Der Dokumentarfilm „Jamel - Lauter Widerstand“ erzählt, wie die Lohmeyers mit einem prominent besetzten Musikfestival der rechten Hegemonie entgegentreten.
Allein unter NazisWie sich ein Ehepaar gegen die völkische Übermacht wehrt
Ein kleiner Ort in Nordwestmecklenburg schafft es regelmäßig in die großen Medien der Republik. Das von nur 38 Menschen bewohnte Jamel gilt als „Nazi-Dorf“, seit sich in den 90er-Jahren zahlreiche Rechtsextreme hier bewusst niederließen. Mit völkischer Propaganda, Rechtsrockkonzerten und unter Bedrohung Andersdenkender schufen sie ein Klima der Angst. Und doch beugten sich nicht alle Einwohner der rechten Hegemonie: Birgit und Horst Lohmeyer, 2004 aus Hamburg-St.Pauli aufs Land gezogen, wehren sich seit Jahren gegen die Anfeindungen, die ihnen von Beginn an entgegenschlugen. Wie es das Künstler-Ehepaar alltäglich inmitten der neonazistischen Nachbarschaft aushält und wie es mit einem prominent besetzten Musikfestival bundesweit Aufmerksamkeit für die Lage schuf, zeigt nun der eindrückliche Dokumentarfilm „Jamel - Lauter Widerstand“ (zu sehen ab Mittwoch, 20. November. in der ARD Mediathek).
Sie hatten das ruhige Landleben gesucht - und stießen auf eine ihnen teils feindlich gesinnte Bürgerschaft. „Dorfgemeinschaft Jamel, frei - sozial - national“ - so prangte es im Dorf lange als Motto an prominenter Stelle; Wegweiser zeigten nach Braunau am Inn und Königsberg. NS-Propaganda überall, „Sieg Heil“-Rufe als Normalität. Bald nach ihrem Umzug, der sie vor 20 Jahren ohne Wissen der lokalen Situation in den von Neonazis beherrschten Ort führte, wurde den Lohmeyers einiges klar: Mit Jamel hätten sie „tief in die Scheiße“ gegriffen, berichtet das Ehepaar in der Doku von Filmemacher Martin Groß, der die beiden seit 2015 mit der Kamera begleitet hat. Bleiben wollten sie dennoch. Und sie sagen: „Wir haben von Anfang an begriffen, dass uns die Öffentlichkeit nur schützen kann.“ Schnell war die Idee für das Musikfestival „Jamel rockt den Förster“ geboren, das seit 2007 jährlich stattfindet und inzwischen nicht nur 3.000 Besucherinnen und Besucher zählt, sondern von den Fantastischen Vier bis zu den Toten Hosen auch mit jeder Menge musikalischer Prominenz für Schlagzeilen sorgt.
Smudo: „Ich kann mir nicht vorstellen, hier zu leben“
„Ich kann mir nicht vorstellen, hier zu leben“, gesteht Fanta-4-Star Smudo, den das Filmteam auf dem Weg nach Jamel begleitet. Er wäre „schon lange abgehauen“, so der Rapper, der neben zahlreichen weiteren prominente Kollegen zu Wort kommt, von denen die Lohmeyers Unterstützung erhalten. „Wenn man hier so isoliert ist“, sagt Smudo im Interview, „umgeben von völkischen Gedankengutträgern, und sich alleine fühlt, dann ist es schon gut, wenn alle hierherkommen und sagen: 'Du bist nicht alleine, wir alle machen das zusammen'.“ Auch Kraftklub-Sänger Felix Kummer bekräftigt: „Manchmal hilft eben nur Solidarität.“
Wie bitter nötig diese Unterstützung ist, zeigte sich 2015, als die Scheune der Lohmeyers nach einem Brandanschlag niederbrannte. „Keine Sekunde“ habe man nach dem Angriff ans Aufgeben gedacht, berichtet das Ehepaar, dessen Mut und Hartnäckigkeit den gesamten Film über immer wieder beeindruckt. Auch altgediente Punkikonen rief so viel Haltung auf den Plan: Nach dem Anschlag entschlossen sich die Toten Hosen kurzerhand, als Überraschungsact vorbeizuschauen. Von nun an startete das zuvor regionale antifaschistische Festival richtig durch; plötzlich waren Jamel und die bedrohliche Lage im Dorf bundesweit auf der Agenda. In den Jahren darauf folgten große Acts wie die Beatsteaks, Die Ärzte, Grönemeyer und viele mehr.
Filmemacher Groß hat in seinem mal nachdenklichen, mal enthusiasischen Film die immer weiter anschwellende Welle der Unterstützung dokumentiert, die Organisation und Planung des Festivals, den Auf- und Abbau, die beiden Tage voller antifaschistischen Engagements. Er sprach mit Musikern wie Campino, Olli Schulz und Bela B, der „Rock den Förster“ als das wohl „wichtigste Festival in Deutschland“ und die Lohmeyers als „bewundernswert“ bezeichnet. Mit seiner Band Die Ärzte schaute er einmal nur deshalb vorbei, um den Anti-Nazi-Hit „Schrei nach Liebe“ zu spielen.
