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OrcasWarum der „Killerwal“ sein gefährliches Image nicht verdient

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In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Zwischenfällen zwischen Orcas und Booten. Haben die Tiere ihr Image zurecht?

Christina Karliczek dreht Tierfilme unter Wasser. In der Arktis kommt sie Walen und Haien so nah wie nur wenige. Ein Gespräch über weibliche Orcakraft und das zu Unrecht schlechte Image.

Sie sei noch etwas müde, weil sie erst am Vorabend von Dreharbeiten aus Hawaii wiedergekommen ist, erzählt Christina Karliczek. Mit Buckelwalen und Hammerhaien habe sie da gefilmt. Sie sitzt im schwedischen Göteborg, bei sich zu Hause, als das Videointerview losgeht. Weltweit steigt Christina Karliczek mit der Kamera ins Wasser. Da, wo Wale und Haie unterwegs sind. Ihre Tierfilme erscheinen bei BBC, Netflix, National Geographic. Für die ARD war sie zuletzt in der Arktis unterwegs, um jagenden Walen zu begegnen: Orcas.

Frau Karliczek, nehmen Sie mich mal gedanklich mit zu einem Dreh. Was macht Ihre Arbeit so herausfordernd?

Ich drehe vorwiegend in arktischen Gewässern. Das Wasser ist ziemlich kalt, sechs bis acht Grad. Das Licht muss mitspielen. Während der Polarnacht gibt es da nur ein kurzes Zeitfenster. Ich habe keine klassische Tauchausrüstung an, um möglichst schnell und wendig zu sein. Ich versuche, möglichst vorsichtig ins Wasser hineinzugleiten. Meine Fingerspitzen werden schnell kalt, dann wird es umso schwieriger, die Knöpfe auf der Kamera zu drücken. Und ich muss sehr geduldig sein, bis sich ein guter Moment ergibt, sich den Tieren zu nähern.

Bemerken die Tiere Sie unter Wasser?

Natürlich wird meine Anwesenheit bemerkt. Es ist mir sehr wichtig, sie so wenig wie möglich durch meine Arbeit zu stören. Ich passe Momente ab, in denen es für sie okay ist, dass ich dazukomme. Aufnahmen sind erst dann richtig gut, wenn sie etwas von dem erzählen, was das Tier erlebt – und nicht nur irgendein Bild von einem vorbei schwimmenden Orca entsteht. Am faszinierendsten finde ich die Momente, in denen wir beide aufeinander neugierig sind.

An welche Situation denken Sie da beispielsweise?

Beim Dreh in Nordnorwegen gab es mehrere Momente, in denen die Orcas von ihrer Route abgewichen und zu unserem Boot gekommen sind. Wir haben uns gegenseitig in die Augen geschaut. Sogar eine Mutter ist mit ihrem Kalb vorbeigekommen. Das Junge hat vor unseren Augen an der Mutter gesäugt. So etwas hatte ich noch nie gesehen.

Bei aller Faszination – beim Dreh im Wasser mit Orcas kann es bestimmt auch zu gefährlichen Situationen kommen.

Es gibt keine bekannten tödlichen Unfälle mit Schwertwalen in freier Wildbahn. Es gibt nur tödliche Unfälle mit Orcas in Meereszoos. Die Tiere werden da so gehalten, dass sie nicht mehr zurechenbar sind. Das größte Risiko sehe ich, wenn es zum großen Fressen kommt. Wenn ich also beim Tauchen in einen Heringsschwarm geriete, den die Orcas zusammentreiben, um effektiv fressen zu können. Da entsteht quasi Chaos unter Wasser. Manchmal kommen dann von tief unten auch noch Buckelwale dazu, öffnen ihre riesigen Mäuler und nehmen einen größtmöglichen Schluck mit Heringen zu sich. Da könnte ich leicht übersehen werden. Aber natürlich will ich ja gerade solche Situationen filmen. Bislang ist mir nichts passiert.

Sie haben zwei Kinder und wohnen mit Ihrer Familie im schwedischen Göteborg. Wie ist es, nach einem langen Dreh in der Arktis nach Hause zu kommen?

Manchmal fällt es mir schwer, in meinem sozialen Umfeld zu landen, plötzlich wieder in der Stadt zu sein. Aber ich kann meinen Kindern viel mitgeben. Sie wissen schon so viel über Tiere! Im Alltag sind wir viel draußen, sonst würde ich eingehen. Das ist mir sehr wichtig.

So dicht wie Sie sind nur wenige an Orcas dran. Was haben Sie beobachten können, was weniger bekannt über die Tiere ist?

Orcas sind unglaublich effektiv an ihre Umgebung angepasst. Sie stehen an der Spitze der Nahrungskette und haben keine natürlichen Feinde. Sie jagen andere Wale, greifen sogar weiße Haie an. Der Erfolg einer Orcagruppe hängt stark davon ab, wie erfahren und geschickt das leitende weibliche Tier ist. Die Söhne bleiben ihr Leben lang bei der Mutter und bilden so eine perfekte Jagdeinheit. Diese weibliche Stärke, das ist etwas, was kulturell in unserer Gesellschaft kaum erzählt wird. Frauen wird nicht die Stärke zugeschrieben, die sie eigentlich haben.

