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Dagmar Manzels „Tatort“-AbschiedWie wird Selbstjustiz bestraft?

Lesezeit 5 Minuten
Im „Tatort: Trotzdem“ aus Franken töten die Schwestern Maria (Anne Haug, links) und Lisa (Mercedes Müller) einen jungen Mann, den sie für den Tod ihres Bruders verantwortlich machen. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller)

Im „Tatort: Trotzdem“ aus Franken töten die Schwestern Maria (Anne Haug, links) und Lisa (Mercedes Müller) einen jungen Mann, den sie für den Tod ihres Bruders verantwortlich machen. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller)

Sahen wir einen „Tatort“ oder eine griechische Tragödie? Im „Tatort: Trotzdem“ aus Franken wollten sich zwei Familien gegenseitig auslöschen. An welches politische Szenario erinnerte das, warum macht Dagmar Manzel als Kommissarin Ringelhahn Schluss und wie wird Selbstjustiz eigentlich bestraft?

Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) und Felix Voss (Fabian Hinrichs) lösen im „Tatort: Trotzdem“ ihren letzten gemeinsamen Fall. Die Schauspielerin scheidet freiwillig aus ihrem Krimi-Amt aus, während ihr Partner weitermachen will. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller)

Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) und Felix Voss (Fabian Hinrichs) lösen im „Tatort: Trotzdem“ ihren letzten gemeinsamen Fall. Die Schauspielerin scheidet freiwillig aus ihrem Krimi-Amt aus, während ihr Partner weitermachen will. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller)

„Schuld und Sühne“ heißt ein Klassiker der Weltliteratur, veröffentlicht 1866 von Fjodor Michailowitsch Dostojewski. Auch der zehnte Franken-“Tatort“ hätte diesen schweren Titel locker tragen können - doch die Macher entschieden sich für den simplen Titel „Trotzdem“. Dennoch ging es im letzten Fall der scheidenden Ermittlerin Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) genau darum: Schuld und Sühne.

Fabian Hinrichs macht als Felix Voss weiter, für Dagmar Manzel wird es eine Nachfolge geben. Max Färberböck (rechts, Regie) hat sich das Franken-Duo ausgedacht und zeichnete sich für einige der besten Folgen verantwortlich. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Luis Zeno Kuhn)

Fabian Hinrichs macht als Felix Voss weiter, für Dagmar Manzel wird es eine Nachfolge geben. Max Färberböck (rechts, Regie) hat sich das Franken-Duo ausgedacht und zeichnete sich für einige der besten Folgen verantwortlich. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Luis Zeno Kuhn)

Zwei Familien, die, nachdem eine Spirale der Gewalt ihr Drehmoment erreicht hatte, versuchen, sich gegenseitig auszulöschen. Was wollte uns Franken-“Tatort“-Pate Max Färberböck - er hat das Format erfunden - damit sagen? War es eine Metapher auf den Krieg? Wird Selbstjustiz anders bestraft als ein „normaler“ Mord? Warum stammten alle Songs im „Tatort“ aus dem Jahr 1965? Und was passiert nun mit Felix Voss (Fabian Hinrichs), da ihn seine mütterliche Freundin Paula Ringelhahn verlassen hat?

Worum ging es?

Lisa Kranz (Mercedes Müller) sichtet die Hinterlassenschaft ihres toten Bruders im Gefängnis. Der Tote war sehr beliebt bei Mitgefangenen und auch bei den Vollzugsbeamten. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller)

Lisa Kranz (Mercedes Müller) sichtet die Hinterlassenschaft ihres toten Bruders im Gefängnis. Der Tote war sehr beliebt bei Mitgefangenen und auch bei den Vollzugsbeamten. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller)

Der 25-jährige Lenni wurde vor drei Jahren für den gewaltsamen Tod einer jungen Frau verurteilt. Nun hat er sich im Knast umgebracht. Alle in seinem Umfeld mochten Lenni und glaubten an seine Unschuld. Seine Schwestern Maria (Anne Haug) und Lisa (Mercedes Müller) sind vom Tod des Bruders zutiefst geschockt. Weil Polizeipräsident Dr. Kaiser (Stefan Merki) ein schlechtes Gewissen in der Angelegenheit hat, wird der Fall noch einmal aufgerollt.

