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„Chronisch online“, aber ohne „Wärme“Marie (23) spricht im ZDF offen über ihre Einsamkeit

Lesezeit 3 Minuten
Marie ist 23 und sehnt sich nach einer Partnerschaft. (Bild: ZDF/Nora Klein)

Marie ist 23 und sehnt sich nach einer Partnerschaft. (Bild: ZDF/Nora Klein)

Mehr als die Hälfte aller jungen Menschen in Deutschland fühlt sich einsam. Eine neue ZDF-Reportage geht auf Ursachenforschung: Sind die sozialen Medien schuld an der allgegenwärtigen Einsamkeit? Welche Rolle spielen Dating Apps? Und welche Spuren hat Corona hinterlassen?

Manchmal, sagt Marie, liege sie „weinend im Bett“, weil sie sich „so sehr nach Nähe sehne und nach dem Gefühl, mal wieder die Wärme einer anderen Person zu spüren“. In der ZDF-Reportage „37°Leben: Einsamkeit - Zwischen Likes und Leere“ spricht die 23-Jährige offen über ein Gefühl, das sie bereits seit geraumer Zeit begleitet: Einsamkeit.

„Gerade im Frühling“ sei Maries Sehnsucht nach einer romantischen Beziehung besonders intensiv. „Ich bin jetzt seit drei Jahren ungefähr Single und habe in der Zeit mehr oder weniger aktiv gedatet, unter anderem mit Dating Apps“, erzählt die Lehramtsstudentin.

Das Problem: „Die Datingkultur und Beziehungskultur meiner Generation ist sehr schnellebig und sehr oberflächlich“, glaubt Marie, „was durch Datingapps befeuert wird. Dadurch, dass man extrem viel Auswahl hat, weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. Man möchte sich nicht wirklich festlegen, denn es könnte ja immer eine Person kommen, die noch besser passt.“

„Warum habe ich diesen Drang, immer irgendwen um mich herum haben zu wollen?“

Auch der 32-jährige Luis fühlt sich einsam. (Bild: ZDF/Good Karma)

Auch der 32-jährige Luis fühlt sich einsam. (Bild: ZDF/Good Karma)

Nicht nur Marie macht die „sehr schnellebige, oberflächliche Datingkultur“, wie sie es nennt, zu schaffen. Auch der 32-jährige Luis hadert mit dem Prinzip Online-Dating. „Ich habe teilweise zweimal am Tag die App runtergeladen und wieder gelöscht, weil ich gemerkt habe, oh ne, das geht gar nicht“, erinnert er sich. „Ich gucke mir da zig Frauen an, und eigentlich, wenn ich ehrlich zu mir bin, weiß ich: Ich habe gerade gar nicht den Nerv, gar nicht die Kapazität dafür, Nähe zuzulassen, mich zu öffnen, Vertrauen aufzubauen.“

Luis versteht die Einsamkeit als „Mangel, als Suchen nach irgendetwas, das nicht da ist“. Als Sohn einer alleinerziehenden Mutter fehle ihm „immer irgendwie irgendwas“, sagt er. Er fragt sich: „Warum habe ich diesen Drang, immer irgendwen um mich herum haben zu wollen? Warum muss ich mich permanent ablenken?“

„Durch die Corona-Pandemie wurden viele dieser Entwicklungsschritte erschwert“

Einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung zufolge fühlen sich aktuell 51 Prozent der 18- bis 35-Jährigen in Deutschland einsam. „Gerade junge Erwachsene erleben sehr viele soziale Umbruchphasen. Zum Beispiel den Auszug aus dem Elternhaus, den Beginn des Studiums, die ersten romantischen Erfahrungen“, erklärt die Psychologin Debora Brickau im Film. „Durch die Corona-Pandemie wurden viele dieser Entwicklungsschritte erschwert oder gar nicht erfahrbar gemacht.“

Dazu komme, dass „Beziehungen mittlerweile viel häufiger gewechselt werden“, sagt Brickau. „Jedes Mal, wenn Beziehungen gewechselt werden, sind die sozialen Bindungen gefährdet.“ Die Schnelllebigkeit von Beziehungen, die laut der Wissenschaftlerin auch auf die Nutzung von Dating Apps zurückzuführen sei, könne dann „eben auch Einsamkeit hervorrufen“.

Letztere - sei es Einsamkeit durch eine fehlende romantische Bindung oder durch ein fehlendes soziales Umfeld - könne im schlimmsten Fall sogar die Gesundheit gefährden. „Einsamkeit konnte zum Beispiel mit zahlreichen psychologischen Konsequenzen wie einer höheren Anfälligkeit für depressive Störungen oder auch Angststörungen in Verbindung gebracht werden, aber auch mit körperlichen Beschwerden, wie beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkankungen, Schlafstörungen, Bluthochdruck und sogar einer erhöhten Sterblichkeit“, mahnt die Expertin.

„Pseudeo-Verbundheit“ durch Social Media

Darüber hinaus könne Einsamkeit auch auf der gesellschaftlichen Ebene „schwerwiegende Konsequenzen“ nach sich ziehen. Beispielsweise, sagt Brickau, „engagieren sich einsame Personen weniger politisch. Und sie haben auch ein geringeres Vertrauen in die Gesellschaft.“

Marie hat mittlerweile einen Weg gefunden, mit ihrer Einsamkeit umzugehen. Im Netz teilt sie Reels, in denen sie offen über ihre Gefühle spricht. „Gemeinsam einsam“ sein, nennt sie das. Reelle zwischenmenschliche Verbindungen können Instagram, TikTok und Co. jedoch nicht ersetzen, weiß Marie: „Wir sind sehr verbunden durch Social Media, aber meiner Meinung nach ist das so eine Pseudo-Verbundenheit, das ist nicht so eine ehrliche, tiefgreifende Verbundenheit.“ Sie glaubt: „Dass meine Altersgruppe fast schon chronisch online ist, verstärkt die Einsamkeit.“ (tsch)