AboAbonnieren

PannenreaktorenAtomexperte warnt vor ernstem Unfall in Tihange und Doel

Lesezeit 3 Minuten

Kühltürme von Tihange

Aachen – Dass Tihange 2 vom Netz muss, ist keine neue Forderung. Aber am Freitag hat sie nicht irgendjemand aufgestellt, sondern eine Konferenz renommierter Kernenergie-Experten. Das Manifest der internationale Vereinigung unabhängiger Nuklearexperten (Inrag) gegen Tihange 2 und Doel 3 hat eine andere Qualität.

Gregory Jaczko war von 2005 bis 2012 Leiter der US-amerikanischen Atomaufsichtsbehörde NRC und verantwortlich für knapp 100 Atommeiler. Auch der ehemalige Chef der deutschen Atomaufsicht Dieter Majer gehört Inrag an. Beiden kann man nicht vorwerfen, pauschal gegen den Betrieb von Atomkraftwerken zu sein. „Das sind alles Schwergewichte“, sagt Physiker und Kernenergie-Experte Wolfgang Renneberg. „Wir wollen alternative Ansprechpartner für Politik und Entscheider sein“, sagt er, und meint damit eine Alternative zu den Experten, die mit der Atomlobby verflochten sind.

Zweifel an der Unabhängigkeit

Wie unabhängig beispielsweise der bald scheidende Leiter der belgischen Atomaufsichtsbehörde FANC, Jan Bens, sein könne, wird immer wieder hinterfragt. War er doch beinahe sein gesamtes Berufsleben beim Betreiber der belgischen Akw Engie-Electrabel angestellt – und zuletzt Leiter der Anlage Doel. „Jemand, der im System ist und im System Karriere machen will, kann sich nicht frei äußern“, sagt IlseTweer, Expertin im Bereich Stabilität der Reaktordruckbehälter von der Uni Wien.

„Bei den meisten Konferenzen kostet allein die Teilnahme 15 000 Euro für jeden Experten, und darin sind noch nicht Kosten für die Anreise und die Übernachtung enthalten“, sagte Friederike Frieß vom Wiener Institut für Risikowissenschaften. Das könnten sich Experten der Kernkraftwerksbetreiber eher leisten als unabhängige Experten. Der öffentliche Diskurs sei deshalb von Experten der Nuklearlobby bestimmt.

Die Einschätzung der Inrag ist alarmierend. „Die Gefahr eines Versagens des Reaktordruckbehälters ist nicht praktisch ausgeschlossen“, heißt es in dem Manifest. Man könne den aktuellen Stand der Versprödung nicht mit Sicherheit beurteilen, sagte der Inrag-Vorsitzende Nikolaus Müllner. Solange der Sicherheitsnachweis nicht erbracht sei, müsse Tihange 2 vom Netz. Doel 3 ohnehin, weil sich dort noch mehr Risse in den Reaktordruckbehältern befinden.

Wie gefährlich sind die Risse?

Bei der Bewertung darüber, ob die Risse gefährlich sind, ist eine Frage entscheidend: Gab es sie von Anfang an, oder sind sie im Betrieb entstanden? Wäre das der Fall, bestünde die Gefahr, dass die Risse immer mehr werden. Darüber streiten die Beteiligten seit die ersten Risse 2012 bei Ultraschalluntersuchungen entdeckt wurden. Die FANC hatte den Betreiber zu weiteren Untersuchungen verpflichtet, die Meiler waren zeitweise abgeschaltet. Die FANC erteilte aber 2015 die Erlaubnis zum Wiederanfahren.

Das kann Gregory Jaczko nicht nachvollziehen. „Ich hätte das nicht erlaubt und mehr Druck ausgeübt.“ Der ehemalige Leiter der US-Behörde wirft der FANC vor, nicht alles getan zu haben, um die Meiler sicherer zu machen. „Natürlich wäre es teuer und kompliziert, aber man muss zwingend herausfinden, ob die Risse wirklich Wasserstoff-Flocken sind“, sagte er. Das sei mehr eine Wahl als ein Fakt. „Es kann nur niemand eine andere sinnvolle Erklärung liefern.“ Fahrlässig und gefährlich nennt das der Amerikaner, der vor einem ernsten Unfall in Tihange und Doel warnt.