Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Niedersächsischer LandesfußballErmittlungen im Umfeld der Robert-Enke-Stiftung

Lesezeit 8 Minuten
Gründung Robert Enke Stiftung

Feierliche Stiftungsgründung mit dem damaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger (Mitte) und Robert Enkes Witwe Teresa (hinten, Zweite von links) im Januar 2010 in München.  

Berlin – Die Stimme der Frau in Schwarz zittert, bricht, wird fast vom Klacken der Kameras übertönt. „Wir dachten auch, mit Liebe geht das, aber man schafft es doch nicht immer.“ Es ist der 11. November 2009, 13.09 Uhr, als Teresa Enke diesen Satz sagt. Sie spricht über den Suizid ihres Mannes. Robert Enke hatte sich einen Tag zuvor das Leben genommen. Der Fußballprofi war depressiv. Seit 2004 hatte er nach kurzen Stationen in Lissabon, Barcelona, Istanbul und Teneriffa bei Hannover 96 gespielt. In der niedersächsischen Landeshauptstadt war er heimisch geworden.

Enke war ein Vorbild, klug, unaufgeregt und souverän. 2007 wurde er bei Hannover 96 Mannschaftskapitän. Ein Kapitän, der, wie seine Frau später sagte, die Mannschaft lange zum Überleben brauchte. 2008 wurde er Nationaltorhüter. Die Bestürzung über seinen Tod ein Jahr später war groß. Nach der Stille kam das Nachdenken. Etwas musste sich im Fußball ändern. Bei den Profis und bei den Amateuren.

Der damalige Präsident des Deutschen Fußball-Bunds (DFB), Theo Zwanziger, sagte auf der Trauerfeier im Stadion in Hannover: „Maß, Balance, Werte wie Fair Play und Respekt sind gefragt in allen Bereichen des Systems Fußball bei den Funktionären, bei den Klubs, beim DFB“. 40.000 Menschen saßen auf den Tribünen. Die Fußballnationalmannschaft kündigte in einem Schreiben wenige Tage später an, sich dafür einzusetzen, dass „Vorurteile und Stigmatisierungen im Fußball keinen Platz haben.“

Am 15. Januar 2010 gründeten der DFB, die Deutsche Fußball-Liga (DFL) und Hannover 96 die Robert-Enke-Stiftung. Sie finanziert sich über Spendengelder. Die Stiftung widmet sich dem Andenken des Torhüters. Sie fördert unter anderem Projekte, die sich mit dem Krankheitsbild der Depression oder Kinder-Herzkrankheiten beschäftigten. Enkes Tochter war 2006 an einem angeborenen Herzfehler gestorben. Enkes Witwe Teresa ist die Vorstandsvorsitzende der gemeinnützigen Initiative.

Große Ideen klein gemahlen

Seit dem Gründungsjahr, an dessen Ende das Vermögen der Stiftung schnell auf fast eine Million Euro anwuchs, haben die Verantwortlichen viel erreicht: So wird etwa das im gleichen Jahr von der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde gegründete Referat „Sportpsychiatrie und -psychotherapie“ unterstützt, das vom Uniklinikum Aachen koordiniert wird. Ein qualifiziertes Netzwerk aus Psychiatern und Psychotherapeuten wurde aufgebaut, das „heute rund 70 aktive Mitglieder“ zählt.

Die Stiftung informiert am Rande von Bundesligaspielen und auf Vorträgen über das Thema Depression und unterstützt Betroffene wie den ehemaligen Bundesligatorwart Markus Miller. Seit Oktober 2016 gibt es zudem die „EnkeApp“, die konkrete Hilfsangebote für Betroffene bietet und einen Notruf-Button für Suizidgefährdete enthält.

Kurz: Die Stiftung ist ein Leuchtturmprojekt. Eines mit dem sich nicht nur die im Vorstand versammelte Fußballprominenz von DFB und DFL schmückt. Der DFB spendete 2015 und 2016 am Jahresende jeweils 100.000 Euro. Im Kuratorium der Stiftung sitzen der Ministerpräsident von Niedersachsen, Stephan Weil (SPD) und dessen Parteifreund, Innenminister Boris Pistorius.

Beerdigung Robert Enke

Abschied im Stadion: Am 15. November 2009 steht der Sarg von Robert Enke im Mittelkreis der AWD-Arena in Hannover.

