In dem ARD-Familienfilm „BACH - Ein Weihnachtswunder“ schlüpft Devid Striesow in die Rolle des Komponisten Johann Sebastian Bach. Welche Bedeutung dessen Musik in seinem eigenen Leben hat und welche körperliche Herausforderung mit der Rolle einherging, verrät Striesow im Interview.
Devid Striesow„Klassik war die einzige Musik, die bei uns zu Hause lief“
Er gilt als einer der genialsten Köpfe der Musikgeschichte: Johann Sebastian Bach ist nicht zuletzt dank seines jährlich vom Thomanerchor Leipzig dargebotenen Weihnachtsoratoriums noch heute allgegenwärtig. Wie das exorbitante Opus im Jahr 1734 entstanden sein könnte, erzählt der ARD-Film „BACH - Ein Weihnachtswunder“ (Mittwoch, 18. Dezember, 20.15 Uhr, das Erste, sowie ab Freitag, 13. Dezember, in der ARD Mediathek). In die Rolle des 1750 verstorbenen Komponisten schlüpft dabei Devid Striesow, die Rolle seines als „Hamburger Bach“ bekannt gewordenen Sohns Emanuel übernimmt Striesows 1996 geborener Sohn Ludwig Simon, der aus seiner Beziehung mit der Schauspielerin Maria Simon stammt. Welche Vorteile die enge Zusammenarbeit zwischen Vater und Sohn mit sich bringt, verrät Striesow im Interview. Außerdem spricht der 51-Jährige über die Bedeutung von klassischer Musik in seinem Leben und in der heutigen Gesellschaft und sein Verhältnis zum christlichen Glauben und zur Kirche.
teleschau: Herr Striesow, sind Sie ein Freund klassischer Musik?
Devid Striesow: Ja, ich bin sehr, sehr Klassik-affin. Ich fing mit sechs Jahren an Geige zu spielen. Klassik war die einzige Musik, die bei uns zu Hause lief. Den Punk und den Rock'n'Roll musste ich mir dann mit 14 selbst organisieren. (lacht) Aber dadurch bin ich viel mit klassischer Musik konfrontiert worden und habe viel zum Plattenspieler dirigiert vor dem Spiegel.
teleschau: Wie ist Ihr Verhältnis zur Musik von Bach?
Striesow: Bach lag mir sehr schnell sehr am Herzen. Nachdem es in meinem Leben also diese Rock'n'Roll-und-Punk-Phase gab, gab es auch wieder das Zurückkommen zur klassischen Musik. Damals war ich Anfang 20. Ich habe das Geige-Spielen zwar mehr und mehr aufgegeben, aber ich bin immer noch ein Fan und Hörer von klassischer Musik.
teleschau: War dieses persönliche Interesse auch für Ihre Rolle als Johann Sebastian Bach von Vorteil?
Striesow: Eine Rolle mit Leidenschaft zu spielen, die diesen musikalischen Schwerpunkt hat, kann man glaub ich besser, wenn man vorher schon tiefer in die Materie eingedrungen ist und die Figur zu lieben oder auch zu hassen gelernt hat - das kommt ja immer darauf an, wie man den Bach interpretiert. Aber für mich ist es eine riesengroße Ehre, ihn zu spielen.
„Es gibt zu Bach wenig Material aus der Zeit“
teleschau: Macht es für Sie einen Unterschied, eine reale Figur im Vergleich zu einer fiktiven zu spielen?
Striesow: Ja, wobei ich aber auch sagen muss: Es gibt zu Bach - ähnlich wie zu Luther - wenig Material aus der Zeit: Es gibt ein paar Beschreibungen und ein paar Briefe. Ich habe vor Drehbeginn aus der Familie heraus zu Weihnachten ein Büchlein geschenkt bekommen mit Briefen der Familie Bach. Da waren alle Briefe der 300 Bache drin. Die haben meistens irgendwelchen Ämtern oder Beamten geschrieben oder Rechnungen an Krämerladen geschickt. Briefe, die man schon aufgrund der verwendeten Sprache heutzutage nicht mehr versteht. Ich habe versucht, mich da durchzukämpfen. Aber alles in allem weiß man nicht so richtig viel über den Mann. Man muss viel aus sich herausschöpfen. Vor allem, wenn man die Ambition hat, dass die Musik die eigentliche Hauptrolle spielt. In unserem Fall ist das das Weihnachtsoratorium.
teleschau: Wie näherten Sie sich dann der Person Bach?