Das wohlhabende Ehepaar Katja (Ursina Lardi) und Karl Dellmann (Fritz Karl) steht unter Druck. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller)

Das wohlhabende Ehepaar Katja (Ursina Lardi) und Karl Dellmann (Fritz Karl) steht unter Druck. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller)

Die zahlreichen Ex-Freunde und sexuellen Kurzzeit-Bekanntschaften der damals Ermordeten müssen ein weiteres Mal ins Präsidium zum Verhör. Dann ereignet sich ein weiterer Mord, der mit den neuen Ermittlungen zu tun haben könnte. Es hat einen der Söhne des wohlhabenden Unternehmers Karl Dellmann (Fritz Karl) und seiner Frau Katja (Ursina Lardi) erwischt. Weil sich Dellmann sicher ist, dass die Schwestern Maria und Lisa seinen Sohn gerichtet haben, sinnt er nun auf Rache und setzt einen Killer auf sie an.

Worum ging es wirklich?

Die Kriminalhauptkommissare Felix Voss (Fabian Hinrichs) und Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) suchen Karl Dellmann (Fritz Karl, rechts) auf. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller)

Die Kriminalhauptkommissare Felix Voss (Fabian Hinrichs) und Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) suchen Karl Dellmann (Fritz Karl, rechts) auf. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller)

Regisseur und Autor Max Färberböck (74) hat den Franken-“Tatort“ vor zehn Jahren erfunden. Für fünf der bislang zehn Filme der Reihe zeichnete er sich zudem verantwortlich. Ihre Gemeinsamkeit: eine ungewöhnliche, psychologisch komplexe Erzählweise. Färberböck stellt in seinen moralischen Versuchsanordnungen, getarnt als Krimi, stets große Fragen: Wie und warum wird ein Mensch schuldig? Gibt es Erlösung für Täter, Opfer und Angehörige? Und wenn ja, auf welche Weise kann man sie bekommen? Auch wenn Religion in seinen Filmen selten eine explizite Rolle spielt, ihre großen Themen schwingen fast immer mit.

Das wunderbare fränkische Kommissars-Doppel Felix Voss (Fabian Hinrichs) und Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) ermittelt zum letzten Mal. Der Abschied fällt beiden schwer. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller)

Das wunderbare fränkische Kommissars-Doppel Felix Voss (Fabian Hinrichs) und Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) ermittelt zum letzten Mal. Der Abschied fällt beiden schwer. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller)

Im „Tatort: Trotzdem“ entwarfen Färberböck und sein Drehbuch-Partner Stefan Betz nun ein düsteres Szenario zweier von Rache getriebener Familien, bei denen man das Gefühl hatte, sie würden die Gewalt gerne stoppen - doch die gefühlte Zwangsläufigkeit ihrer Rache ist stärker. Vielleicht auch ein Kommentar zu den großen Kriegen und Konflikten unserer Zeit, inklusive jenem zwischen Israel und seinen Nachbarn.

Wie wird Selbstjustiz in Deutschland bestraft?

Die Schwestern Maria (Anne Haug, links) und Lisa Kranz (Mercedes Müller) trauern um ihren geliebten Bruder und setzen ungewollt eine Spirale der Gewalt in Gang. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller)

Die Schwestern Maria (Anne Haug, links) und Lisa Kranz (Mercedes Müller) trauern um ihren geliebten Bruder und setzen ungewollt eine Spirale der Gewalt in Gang. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller)

Selbstjustiz missachtet das Gewaltmonopol des Staates und ist deshalb strafbar. Angewendet wird sie meist von Geschädigten, deren Ansicht nach ein Täter für ein begangenes Unrecht durch den Staat nicht oder nicht genügend bestraft wurde. Das Strafmaß für Selbstjustiz richtet sich nach der begangenen Tat.