Das Image des Orcas geht in eine andere Richtung: Sie gelten als besonders gefährlich und aggressiv.

Das Bild von Orcas als gefährliche Killerwale, die Boote angreifen, ist sehr eindimensional. Wir sollten davon wegkommen, solche Tiere als bedrohlich und gefährlich zu beschreiben. Natürlich leben Orcas davon, andere Tiere zu töten. Das mag aus menschlicher Perspektive grausam aussehen. Aber Orcas nehmen nur so viel, wie sie benötigen. Wir Menschen sollten uns daran ein Beispiel nehmen. Gewissermaßen sind wir selbst die Killer. Wir sollten die Meeresbewohner schützen, insbesondere vor uns selbst – statt sie zu dämonisieren.

Steht es also schlecht um die Orcas?

Wir sind kurz davor, einige dieser Orcapopulationen auszurotten. Wir wissen nicht, wie sich der menschliche Einfluss in Zukunft auf diese Tiere auswirkt. Durch den Klimawandel und die Erwärmung der Meere, durch Überfischung und durch die Verschmutzung der Meere. Giftstoffe sammeln sich in den Tieren an. Und es ist unglaublich laut im Meer geworden – durch den Schiffsverkehr. Auch das verändert nachweislich das Verhalten der Orcas. Die Kommunikation in der Gruppe wird gestört. Jungtiere haben schlechtere Voraussetzungen, sich gut zu entwickeln.

Haben Orcas eine besondere Funktion im Ökosystem?

Sie sind eine Art Gärtner. Sie düngen das Meer durch das, was sie ausscheiden. Sie bieten damit eine Grundlage für andere Lebewesen in den Ozeanen. Sie tragen etwas zum Austausch von CO2 in den tieferen Bereichen der Ozeane bei. Das ist ein System, mit dem wir vorsichtig umgehen müssen.

Die Orcas leben weit weg von unserem Alltag an Land. Wieso geht uns das auch etwas an, wenn es ihnen schlechter geht?

Wenn Orcas aussterben, sieht es auch wirklich schlecht für uns Menschen aus. Ich glaube, wir verstehen nicht ausreichend, wie stark wir abhängig sind vom intakten Meeressystem – egal, wie weit entfernt wir davon wohnen. Orcas sind hoch entwickelte Lebewesen. Es sind die Tiere in den Meeren, die uns Menschen am ähnlichsten sind. Sie sind superschlau. Sind sogar diejenigen Tiere nicht mehr überlebensfähig, die an der Spitze der Nahrungsnetze stehen, ist das ein alarmierendes Zeichen dafür, dass wir nicht gut mit unserer Umwelt umgehen. Ich frage mich, wie laut der Alarm noch sein muss, damit wir endlich verstehen, was wir eigentlich für einen Einfluss haben.

Für den ARD-Film „Unter Orcas“ (2025) hatten Sie auch Sängerin Sarah Connor bei den Dreharbeiten in Nordnorwegen dabei. Auch sie setzt sich dafür ein, dass sich das Image der Orcas ändert.

Wir haben uns am Drehort in Nordnorwegen das erste Mal getroffen. Wir haben uns super verstanden. Sarah Connor ist eine super taffe Taucherin. Ich bin sehr beeindruckt, dass sie mitgemacht hat. Das zeigt, wie wichtig es auch ihr ist, darauf aufmerksam zu machen, wie schlecht wir Menschen die Ozeane behandeln.

Welche Lösungen für einen besseren Umgang schweben Ihnen vor?

Es ist nur wenig, was wir ändern müssten. Wie managen wir politisch Fischerei? Wie managen wir unseren Konsum? Wie reduzieren wir die Schifffahrt? Müssen wir wirklich zu touristischen Zwecken „Schnorcheln mit Orcas” buchen? Natürlich ist mir bewusst, dass nicht jeder das Glück hat, wie ich beruflich unter Wasser zu filmen. Ich kann die Faszination für die Orcas verstehen und freue mich sehr darüber. Doch wenn man nicht professionell taucht und mit den Verhaltensweisen gut vertraut ist, sollte man es beim Orca beobachten belassen. Den Tieren zuliebe. Einzelpersonen können eine Politik wählen, die sich für Umweltschutz starkmacht. Weniger oder gar keinen Fisch mehr essen. Müll und Konsum reduzieren. Kleidung einfach länger tragen. Das sind alles Dinge, die den Orcas, vielen weiteren Wahlarten, den Fischen und dem ganzen Ökosystem im Meer helfen würden.

Sind Sie hoffnungsvoll, dass die Orcas bleiben?

Ich weiß, dass wir Menschen uns sehr gut anpassen können. Wenn wir uns zugunsten von mehr Meeresschutz verändern, wirkt sich das auch positiv auf unsere Lebensqualität aus. Je länger wir warten, umso teurer wird es. Ich würde mir wünschen, dass wir endlich verstehen, dass die Meere auch ein Teil der Erde sind, auf der wir stehen.

Der Film „Unter Orcas“ ist in der ARD- Mediathek zu finden. Im Fernsehen wird er ausgestrahlt am 28. April 2025 um 20.15 Uhr im Ersten.