Striesow: Als ich das Rollenangebot angenommen hatte, galt mein Interesse dem Versuch, Bach, der nachweislich den ganzen Tag Leichtbier trank, optisch ein bisschen näherzukommen. Ich fing an, mich auf 105 Kilogramm hochzufressen. Das waren in meinem Fall 20 Kilo. Zu Drehbeginn hatte ich das Kampfgewicht, habe dann die Dreharbeiten bestritten, Dirigierunterricht bekommen und natürlich die Orgel kennengelernt. Das Finale des Films drehten wir im Dom von Merseburg mit dieser tollen Silbermann-Orgel. Seit März habe ich dann mein Jahr damit verbracht, 17 Kilo wieder runterzuhungern. Es hat funktioniert! Ebenso wichtig war mir, dieses Dirigieren des Zusammenspiels des Thomanerchors und des Orchesters wirklich glaubhaft zu spielen. Für alles andere - wenn das Cembalo oder die Orgel gespielt wird - gibt es Doubles.
„Ich habe als Vater immer geguckt, wie er privat auf diesen Job reagiert“
teleschau: Mit Ihrem Sohn Ludwig Simon standen Sie schon einmal 2017 für den „Tatort: Söhne und Väter“ gemeinsam vor der Kamera. Auch jetzt spielen Sie wieder Vater und Sohn. Wie war die Zusammenarbeit?
Striesow: Das ist was ganz anderes, als mit jemand Fremden zu spielen: Wir hatten die Zeit, uns im Vorfeld aufs Land zurückzuziehen und gemeinsam das ganze Drehbuch durchzugehen. Wir wurden uns über die verschiedenen emotionalen Stufen und Entwicklungen der beiden Figuren und ihren Verhältnissen klarer, auch um zu verstehen, was die beiden ausmacht. An die Rollenentwicklung und den Drehalltag ging dann natürlich jeder von uns auf seine eigene Weise heran. Im Nachhinein konnten wir wieder gemeinsam reflektieren: Welcher Take war deiner Meinung nach besser? Bei solchen Fragen sind wir uns sehr nah und können unsere Ansichten gut beschreiben.
teleschau: Johann Sebastian Bach scheint nie verwunden zu haben, dass sein Sohn andere berufliche Interesse verfolgte als er. Wie reagierten Sie, als Sie erfuhren, dass Ihr Sohn auch Schauspieler werden möchte?
Striesow: Das macht er ja schon sehr, sehr lange. Mit 15 ist er das erste Mal in einer Filmreihe aufgetreten. Ich habe als Vater immer geguckt, wie er privat auf diesen Job reagiert: Nimmt ihn das zu sehr ein? Oder wie geht er mit diesen teilweise hochemotionalen Szenen, die er spielen muss, privat um? Er hat das jedes Mal sehr gut und professionell voneinander trennen können. Da war ich echt überrascht. Deshalb finde ich es ganz, ganz prima, dass er so begabt ist und diesen Beruf ausübt.
„Schöner kann man Jubel nicht in Töne fassen“
teleschau: Dem Weihnachtsoratorium wird im Film eine fast schon revolutionäre Macht zugeschrieben. Worin liegt diese begründet?
Striesow: Im Grunde muss Musik die Menschen einfach nur berühren. Diese Vielschichtigkeit, diese großartige Polyphonie, war, was die Musik im Barock beeinflusst hat: Diese Vorstellung davon, was Himmel und Religion und Gott ist, und wie man dem begegnet, konnte Musik transportieren. Vor dem Hintergrund der zur Zeit des Barocks vorherrschenden Zwänge ist es beeindruckend, dass die Musik überhaupt dazu in der Lage war, diese Menschen zu öffnen und ihnen ein Ventil zu geben. Diese Eigenschaft zeichnet die Musik für mich bis heute aus.
teleschau: Wie müsste ein Musikstück heutzutage aussehen, um eine ähnliche Wirkung auf die Gesellschaft zu haben?