Ausgerechnet auf dieses Leuchtturmprojekt droht nun ein Schatten aus der niedersächsischen Provinz zu fallen. Die Staatsanwaltschaft Hannover hat „wegen des Verdachts der Untreue zum Nachteil der Robert-Enke-Stiftung“ Ermittlungen eingeleitet, wie eine Sprecherin der Behörde der Berliner Zeitung bestätigte. Es wird auch geprüft, ob und gegen wen in der Stiftung vorgegangen werden muss. Denn nach einer Strafanzeige wird einem unangenehmen Verdacht nachgegangen. Kurz gesagt, lautet er: Wurden Gelder der Stiftung zweckentfremdet?

Wurden diejenigen, die im Fußball das Gute wollen, wieder mal von denen ausgetrickst, denen Siege wichtiger sind, auch wenn sie sie noch so klein ausfallen? Und haben Verbandsstrukturen dazu beigetragen, dass große Ideen kleingemahlen werden?

Spur führt nach Barsinghausen

Die Geschichte, wie es zu der Anzeige kam und welchen Weg sie durch die Institutionen nahm, ist bemerkenswert. Sie ist Ausdruck einer besonderen personellen und strukturellen Konstellation im niedersächsischen Landesfußball. Dessen Herz schlägt in Barsinghausen. Der Ort liegt südwestlich von Enkes alter Fußballheimat Hannover. In „Basche“, so der Spitzname der Stadt mit rund 34.000 Einwohnern, sitzen der Niedersächsische Fußballverband (NFV) und die Robert-Enke-Stiftung. Beide Institutionen haben die gleiche Anschrift: Schillerstraße 4. Und hier sitzt auch, gut fünf Kilometer entfernt, im Ortsteil Egestorf, der Fußball-Viertligist 1. FC Germania Egestorf / Langreder.

Im Sommer 2014 erfährt Andree Ullmann, Vorsitzender des Fünftligisten 1. FC Wunstorf, bei einem Gespräch über einen Spielertransfer von interessanten Beschäftigungsverhältnissen in der Stiftung. Sein Gesprächspartner ist sowohl für die Stiftung als auch für den 1. FC Germania tätig. Und für den Verband übt er auch ein Amt aus.

Gemäß Ullmanns Schilderung habe ihm dieser Mann gesagt, dass viele Spieler des 1. FC Germania bei der Stiftung angestellt seien. Und dass sie dafür aber nur sehr wenig in der Stiftung arbeiteten.

2014 tut Ullmann vorerst nichts, lässt den Verdacht ruhen, weil er dazu gebeten wurde stillzuhalten. Nachfrage der Berliner Zeitung beim damaligen Gesprächspartner. Antwort: eine solche Äußerung habe er nie getätigt. Zudem sei eine solche Aussage inhaltlich falsch. Eine weitere Nachfrage, was er damit meine, bleibt unbeantwortet.

21 Personen arbeiteten für Germania, Stiftung und Verband

Unstrittig ist, dass einige Personen im Verein Germania, der Stiftung und dem Verband Funktionen und Tätigkeiten gleichzeitig ausüben oder ausgeübt haben. Seit 2015 kursiert eine Liste auf der 21 Personen stehen, teilweise in leitenden Positionen. Einige Beispiele: Jan Baßler ist Geschäftsführer der Robert-Enke-Stiftung, Leiter des Präsidialbüros und stellvertretender Direktor beim NFV und laut Homepage Spieler bei der Regionalligamannschaft des 1. FC Germania.

Germania-Mannschaftskapitän Mirko Dismer obliegt nach einem Medienbericht die Leitung des Digitalmarketings der Stiftung. Er ist auch Projektmanager beim DFB. Manfred Finger wiederum ist Pressesprecher bei Verein und Verband.

2015 ist auch das Jahr in dem erstmals Kritik lauter artikuliert wird. Vier Vereine, darunter auch Ullmanns 1. FC Wunstorf, schreiben einen Brief an den NFV. Sie seien in Sorge um die „Unparteilichkeit des Dachverbands“. Und fordern Aufklärung über die vermeintliche Nähe der drei Organisationen zu einander und deren Angestellten. Von einer „verblüffenden Personalunion“ ist die Rede. Gefragt wird auch nach einer „besonders engen Beziehung“ zwischen Verein und der Robert-Enke-Stiftung.

Medienberichte folgen. In einem, der 2016 erscheint, äußert sich Karl Rothmund zu den aufkeimenden Vorwürfen: Der Verband sponsere den Germania-Club nicht. Der 73-jährige Rothmund ist der Prototyp der „Personalunion“. Vor seiner Karriere beim Verband war er von 1980 bis 1986 Bürgermeister in Barsinghausen. Er ist Präsident beim Verband und Vize-Vorstandsvorsitzender und Schatzmeister der Robert-Enke-Stiftung. Und er ist laut Vereinschronik „Architekt der Fusion“, die aus dem TSV Egestorf und dem TSV Langreder 2001 den 1. FC Germania formte.