Überhaupt zehrt die Doku von mitreißenden Live-Impressionen aus den jüngsten Festival-Jahren, von Eindrücken des Publikums und Einblicken in die Arbeit des Orga-Teams. Begleitet wird auch Organisator Humberto Perreira, den man unter anderem beim nächtlichen Aufpassen auf das Lohmeyer-Haus und beim Treffen mit Claudia Roth in Jamel sieht.
„Die gehören hier nicht hin“
Dokumentiert werden aber auch die Versuche der örtlichen Neonazis und mancher Politiker, das Festival zu verhindern. Immer wieder kommt es zu Provokationen; aufgestochene Reifen und mit Nazisymbolen beschmierte Festivalzäune gehören zur Normalität. Mehr noch: 2024 droht das Festival aufgrund der Klage eines Politikers wegen angeblicher Umweltverschmutzung gänzlich zu entfallen. Für die Organisatoren ein Akt der Sabotage. Es herrsche in der Gemeinde die Vorstellung, so verrät der ehemalige Bürgermeister des Orts, dass es ohne die Lohmeyers in Jamel eigentlich ganz ruhig wäre. „Die gehören hier nicht hin“, fasst er die Stimmung zusammen.
Das vielfach ausgezeichnete Festival kann letzlich doch stattfinden, ausführlich begleitet der Film die Vorbereitungen, die hochkochende Stimmung, sobald Bands und Publikum anreisen, das Zusammenhörigkeitsgefühl, wenn unter dem Sound beliebter Künstler plötzlich eine Gegenwelt zum Rest des Dorfes geschaffen wird. Und doch: „Da drüben hinterm Zaun sitzen die Faschos und machen ihr eigenes kleines Grillfest“, umschreibt Musiker Adam Angst dieses „komische Gefühl“. Konzert-Booker Peraira wird noch deutlicher: „Es schnürt sich einem der Hals zu.“
Denn so wichtig das Zeichen ist, das jährlich in Jamel gesetzt wird, so bitter ist die Erkenntnis: Nach 48 Stunden, wenn alle abgereist sind, sitzen die Lohmeyers wieder allein in ihrem hübschen Landhaus, umgeben von Neonazis. Natürlich sei es wichtig, dass es diesen „Widerstandsort“ gebe, gibt sich Smudo an einer Stelle nachdenklich, „aber es gibt auch das restliche andere Jahr“. Die Lohmeyers, fasst Olli Schulz zusammen, leben schließlich als Andersdenkende „in einem Dorf voller Nazis, voller Menschen, die keinen Bock auf dich haben“.
Es gibt „viele Jamels“
Wer jene völkisch denkenden Menschen eigentlich sind, versucht der Film in vorsichtiger Annäherung herauszufinden. Bisweilen tauchen sie auf, Männer mit Glatzen, stämmige Typen auf Quadbikes. Doch die Versuche, mit den ansässigen Neonazis zu reden, scheitern. Mit der Presse will man nicht sprechen. Unwissend geben sich die Anwohner in der nächstgrößeren Stadt Grevesmühlen, wohin die Lohmeyers zu einer antifaschistischen Demonstration begleitet werden: „Mein Mann hat die aufgehängt“, erklärt eine Frau, in deren Garten die Fahne des Deutschen Reichs weht. „Von den Rechten haben wir noch nichts mitgekriegt“, bekräftigt ein anderes Paar. Schlimmer seien ohnehin die Linksautonomen. Zuletzt machte Grevesmühlen im Sommer Schlagzeilen, als Jugendliche ein aus Ghana stammendes Mädchen rassistisch beleidigten und angriffen.
Dabei ist die unbedingt sehenswerte ARD-Doku keineswegs sensationsheischend. Der Film bedient sich zwar der zahlreichen Reportagen und TV-Beiträge aus dem Archiv, um die schon öfter erzählte Geschichte der Lohmeyers in Jamel zu dokumentieren. Meist findet die Doku aber einen ruhigeren Zugang. Sie beobachtet, befragt, bewertet. Und klärt zugleich mithilfe von Experten auf: darüber etwa, dass Jamel nicht etwa ein Ausnahmefall sei. „Völkische Landnahme ist ein Konzept, das nicht neueren Datums ist und das auch in Westdeutschland durchaus eine lange Tradition hat“, erklärt Daniel Trepsdorf, Leiter des Zentrums für demokratische Kultur in Westmecklenburg. Die völkische Besiedlung sei Teil einer rechtsextremen Strategie, in menschenarmen Regionen homogene Gemeinschaften mit demokratiefeindlichen Ansichten zu etablieren.
Es gibt in Deutschland „viele Jamels“, heißt es an einer Stelle. Wie man derlei völkischer Übermacht von Neonazis begegnen kann und wieviel Mut und Engagement dies erfordert, zeigt dieser Film. (tsch)