Dortmund – Zwei Tage nach den tödlichen Schüssen eines Polizeibeamten auf einen 16-jährigen Jugendlichen im Innenhof einer katholischen Jugendhilfeeinrichtung in der Dortmunder Nordstadt fördern die Ermittlungen immer mehr Details zu Tage. So soll Mohammed D. psychisch auffällig gewesen sein.
Oberstaatsanwalt Carsten Dombert spricht gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ von einem Hang zur „Suizidalität“. Der junge Geflüchtete habe sich sogar einen Tag in einer LWL-Klinik für Psychiatrie aufgehalten. Warum man ihn dort entlassen hat, werde noch untersucht, bekundet Dombert. Auch ein toxikologisches Gutachten sei in Auftrag gegeben worden. Damit wollen die Strafverfolger klären, ob der Verstorbene unter Drogen, Alkoholeinfluss oder Psychopharmaka stand. Auch die Altersangabe werde überprüft.
Bundesweites Aufsehen
Der Fall sorgt bundesweit für großes Aufsehen. Hat ein Polizeibeamter vorschnell abgedrückt und einen seelisch kranken Flüchtling getötet oder handelte er in Notwehr? Die Vernehmungen der Augenzeugen, so der Oberstaatsanwalt, sollen hier aufklären.
Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus Ermittlerkreisen soll sich das tödliche Drama laut Darstellung der Dortmunder Polizei folgendermaßen zugetragen haben: Gegen 16.30 Uhr am vergangenen Montag geht bei der Polizeileistelle ein Notruf ein.
Ein Betreuer der Jugendhilfeeinrichtung im Schatten der St. Antonius Kirche informiert die Beamten über einen Heimbewohner, der auf dem Innenhof hockt und sich eine 15 bis 20 Zentimeter lange Klinge gegen den Bauch hält. Die Einsatzzentrale schickt mehrere Streifenwagen in die Dortmunder Nordstadt.
Beamte befürchteten Suizidabsicht
Als die Einsatzkräfte eintreffen, finden sie Mohammed D. wie beschrieben vor. Der Dienstgruppenleiter teilt seine Leute ein. Zwei Männer sollen das Geschehen mit der Pistole im Anschlag sichern, ein 29-jähriger Polizeikommissar mit einer Maschinenpistole (MP 5) von Heckler & Koch im Hintergrund den weiteren Einsatz flankieren. Als Mohammed D. nicht auf die Zurufe der Polizisten reagiert, soll Pfefferspray zum Einsatz kommen. Zu jenem Zeitpunkt fürchten die Beamten, dass sich D. umbringen will.
Der Plan: Durch das Spray in den Augen gereizt soll sich der Teenager ins Gesicht greifen und das Messer fallen lassen. Der Plan verfehlt, vielmehr springt D. den bisherigen Ermittlungserkenntnissen zufolge auf und läuft mit vorgehaltener Klinge auf die Beamten zu. Die Lage eskaliert.
Fünf Schüsse aus Maschinenpistole
Erfolglos soll ein Polizist versucht haben, den Angreifer mit einem Taser zu stoppen. Auch eine zweite Attacke durch einen Kollegen soll gescheitert sein. Mohammed D., so die Dortmunder Polizei, rennt mit gezücktem Messer weiter auf die Uniformierten zu. Fünf Kugeln aus der Maschinenpistole treffen ihn in Schulter, Brust und Bauch.
Dem Vernehmen nach drückt der Beamte, der den Einsatz sichern sollte, aus zirka drei Metern Entfernung ab, um eine Messerattacke des Jugendlichen auf seinen Kollegen abzuwehren. Seither steht der Polizeikommissar unter dem Verdacht der gefährlichen Körperverletzung mit Todesfolge.
Kritik an dem Vorgehen äußert der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes. Der Einsatz der Maschinenpistole sei nicht nachvollziehbar, befand der Professor. Besser wäre es gewesen, einen Psychologen in den Einsatz einzubinden, so Feltes. Nach derzeitigem Erkenntnisstand verstand der Senegalese weder Deutsch noch Englisch. Als unbegleiteter Jugendlicher war er über Mali nach Deutschland eingereist, kam vor kurzem von Mainz nach Dortmund. Sein früheres Schicksal durchleuchten die Todesermittler im Zuge ihrer weiteren Nachforschungen.
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Nach Angaben aus dem Innenministerium ist laut Polizeigesetz bei Attacken auf Ordnungshüter der Waffeneinsatz bis hin zur MP erlaubt. Seit 2018 führen alle Streifenwagen wegen der „abstrakten islamistischen Terrorgefahr“ jeweils zwei Maschinenpistolen mit sich. Diese dürfen benutzt werden, wenn „Leib und Leben in Gefahr ist“. Das gilt vor allem für die wachsenden Fallzahlen von Messerangriffen. Bei kurzer Distanz zum Angreifer droht den Beamten Lebensgefahr. Hier gebe es „keine Alternative zum polizeilichen Schusswaffengebrauch“, heißt es.
Oberstaatsanwalt Dombert will sich dazu nicht äußern. Die Dortmunder Strafverfolger haben sich auf Grund des politisch brisanten Falles darauf zurückgezogen, erst einmal nichts mehr zu weiteren Erkenntnissen preiszugeben. „In drei bis vier Wochen liegen uns alle Gutachten und wichtigen Vernehmungsprotokolle vor und dann wird entschieden, wie wir weiter vorgehen.“