Ende der 80-er revolutionierte der blutjunge Hape Kerkeling das deutsche Fernsehen und den Humor des Landes gleich mit. Im Leben nach Königin Beatrix, „Hurz“ oder „Kein Pardon“ wurde er zum berührenden Erzähler und Gesellschafts-Humanisten.
Hape KerkelingEin Wunderkind von sechs Jahrzehnten
Im 90-minütigen Dokumentarfilm „Hape Kerkeling - Total normal“ (Montag, 9. Dezember, 20.15 Uhr), mit dem Das Erste Hape Kerkeling an seinem Geburtstag zur Primetime feiert, gibt es eine kleine Szene, die bezeichnend für das Talent des nun bald 60-Jährigen steht: Die Filmcrew befindet sich in einem Straßencafé an einer der malerischen Grachten Amsterdams. Vielleicht die Lieblingsstadt Kerkelings, mit der er viel persönliche Geschichte verbindet. Kerkeling erzählt aus seinem Leben, als die Bedienung bestellte Getränke bringt. Man sieht drei Gläser Weißwein und etliche Flaschen Wasser. Hape bedankt sich freundlich und weist die Zuschauer auf den Bruch der Illusion hin, dass er da alleine im Café säße. Natürlich ist er von einem Filmteam umgeben, das offenbar ebenfalls durstig ist. Kerkeling aber zählt die auf dem Tisch stehenden Getränke auf und sagt in Richtung Servicekraft: „Ja, was weiß ich, wann die noch mal kommt?“ Es ist das Gespür für den Witz, der überall im Alltag lauert, das Hape Kerkeling so populär gemacht hat. Neben seinem überragenden Talent für Menschenbeobachtungen, Parodien, Sprache und was sonst noch alles. Am 9. Dezember vollendet Deutschlands einflussreichster Komiker der letzten 30 Jahre, dazu Bestsellerautor und Multikünstlerm sein 60. Lebensjahr.
Wenn sich in der sehenswerten Doku, in der Kerkeling auf berührende Art viel von sich selbst erzählt, Prominente wie Günther Jauch, Otto, Campino oder Anke Engelke mit einem Strahlen im Gesicht über das Geburtstagskind äußern, muss dieses einiges richtig gemacht haben. Wie ihm das gelungen ist, kann man aufgrund der charmanten Selbstmoderation ahnen, die überhaupt nicht aufgesetzt, sondern ebenso freundlich wie intim wirkt.
So nimmt Kerkeling die Filmcrew mit in seine Lieblingsstadt Amsterdam. Die Familie, sowohl vonseiten der Mutter als auch des Vaters, gehörten hier einst zur wohlhabenden Klasse - bevor beide verarmten. Später fand Hape hier eine große Liebe, die sehr jung an Aids starb, wie der 1991 Zwangsgeoutete heute sagt. Die Älteren erinnern sich: Regisseur Rosa von Praunheim erzählte 1991 in der RTL-Talkshow „Der heiße Stuhl“ in einer umstrittenen Aktion, welche deutschen Prominenten „heimlich“ schwul wären: darunter Hape Kerkeling und Alfred Biolek.
„Das ganze Leben ist ein Quiz“
Ein Merkmal Hape Kerkelings ist sein Status als Wunderkind. Schon als Kind zeigte er sein parodistisch-komisches Talent - zu sehen in der wunderbaren Fiktionalisierung Caroline Links von „Der Junge muss an die frische Luft“. In Passau erhielt er 1983 noch als Gymnasiast das Scharfrichterbeil verliehen, einen Preis für Nachwuchs-Kabarettisten. Es folgten die TV-Shows „Känguru“, die der Junge aus dem Ruhrpott Anfang 1985 mit 20 Jahren erhielt, „Total Normal“ oder „Darüber lacht die Welt“. Vor allem „Total Normal“, von dem Radio Bremen zwischen 1989 und 1991 gerade mal sieben Folgen produzierte, gilt bis heute als visionäres Unterhaltungsformat, das seiner Zeit weit voraus war.
Der berühmte „Prank“ mit Kerkeling in eher liederlicher Königin Beatrix-Maske, als diese zum Staatsbesuch bei Bundespräsident Richard von Weizsäcker am Schloss Bellevue vorfuhr, ist ebenso legendär wie die Kulturbetrieb-Persiflage „Hurz“, die Kerkeling mit seinem Musikpartner Achim Hagemann aufführte. Sowohl „Total Normal“-Kreativpartner Hagemann als auch die Redakteurin der Sendung, Birgit Reckmeyer, erinnern sich ausführlich im Interview. 1993 folgte der - ebenfalls bis heute in Sachen Humor stilprägende - Film „Kein Pardon“ mit dem Superhit „Das ganze Leben ist ein Quiz“. Laut Günther Jauch existiert bis heute kein klügerer und genauerer Film über die deutsche Unterhaltungsbranche, ihren Humor und den Hang zum Klamauk.
„Gebt mir etwas Zeit: Meine Chronik der Ereignisse“
Im Gegensatz zu anderen Wunderkindern beging Kerkeling nicht den Fehler, sein kreatives Paradepferd - Parodien und entgrenzte TV-Unterhaltung - zu Tode zu reiten. Relativ jung zog er sich von der Comedyfront zurück und agierte im Hintergrund: War er in den 90-ern noch öfter in TV-“Pranks“, Sketchen oder als Moderator großer Fernsehgalas zu sehen, wurde es ab den Nullerjahren ruhiger um Deutschlands Comedy-Toptalent. Nach der Entfernung seiner Gallenblase und einem Hörsturz brauchte er dringend eine Auszeit. Im Sommer 2001 pilgerte Kerkeling 630 Kilometer auf dem nordspanischen Jakobsweg nach Santiago de Compostela, woraus das Buch „Ich bin dann mal weg“ (2006) entstand. Es ist eines der meistverkauften Werke deutscher Sprache, die Auflage liegt bei rund fünf Millionen Exemplaren.
2014 folgte Kerkelings berührende Kinder- und Jugendbiografie „Der Junge muss an die frische Luft“, die 2018 kongenial von Caroline Link verfilmt wurde. Jung-Schauspieler Julius Weckauf, heute 16 Jahre alt, spricht in der Doku vom damaligen Casting und den Dreharbeiten. Da passt es gut, dass sich gleich im Anschluss an die sensibel erzählte Lebensdoku zum 60. im Ersten Caroline Links Film anschließt. Er gewann nicht nur zahlreiche Preise, sondern wurde beim Deutschen Filmpreis 2019 auch als besucherstärkster Film des Jahres ausgezeichnet.
Ende September, sozusagen als Vorgriff auf seinen eigenen 60. Geburtstag, erschien Hape Kerkelings neues Buch „Gebt mir etwas Zeit: Meine Chronik der Ereignisse“. Darin schildert er nicht nur entscheidende Etappen seines Lebens, sondern taucht tief in die bewegte Geschichte seiner Vorfahren ein. Man kann nur hoffen, dass Hape Kerkeling - das deutsche Humorwunderkind von einst - auch als kluger, humanistischer Erzähler, der es als einer der wenigen schafft, noch so etwas wie Konsens und positiv gestimmten Kitt unter den Deutschen zu erzeugen, noch viele Jahre weitermacht. Nach seinem 60. könnte da noch eine Menge kommen. Dass man bei ihm jedoch nie genau weiß, was genau es sein wird - auch das macht die Faszination Hape Kerkelings aus. (tsch)