Partnersuche per Chiffre im Kölner Stadt-AnzeigerAus diesen Kontaktanzeigen wurden Paare

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XXL-Liebe im Wallepulli
Es begann mit einem strategischen Kniff – der auch gewaltig hätte schief gehen können. Denn wenn Claudia Schmitz , die damals noch Müller heißt, an diesem Wochenende im Dezember 2001 kapiert hätte, dass der Absender der einzigen beiden Anzeigen, die sie interessierten, noch für zwei andere verantwortlich ist, hätte sie „die Finger davon gelassen“ – und einen größenwahnsinnigen Protz oder eine gespaltene Persönlichkeit dahinter vermutet. Doch Max Schmitz trieb weder die Prahlerei noch eine Psychose, es war schlicht: die Sehnsucht. Nach 17 Jahren Zweisamkeit – und anschließender Single-Zeit. Also meinte er es mit seinem zweiten Kontaktanzeigen-Versuch ernst. So ernst, dass er die perfekte Annonce-Strategie ersann – vier Varianten, der Länge nach absteigend, alles aufzählend was ihn ausmachte und wonach er sich sehnte: eine Gleichgesinnte. Geduldig & spontan. Gemütlich & sportlich. Wild & soft. Aber auch kinderlieb & häuslich. Veröffentlicht im „Kölner Stadt-Anzeiger“ am 8./9. Dezember 2001.
Claudia Müller sitzt an einem vorweihnachtlichen Samstag in einem Café in der Südstadt. Alleine. Am Nachbartisch: ein Paar. Sie: eine unsympathische Zicke. Er: ein die Zicke liebevoll umsorgender Mann. Claudia Müller packt Abscheu, Neid und Melancholie. Um diesen frisch Verliebten nicht länger zuschauen zu müssen, vergräbt sie sich hinter zwei Seiten der Kontaktbörse im „Kölner Stadt-Anzeiger“. Zufall? Fügung? Egal! „Wenn die einen so Netten kriegt, warum dann nicht ich?“, fragt sich die Ergotherapeutin, während sie zwei Anzeigen ins Visier nimmt und im Geiste schnell markiert – Variante 1 und 2, ohne zu begreifen, dass sie vom selben Adressaten stammen. Zwei weitere interessieren sie wegen des Stils, aber der Inhalt passt nicht. „Eine kinderliebe Frau, die gerne im eigenen Haus wohnt“, das war zu langfristig gedacht. Zu eng.
Eigentlich wünscht sich Claudia Müller – noch nicht lange ohne feste Beziehung – in diesem Moment nur, an Weihnachten nicht alleine zu sein. Andererseits treibt sie die Ansage ihres Ex-Freundes um, sie erst in Ruhe zu lassen, wenn es einen Anderen in ihrem Leben gibt. Also meldet sie sich am nächsten Tag auf die zwei markierten Anzeigen. Und erfährt: „Ich bin ein und derselbe“. „Der Einzige“, sagt Max Schmitz heute. Claudia Müller, 33 Jahre jung und „Stadtmensch durch und durch“, hatte vor den anschließenden ausufernden, aufregenden und authentischen Telefonaten weder Kinder noch Eigenheim im Sinn. Erst Recht kein Euskirchen. Aber hegte einen Wunsch: Auch das Äußere der Person kennenzulernen, in deren Stimme, Worte und Gedanken sie sich längst verliebt hatte. „Und umgekehrt“, betont Max Schmitz – „auch wenn zwei Menschen nicht unterschiedlicher sein können“. Er: sportlich und extrovertiert, liebt Joggen und Tischtennis. Sie: nachdenklich, mag Katzen und Kampfsport.
Eine Woche später steht Max Schmitz – in großzügiger Jacke – vor ihr und ihrem ausuferndem Pullover. Er hebt sie hoch. Schaut in ihre braunen Augen. Küsst sie – wort- und grußlos. „Sackjacke hin, Wallepulli her, seitdem lassen wir uns nicht mehr los“, sagt Claudia Schmitz. „Und telefonieren jeden Tag, schließlich haben wir über Worte zueinander gefunden“, sagt ihr Mann. Nach drei Monaten ziehen die beiden samt Claudias drei Katzen zusammen. Nach Euskirchen. In sein Haus. Wünschen sich ein Kind. Vier Monate später ist Claudia schwanger. Acht weitere später heiraten sie. Zwei Jahre danach kommt das zweite Kind auf die Welt. „Ich trage den Wallepulli bis heute, er ist ein Symbol unserer Liebe“, sagt Claudia Schmitz.