Nähe auch zwischen Sponsoren

2013 luden DFB und NFV zu offiziell zu Rothmunds 70. Geburtstag. Auf der Einladung fand sich ein Hinweis inklusive Bankverbindung: „Wenn Sie dem Jubilar eine Freude bereiten möchten, helfen Sie dem 1. FC Germania Egestorf / Langreder bei der Sanierung und dem Umbau des Sportheimes mit einer Spende.“

Eine Nähe zwischen Verband und Verein gibt es auch in punkto Sponsoren. Zwei Beispiele: Werbepartner des Vereins ist das Sporthotel Fuchsbachtal, das dem Verband über eine Beteiligungs-GmbH gehört. Ein „Premiumpartner“ des Vereins, die in Barsinghausen ansässige Werbe- und Designagentur Concepttec, gibt als Referenzen den NFV, das Sporthotel Fuchsbachtal, die NFV-eigene Sparkassen-Fußballschule an – und die Robert-Enke-Stiftung. Die Fußballschule führt auf Ihrer Website wiederum die Enke-Stiftung als Partner.

Nun ist es im Amateursport nicht unüblich und weder illegal noch verwerflich, dass ortsansässige Unternehmen ihre Heimatvereine unterstützen. Dass Spieler Jobs bekommen oder anderweitig versorgt werden, ist Alltag. Taucht in einem dieser Sponsoring- oder Förderprogramme allerdings ein gemeinnütziger Verband auf, der für den Spielbetrieb verantwortlich ist und zwingend unparteiisch sein muss, ist das, gelinde gesagt, problematisch. Eine Grenzlinie verschwimmt.

Robert Enke

Robert Enke (1977-2009)

2016 fasst Karl Rothmund beim Thema noch mal nach: „Wir sind hier ja nicht bei der Fifa, wir haben Ordnung im Laden“. Damit war bei Andree Ullmann, der mittlerweile Vorsitzender des 1. FC Wunstorf ist, eine Grenzlinie überschritten. Er erstattet Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Hannover. Seine auf acht Seiten ausgebreitete Anzeige geht am 24. November 2016 – gemäß Mitteilung – bei der Staatsanwaltschaft Hannover ein. Bereits am 29. November 2016 heißt in einem Antwortschreiben der Behörde: „tatsächliche Anhaltspunkte für ein strafrechtliches relevantes Verhalten des Beschuldigten“ bestünden nicht. Ermittlungen eingestellt.

Die Bearbeitungszeit erscheint Ullmanns Anwalt Fabian Klahr sehr kurz. Am 9. Dezember 2016 legt dieser Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft in Celle ein. Nach einer erneuten Stellungnahme von Ullmann fordert Generalstaatsanwalt Frank Lüttig die Staatsanwaltschaft in Hannover auf, doch zu ermitteln. Im Fokus: Der Untreueverdacht bezogen auf die Robert-Enke-Stiftung.

Vorstand und Staatsanwalt

Eine Anfrage der Berliner Zeitung bei der Enke-Stiftung blieb bisher unbeantwortet. Der NFV teilte mit, die Stiftung sei „eine eigene juristische Person, deren Geschäftsbereich vom Niedersächsischen Fußballverband getrennt ist.“ Fragen diesbezüglich könne man daher nicht beantworten.

Die Ermittlungsakte soll zurzeit bei der zuständigen Polizeidirektion in Hannover liegen. Zu den Vorständen der Robert-Enke-Stiftung gehört auch Klaus Kukla, so weist es die Homepage der Stiftung aus. Kukla ist seit 2015 Oberstaatsanwalt in Hannover. Er sei, laut einer Sprecherin der Behörde, weder in die Ermittlungen eingebunden gewesen, noch habe er „in dem Zusammenhang Weisungen erteilt“.

Auch habe die Staatsanwaltschaft von seiner ehrenamtlichen Tätigkeit im Vorstand der Stiftung Kenntnis gehabt. Allerdings konnte Kukla von den Ermittlungen gewusst haben – wegen einer Presseanfrage zu dem Thema. Er nahm zum Zeitpunkt der Anfrage als Hauptabteilungsleiter stellvertretend die Aufgaben der Behördenleitung wahr. Sollte sich der Untreue-Verdacht erhärten, könnte gegen den Vorstand der Stiftung ermittelt werden – und damit womöglich auch gegen Kukla.

Mitarbeit: Kai Schlieter