Striesow: Keine Ahnung. Es wird immer mehr Weltmusik werden, in die immer mehr Menschengruppen und Kontinente mit einfließen und sich ihrerseits an allem orientieren. Das merkt man schon im Jazz und in der neueren klassischen Musik, dass es so viele Strömungen und Wege gibt, um die Menschen zu erreichen. Aber ich glaube eben auch, dass sich die Menschen über Generationen und Jahrhunderte hinweg noch immer an ihre Herkunft erinnern: Ich fühle mich von Renaissance-Musik oder von einem Madrigal Monteverdis so berührt und kann vor Freude heulen. Auch werde ich nichts Adäquates finden, was mir so ein Jubilieren vorspielt wie das Weihnachtsoratorium. Schöner kann man Jubel nicht in Töne fassen.
„Mit 15 bin ich mit meiner Folk-Punk-Band in einer entweihten Kirche aufgetreten“
teleschau: Doch trifft das für die jüngeren Generationen heutzutage noch zu? Manchmal scheint es, als hätten die Kinder von heute weniger Berührungspunkte mit Klassik.
Striesow: Das ist eine Frage der Schulung, was man im Elternhaus wahrnimmt: Bei manchen geht der Knoten erst mit 19, 20 auf. Sie gehen plötzlich in die Kirche oder ins Konzert. Manchmal glaube ich, dass die Schulung in diese Richtung eher weniger wird. Die Gefahr, dass die Empfindsamkeit für derlei Musik über die Generationen ein wenig verloren geht, besteht auf jeden Fall. Deshalb finde ich, dass Kulturinstitutionen, egal ob Schauspiel- oder Konzerthaus, ihre Angebote für die junge Generation attraktiv machen müssen, dass sie die jungen Leute in den Zuschauerraum ziehen müssen, damit da wieder Emotionen entstehen. Die Institution Kirche, wo das früher stattfand, verliert ihre Mitglieder sukzessiv. Deshalb geht die Berührung mit geistlicher Musik in Kirchenräumen auch verloren.
teleschau: Gehen Sie denn privat in die Kirche?
Striesow: Ich bin atheistisch groß geworden und kann den Glauben nicht lernen. Aber kurz vor dem Mauerfall bin ich in die Kirche gegangen, weil das im Osten die Institution war, in der der Widerstand stattfinden konnte. Kirchenräume als Konzert- oder Theaterräume waren für mich auch immer reizvoll. Mit 15 bin ich mit meiner damaligen Folk-Punk-Band in einer entweihten Kirche in Stralsund aufgetreten. Das war natürlich ein anderer Kontext (lacht). Wenn ich heute in mir unbekannten Städten drehe oder Theater spiele, gehe ich immer in die Kirche und setze mich einen Augenblick hinein, um die Zeit auf mich wirken zu lassen, die dieses Gebäude und diese Stadt schon hinter sich hat. Das kann ich in einem modernen Kaufhaus nicht empfinden. Zu Weihnachten besuche ich dann auch gerne Orgelkonzerte in der Kirche.
teleschau: Wie werden Sie dieses Jahr Weihnachten feiern?
Striesow: Weihnachten steht für mich für den Höhepunkt des ganzen Jahres. Bei uns wird immer groß gefeiert. Wir versuchen, möglichst alle Familienmitglieder an einen Tisch zu kriegen. Es wird groß gekocht, es wird gesungen, es wird auch musiziert und dann kommen irgendwann Christkind und Weihnachtsmann um die Ecke, oder der Weihnachtsbaum ist schon voll und das Christkind war schon da. Dann wird gefeiert, und ich hoffe, vielleicht nicht alle, aber doch einige Familienmitglieder motivieren zu können, mit mir in die Kirche zu gehen und das Weihnachtsoratorium anzuhören. (tsch)