Genauso wenig wie aus dem Wallepulli machen sie einen Hehl aus der Tatsache, sich über eine Annonce kennengelernt zu haben. „Wir sind sofort offen damit umgegangen, unserer Familie, Freunden, Kollegen und später unseren Söhnen gegenüber“, sagt Claudia Schmitz. Und ihr Mann Max freut sich über die Reaktionen, wenn neue Bekannte davon erfahren: „Dass zwei Menschen, die so perfekt zusammen passen, über die Zeitung zueinander finden, begeistert die größten Bedenkenträger.“
Luftsprung in die Ewigkeit
Die Disco war damals einfach nichts mehr für mich, sagt Gisela Morgenweck-Marfels, heute 66 Jahre alt. Nach anderthalb Jahren Singledasein sollte etwas Neues kommen. Das war vor über 30 Jahren, im Jahr 1979. „Nachdem ich eine Anzeige im »Kölner Stadt-Anzeiger« geschaltet hatte, war ich so wahnsinnig gespannt. Wem mein Text wohl zugesagt hatte?“, sagt sie, und ihre Augen glänzen, wenn sie sich an den Tag erinnert, an dem die vielen Zuschriften in einem kleinen Päckchen in ihrer Wohnung eintrafen. „Manches war Schrott“, sagt sie. „Aber einer war dabei“ – jetzt schaut sie zu ihrem zehn Jahre älteren Mann Ralf, der ihr gegenüber sitzt – „und der ist bis heute geblieben“. Weil er in einem Anschreiben, das sie heute noch besitzt, auf ihren Anzeigentext einging. „Weil er etwas Persönliches über sich geschrieben hat“, sagt sie. Und er lächelt. „Wir haben uns ziemlich schnell für ein erstes Treffen verabredet. Ich bin plötzlich hektisch geworden und unter die Dusche gesprungen“, erinnert er sich. Sie trafen sich in einem Weinlokal in der Altstadt. Nach einer Woche war für Gisela Morgenweck-Marfels klar: „Das ist er!“
Wenn sie von damals spricht, dann beschreibt sie ihren Luftsprung vorm Reisebüro, ganz am Anfang der Beziehung. „Ich konnte ihn ganz spontan zu meiner Marokko-Reise dazu buchen.“ Und sie beschreibt die gemeinsame Leidenschaft für fremde Kulturen. Die beiden übten mit ihrem Boot auf der Biggetalsperre, bereisten Flüsse und Seen und trauten sich aufs Mittelmeer in die türkische Ägäis; schließlich besuchten sie fünf Wochen die Bahamas. In dicken Fotoalben sind Bilder verstaut, die die beiden mit Campingkocher und Strohhut am Strand zeigen. Sie arbeitete als Journalistin bei einer Fachzeitschrift für Bauwesen, er als Bauingenieur. „Das passte so gut“, sagt sie. Im Januar 1980 zogen sie zusammen, 2000 heirateten sie. Sie bekamen keine Kinder.
Dass sie sich über eine Anzeige kennengelernt haben, sagten sie lange keinem: „Das war früher ein bisschen anrüchig“, sagt sie. Und es spielte ohnehin keine Rolle: Dass sie von Anfang an auf einer Wellenlänge waren, das mussten sie niemandem erklären. „Was der eine will, das will der andere auch, da gibt es kein großes Gerede.“ Und das ist bis heute so.
