einkommen haben, sondern auch bei höheren Schichten.“ Das Bedrohliche für Betroffene sei vor allem die strukturelle Macht, die diese Personen potenziell einmal ausüben könnten. Das Video zeige: „Rassismus geht auch von Menschen aus, die an Universitäten studiert haben oder in Managementpositionen stehen.“ Rechtsextremismus und rassistische Einstellungen seien etwas, was man in der gesamten Gesellschaft finde. (dpa)