Neues RTL-Nachrichtenstudio: Die Rückkehr des Realen
Köln – Manche Fernsehnachrichten scheinen aus einer künstlichen Welt gesendet zu werden, sehen nach Science-Fiction aus. „Fiktion” ist aber wohl das Letzte, womit TV-Nachrichten in Zusammenhang gebracht werden wollen.
Viele Sender nehmen inzwischen Abschied von einem allzu unreal wirkenden Erscheinungsbild. RTL nimmt diesen Sonntag (4.9., 18.45 Uhr „RTL aktuell”) in Köln sein neues 360-Grad-Real-Set-Studio im Hauptsitz am Rhein in Betrieb.
Die Nachrichtenpräsentation werde nun nahbarer, betont RTL. „Vier hängende, verfahr- und drehbare LED-Wände fungieren als raumformende Bildebenen für die mediale Präsentation und sind bei Bedarf zu fugenlosen Videoflächen von bis zu 12 Metern Breite kombinierbar.”
Auch bei der Konkurrenz von „Tagesschau” und „Tagesthemen” der ARD dominiert eine große Videofläche den Look. In Hamburg beim verantwortlichen NDR ist die Rückprojektionswand aber halbrund.
Der Sender Welt (ehemals N24) in Berlin bezog im April 2021 sein nagelneues Real-Studio im Axel-Springer-Neubau von Stararchitekt Rem Koolhaas.
Mehr Bewegungsfreiheit
RTL-News-Geschäftsführer Stephan Schmitter sagt über die neuen 445 Quadratmeter in Köln-Deutz: „Das Studio ist das modernste, das es im Moment in Europa gibt.” Anchorman Peter Kloeppel sagt, er freue sich vor allem auf mehr Bewegungsfreiheit. Nach vielen Jahren in einer Greenbox mit virtuellen Hintergründen gebe es nun reale Elemente, also LED-Screens. „Wir müssen nicht ständig auf einen Monitor schauen, um zu kontrollieren, wo wir uns gerade befinden und was wir zeigen.” Bei Grafiken und Animationen sei das sehr erleichternd.
Auch „Punkt 12”-Moderatorin Katja Burkard betont: „Ich freue mich vor allem, dass wir mit der Abkehr vom Greenscreen ein sogenanntes 'Real-Set' bekommen. Wir bemühen uns jeden Tag um Wahrhaftigkeit und dazu passt eben auch, dass unser Studio nahbar und realistisch ist.”
Wie TV-Sender ihre Nachrichtensendungen inszenieren, ist eine Frage der Technik und des Zeitgeists. Derzeit gibt es den globalen Trend, nach einem Hype um simulierte Studio-Sets mehr auf Authentizität zu setzen. Auch der Medienkonzern ProSiebenSat.1 erweitert derzeit seinen Standort Unterföhring bei München. Am neuen Campus, der 2024 fertig werden soll, sollen auch wieder eigene Nachrichten produziert werden.
Ganz früher - also etwa bei der „Tagesschau” der 60er Jahre - saßen Männer an einem Schreibtisch und erklärten die Welt vor einer Wand. Dabei lasen sie von Zetteln ab. Der Nachrichtensprecher war eine Art Lehrer der Nation, die Zuschauer seine wissbegierigen Schüler.
Seitdem ist viel passiert. Öfter als früher treffen etablierte Medien heutzutage auf Desinformationsangst und eine gewisse Grundskepsis in der Bevölkerung. Wenn es dann im Fernsehen abgehoben und artifiziell aussieht, kann sich der Abstand zwischen TV-Machern und -Zuschauern vergrößern. Gerade in Abgrenzung zu unseriöseren Angeboten im Internet setzen Fernsehsender deshalb noch mehr darauf, vertraute Köpfe in vertrauenserweckender Umgebung auftreten zu lassen.
Ein zweites Wohnzimmer
Designwechsel im Fernsehen sind übrigens keine Bagatelle. „Wenn in einem Wohnzimmer Sessel und Stühle verrückt werden und neue Bilder an die Wand kommen, dann ändert sich das ganze Wohngefühl”, sagte vor 13 Jahren schon der damalige ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, als der öffentlich-rechtliche Sender im virtuellen „heute”-Studio auf dem Mainzer Lerchenberg loslegte. Nachrichtenstudios seien für viele ein zweites Wohnzimmer, deshalb emotionalisierten sie stark.
Inzwischen hat man beim ZDF etwas umgeschwenkt und schon letzten Sommer wieder auf mehr Authentizität im Studio gesetzt - unter anderem mit einem kleineren Tisch und weniger Bombast.
RTL folgt nun ein Jahr später mit dem schon lange angekündigten neuen Studio. Der zur Sendergruppe gehörende Nachrichtensender ntv sendet derweil noch aus seinem Greenscreen-Studio.
Die News- und Magazinsendungen „Punkt 6”, „Punkt 7”, „Punkt 8”, „Punkt 12” sowie „RTL Aktuell” und „RTL Nachtjournal” kommen künftig aus dem multifunktionalen Studio. „RTL Direkt” wird weiterhin nicht am Rhein, sondern in Berlin produziert.
Das neue Kölner Studio, das sich lichttechnisch Tageszeiten und auch wechselnden News-Situationen anpassen kann, wurde mit dem Designstudio „Veech x Veech” entwickelt. Die Architekten sind laut RTL schon für den arabischen Nachrichtensender Al Jazeera in Doha/Katar, den bulgarischen Sender BTV und Sky News in London tätig gewesen sowie in Wien fürs österreichische Fernsehen ORF.
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