Das zweite Glück
Aber nun begannen die E-Mail-Dialoge mit Engelhard, zwei Jahre älter als sie, seit anderthalb Jahren Witwer, aus dem Nachbarort. Politik, Kultur, es gab viele gemeinsame Themen. An Silvester telefonierten sie das erste Mal, „er hatte eine tolle Stimme.“ Das Aussehen? Spielte lange keine Rolle. Erst im Frühjahr trafen sie sich das erste Mal, und von da an regelmäßig. Sie mochten das gleiche Essen, gingen beide gern in die Philharmonie und ins Theater. Ihre erste gemeinsame Reise führte nach Dresden – Ingrid Mehr ist Mitglied im Freundeskreis „Dresdner Frauenkirche“, er hatte in Dresden studiert. „Man verliebt sich nicht wie früher auf den ersten Blick“, sagt Ingrid Mehr, „das geht über andere Stufen.“
Nach zwei Jahren zog er bei ihr ein. Seine Möbel passten zu ihren, in seinem Haus hatte er sogar die gleichen Badezimmerfliesen gehabt. Beide gingen gern spät ins Bett und standen früh auf. Über dem gemeinsamen Bett hingen die Bilder der verstorbenen Partner – die gehörten schließlich zu ihrem Leben dazu. „Ich habe immer gesagt: das gibt es doch gar nicht, dass man noch einmal einen trifft. Er sagte dann: Doch – man muss ihn nur finden. Wir beide haben dann gesagt: es ist ein Geschenk“, sagt Ingrid Mehr. Oft haben sie darüber gelacht, wie sie anfangs beteuert hatten, auf jeden Fall auf getrenntem Wohnen zu bestehen.
2010 starb Engelhard. „Die ersten zwei Jahre ohne ihn waren hart“, sagt Ingrid Mehr, heute 80 Jahre alt. „Aber jetzt sehe ich nur noch das Schöne – sechseinhalb geschenkte Jahre.“
Das Marathon-Date
Es war ein Freitag, im Juni 1998, als Christiane Herzberg den Kragen voll hat, stinksauer ist auf die Situation als Single-Frau im Freundeskreis. Sie wollte doch nur ins Kino, rief Freundinnen an, ohne Erfolg. Alle sind in einer Beziehung. Keine hat Lust auf einen Frauenabend. Also setzt sie sich an den PC und formuliert eine Kontaktanzeige. Druckt den Text aus. Und faxt ihn los – „Ohne nachzudenken, am nächsten Tag hätte ich es nicht mehr getan“. Weil sie, eine kontaktfreudige 29-Jährige es „doch eigentlich nicht nötig hatte“, auf diese Art einen Mann zu suchen.
Egal, dass ihre Anzeige im „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 3./4. Juli erscheint, ist eher ihrer Wut auf die Situation als ihrer Sehnsucht nach der großen Liebe geschuldet. Weshalb in der Annonce auch nicht von einem Ehemann die Rede ist, sondern von einem sportlichen Menschen, der sich mit ihr zum Narren macht. „Ich lebte zuvor lange mit einem Mann zusammen, war ganz glücklich mit meinem Single-Leben“, sagt Herzberg heute – „äußerlich“, schränkt sie ein, „tief im Inneren habe ich mich vielleicht nach einem Partner gesehnt“. Egal wie: Ein Mensch, der sie zum Lachen bringt, musste her. Doch der war unter den ersten 40 Briefen nicht zu finden. Vorerst.
Als am Morgen des 3. Juli 1998 das Telefon klingelt, sitzt Wolfgang Hadré auf seinem Bett und durchforstet den Immobilien-Teil des „Kölner Stadt-Anzeiger“ auf der Suche nach einer Eigentumswohnung. „Wofür brauchst Du die?“, fragt sein Freund am anderen Ende der Leitung, „ohne Freundin!“ „Das lässt sich ändern“, sagt Wolfgang, blättert ein paar Seiten vor und überfliegt die Kontaktanzeigen. Bis er auf die Passage „Ich will auch mal 5 gerade sein lassen“ stößt. „Ist 5 nicht gerade?“, fragt er seinen Freund. „Genau das würde ich schreiben, aber das machst Du ja eh nicht“, sagt der. Wolfgang legt auf, spannt einen Bogen Papier in die Schreibmaschine und beginnt mit der Frage: „Ist 5 nicht gerade?“
Drei Wochen später knüpft sich Christiane die Briefe erneut vor – aber mit System. Sie sortiert sie nach den Hobbys ihrer Absender. Und stößt auf den bereits ausgemusterten, „weil nicht handgeschriebenen“ Brief, der mit der Frage „Wieso ist 5 nicht gerade?“ beginnt – und sie zum Lachen bringt. Neben dem Humor passt außerdem die Größe, das Alter und die Hobbys tun es auch. Als das Telefon drei Wochen später, wieder an einem Samstag, klingelt, liest Wolfgang keine Zeitung, er kocht Spaghetti. „Hier ist Christiane, Du hast auf meine Anzeige geantwortet“. Er bleibt stumm, ihm ist die Erinnerung an eine Anzeige verloren gegangen, nachdem er drei Wochen lang keine Antwort bekam.