Hans Drescher (Gerhard Liebmann) ist Dellmann zum Dank verpflichtet und soll einen Job für ihn übernehmen. Auch wenn er diesen seinem „Chef“ lieber ausreden wollte. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller)

Hans Drescher (Gerhard Liebmann) ist Dellmann zum Dank verpflichtet und soll einen Job für ihn übernehmen. Auch wenn er diesen seinem „Chef“ lieber ausreden wollte. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller)

Einer der bekanntesten Fälle in Deutschland ist jener der Marianne Bachmeier. Knapp ein Jahr nach dem Tod ihrer siebenjährigen Tochter erschoss die Mutter den mutmaßlichen Mörder in einem Lübecker Gerichtssaal. Ab November 1982 musste sie sich wegen Mordes vor Gericht verantworten. Verurteilt wurde sie dann aber wegen Totschlags und unerlaubten Waffenbesitzes. Das Gericht folgte in seiner Entscheidung am 2. März 1983 weitgehend dem Argument der Verteidigung, die Tat sei nicht geplant gewesen. Im Juni 1985 kommt Bachmeier vorzeitig frei.

Zum Abschied gibt's ein Lied, denn das Präsidium verabschiedet sich von Paula Ringelhahn. Im Vordergrund sind Felix Voss (Fabian Hinrichs, links), Polizeipräsident Dr. Kaiser (Stefan Merki) und die scheidende Kollegin Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) zu sehen. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller)

Zum Abschied gibt's ein Lied, denn das Präsidium verabschiedet sich von Paula Ringelhahn. Im Vordergrund sind Felix Voss (Fabian Hinrichs, links), Polizeipräsident Dr. Kaiser (Stefan Merki) und die scheidende Kollegin Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) zu sehen. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller)

Nicht unter die Bedeutung Selbstjustiz fallen übrigens die Begriffe Selbsthilfe oder Notwehr, bei denen es inhaltlich um die Abwehr eines Angriffs gegen sich selbst oder andere geht. Auch das Widerstandsrecht nach Artikel 20, Absatz 4 Grundgesetz (GG) - wenn zum Beispiel die Verfassung im Sinne eines Staatsstreiches bedroht ist - wird nicht der Selbstjustiz zugerechnet.

Welche Songklassiker von 1965 prägten den Film?

Bereits im Vorspann des „Tatort: Trotzdem“ erlebt man etwas für das Format sehr Ungewöhnliches: Man sieht verfremdete Szenen von Kampf und Leid, die man später im Film nochmal in „Reinform“ erlebt. Dazu erklingt „Eve Of Destruction“ (zu Deutsch: Vorabend des Weltuntergangs), Barry McGuires Folkhymne von 1965. Der dystopische Popsong erzählte von drohendem Atomkrieg, der Schande von Vietnam, Rassismus und religiösen Eifererern - und wurde dennoch zu einem Nummer-1-Hit in den USA.

Ob nun Zufall oder nicht: Im „Tatort: Trotzdem“ werden zwei weitere Song-Klassiker gespielt, die von 1965 stammen oder in jenem Jahr populär wurden: Bob Dylans „It's All Over Now, Baby Blue“ in einer Coverversion zu einer ziemlich gewalttätigen Szene und schließlich - vorgetragen von Dagmar Manzel, die ja auch Sängerin ist - Simon & Garfunkels „The Sound Of Silence“ in einer A-capella-Version auf dem Polizeipräsidium. Ihr Abschiedssong als Kommissarin.

Wie geht es mit dem Franken-“Tatort“ weiter?

Dagmar Manzel (66) verlässt den „Tatort“ auf eigenen Wunsch. Ihre Figur Paula Ringelhahn geht klassisch in Rente. „Es wäre ein bisschen affig, wenn ich mit 70 noch mit 'ner Knarre im 'Tatort' rumrennen würde“, sagt Manzel, die in Zukunft mehr Zeit für Theater, Musikprojekte und auch etwas mehr Freizeit haben möchte. Fabian Hinrichs dagegen bleibt an Bord, ebenso wie Eli Wasserscheid als Assistentin Wanda Goldwasser.

Dazu Bettina Ricklefs, BR-Programmbereichsleiterin Spiel-Film-Serie: „Im elften Tatort aus Franken, der im Spätherbst 2024 gedreht und 2025 ausgestrahlt wird, wird Felix Voss, gespielt von Fabian Hinrichs, ohne Paula ermitteln. Wer anschließend in das Team des 'Tatort' Franken kommt, wird in Ruhe entschieden und zu gegebener Zeit bekannt gegeben.“ (tsch)