Schon zwei Tage später treffen sich die beiden zum ersten, 12-stündigen Date. Spielen Squash. Besuchen ein Beachvolleyballturnier am Neumarkt. Bummeln über die Rheinwiesen. Reden. Auch über Dinge, die sie niemals zuvor so schnell preisgegeben hätten. Spüren etwas Magisches. Trennen sich für sieben Tage. Bis zum zweiten Date – für 36 Stunden. Sie tanzen über die Hohenzollernbrücke. Liegen auf den Poller Wiesen – ein paar Stunden später in holländischen Dünen. Und träumen von ihrer gemeinsamen Zukunft. Die brachte ihnen im August 2000 eine Hochzeit, ein halbes Jahr später einen Sohn, und in diesem August den 15. Hochzeitstag.
Treffen im Märchenwald
Bei Silvia und Horst Winkler passte es einfach. Für ihn war klar: Auf eine Kontaktanzeige antworten? Lieber nicht. „Ich dachte: Ich gebe lieber selbst eine auf, dann kann ich aussuchen.“ Für sie stand fest: Auswählen zwischen vielen Briefeschreibern? Purer Stress! „Eine Kollegin hatte eine Anzeige aufgegeben. Da wusste ich: Das wäre nichts für mich.“ Horst Winkler gab also im März 1983 eine Kontaktanzeige auf – und Silvia Winkler antwortete ihm. Im Herbst desselben Jahres zogen sie in eine gemeinsame Wohnung. Im Sommer 1985 heirateten sie.
1983 waren beide schon einmal verheiratet, lebten aber in Scheidung. Horst Winkler zog nach Feierabend mal durch Kölner Bars, „aber da die Richtige treffen? Daran habe ich nicht geglaubt.“ Er sehnte sich danach, eine Frau, vielleicht auch ein Kind, um sich zu haben. Silvia Winkler wohnte mit ihrem Sohn, damals zwei Jahre alt, wieder bei ihren Eltern in Odenthal. Auch sie hatte die Nase voll von Disco-Bekanntschaften. Ihre Mutter legte ihr schließlich die Zeitung hin: „Guck doch da mal!“ Silvia Winkler dachte: Wer inseriert, meint es vielleicht ernster. Also guckte sie: Nach Suchenden, für die ein Kind „kein Hindernis“ war. Und die etwas älter waren als sie selbst – „ich wollte keine Jungs mehr.“ Dann schrieb sie fünf Briefe, per Hand, auf Briefpapier mit zartem Blumenmuster: „Lieber Herr ?,….“. Einen davon an Horst Winkler.
Sie trafen sich am 1. April – im Odenthaler Märchenwald: „Da kann man sich unterhalten, ohne dass die Leute am Nebentisch lauschen.“ Zu hören bekommen hätten sie eine Art Verhör, so schildert es Silvia Winkler: „Ich dachte, ich muss ihn unter die Lupe nehmen und habe tausend Fragen gestellt.“ Immerhin: Danach war sie sicher, dass es sich lohnte, ihn näher kennenzulernen. Horst Winkler fiel die Fragestunde nicht negativ auf: Das Datum des Odenthaler Treffens ziert bis heute das Kennzeichen des Familienautos.Wann klar war, dass mehr daraus wird? Die Winklers überlegen. Da fällt Silvia Winkler der Urlaub ein: Im August wollten sie wegfahren, nur zu zweit, ohne ihren Sohn. Dann sagte Horst Winkler: Entweder wir nehmen ihn mit, oder wir fahren nicht. Dafür hat ihn der Zweijährige nie beim Vornamen genannt, sondern gleich: Papa.